Onkologe: Wie man mit der 5-L-Strategie länger lebt

Es gibt vieles, das wir selbst beeinflussen können, so die Wissenschaft
Der Krebsexperte Univ.-Prof. Heinz Ludwig über die einfachste Methode, gesund zu bleiben.

Als international tätiger Onkologe behandelt Univ.-Prof. Heinz Ludwig nicht nur viele Patienten, er wird darüber hinaus auch häufig gefragt, was man tun könne, um erst gar nicht krank zu werden. Darauf gibt der renommierte Naturwissenschaftler nun in seinem Buch "Richtig leben, länger leben – 5 Dinge, die wir tun können, um gesund zu bleiben" eine Antwort. Seine überraschende wie einfache Botschaft lautet: "Lieben, Lachen und nie mit dem Lernen aufhören, das ist neben ausreichender Bewegung und vernünftiger Ernährung die beste Gesundheitsvorsorge". Diesen Handlungsspielraum sollte jeder für sich nutzen.

KURIER: Lieben. Lachen. Lernen. Laufen. Leichter essen. Würde die Einhaltung dieser Strategie auch gesundheitsökonomisch etwas bringen?

Onkologe: Wie man mit der 5-L-Strategie länger lebt
Univ.-Prof. Dr. Heinz Ludwig

Univ.-Prof. Heinz Ludwig:Da die Einhaltung der beschriebenen Strategie die Zahl der Übergewichtigen (30 Prozent der Österreicher sind übergewichtig und 14 Prozent fettleibig), der Zucker- Herz- und Gefäßkranken, der Hypertoniker aber auch der Krebskranken stark verringern würde, lautet die Antwort ja. Die Menschen würden um fünf bis sieben Jahre länger leben und wir könnten allein in Wien ein bis zwei Großspitäler und auch sonst beträchtliche Kosten im Gesundheitssystem einsparen.

Warum wird dann in unserem Gesundheitssystem immer noch so viel in Reparatur statt in Prävention investiert? Bräuchte es Gesundheitskassen statt Krankenkassen?

Das Wissen um die Möglichkeiten der Prävention hat sich erst in den letzten Jahrzehnten verfestigt. Krankheiten bedrohen den Menschen seit seiner Existenz, sodass es nachvollziehbar ist, dass zuerst eine Absicherung der Erkrankten notwendig war. Daher wurde die gesetzliche Krankenversicherung in Österreich bereits 1889 eingeführt. Heute, fast 130 Jahre später, ist es an der Zeit sich vorzugsweise der Prävention und damit der Gesunderhaltung zu widmen. In diesem Zusammenhang hätte die Umbenennung der Krankenkassen in Gesundheitskassen einen beträchtlichen Charme.

Kann ich mit den 5 L die genetische Veranlagung überlisten?

Die Gene bestimmen unser Schicksal, wenn es um Gene mit hoher Penetranz ("Durchschlagskraft", Anm. der Red.) geht. Solche Gene führen automatisch zur Ausbildung der durch das betreffende Gen bestimmten Eigenschaft. Etwa Haarfarbe, Geschlecht, Erbkrankheiten wie Sichelzellanämie. Hier lässt sich durch die 5 Ls weniger machen. Das Auftreten der Erkrankung kann nicht verhindert werden, sehr wohl kann aber der Umgang Betroffener mit den Krankheitsfolgen verbessert werden. Anders sieht die Geschichte bei Risikogenen aus. So gibt es für Zuckerkrankheit bei Erwachsenen mehrere Risikogene. Menschen, die sich an die 5 Ls halten, können den Ausbruch der Erkrankung verhindern oder zumindest stark verzögern.

Bei manchen Konstellationen scheint es aber schwierig, "zu lieben", "zu lachen"...

Zugegeben – schwere Schicksalsschläge können unseren Lebenshimmel verdunkeln, und zwar so weit, dass uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Hier ist z. B. bei Verlust eines geliebten Partners Trauerarbeit notwendig. Und die dauert oft mehrere Monate, bis jene Einprägungen in unser Gehirn über den Partner, der Bestandteil des eigenen Lebens wurde, wieder aufgelöst sind. Ich zeige in meinem Buch Möglichkeiten, auch mit solchen Belastungen umzugehen. Selbst in schwierigen Zeiten kann man versuchen, sich auf die Sonne am Himmel und nicht auf die dicke Wolkendecke zu fokussieren. Ein einfaches Beispiel dazu: Überlegen wir uns jeden Tag morgens unter der Dusche, worauf wir uns heute freuen. Versuchen wir die Dinge besonders gut zu erledigen, anderen eine Freude zu machen, was letztlich unser Wohlbefinden beflügeln sollte. Natürlich können wir auch mit Negativem konfrontiert werden; hier gilt es zu überlegen wie wir damit am besten umgehen.

Viele positive Bereiche im Leben wie Sport, gesunde Ernährung oder glückliche Beziehung erfordern auch ein wenig Anstrengung und somit Disziplin, sich dieser zu unterziehen. In besonders belastenden Situationen brauchen wir mehr Kraft und Disziplin, um uns aus dem Tief zu befreien, doch wer dazu in der Lage ist, wird davon profitieren. Wir stärken damit unsere Resilienz, unsere psychische Widerstandsfähigkeit.

Stichwort Jugendgesundheit: Wie könnte man diese fünf Säulen möglichst früh in die Köpfe der Menschen bekommen, ohne oberlehrerhaft zu wirken?

Jugendliche orientieren sich an Vorbildern, die natürlich aus verschiedensten Bereichen, also Sportlern, Künstlern, Wissenschaftlern, Manager, oder an Personen, die aus anderen Bereichen der Gesellschaft kommen können. Eltern, Lehrer und Politiker gehören ebenso dazu. Sind diese zum Vorbild erkoren, so gilt dies nicht nur für ihre Leistungen sondern auch für ihren Lebensstil. Oft sind sich die Vorbilder ihrer Verantwortung gar nicht bewusst oder missachten diese grob, wenn ich an die Umgangsformen mancher Politiker denke. Ich halte Letzteres für extrem schädlich, da man der Auffassung der jungen Menschen „Was den hohen Herrschaften ziemt, ist für mich auch adäquat“ wenig entgegen halten kann. Ein zeitgemäßer, den modernen Kriterien der Erziehung entsprechender, Umgang mit der Jugend bedeutet Belehren und Disziplinieren durch positive Vorbildwirkung zu ersetzen, von dem am Ende ja beide Seiten in jeder Hinsicht profitieren.

Sind die aktuellen gesellschaftlichen/politischen Umstände – digitale Revolution, Zukunftsängste – geeignet, um der 5 L-Philosophie gerecht zu werden?

Mehr denn je. Der Eintritt ins Zeitalter der Artificial Intelligence ist eine enorme Herausforderung, aber auch große Chance zugleich. Wir sind gefordert, unser Gehirn immer öfter zu gebrauchen, falls wir mit der Entwicklung Schritt halten wollen. Andererseits werden wir von rein mechanischer, repetitiver Arbeit befreit, und gewinnen so Zeit für uns. Zeit, die wir sinnvoll nützen können – für mehr körperliche Aktivität, für sinnstiftende Arbeit, Hobbys und unsere Partner. Und all dies mit dem Bewusstsein, dass wir es in der Hand haben, den Dingen eine angemessene Bedeutung zu geben und unsere Zeit Dingen zu widmen, die uns unterschiedlichen persönlichen Gewinn bringen.

Sie schreiben von Liebe, Leidenschaft, Hingabe und Flow. Wunderbar. Doch viele Menschen können nicht so selbstbestimmt leben, stecken in Jobs, die sie nicht glücklich machen.

Unser Umfeld hat maßgeblichen Einfluss auf unser Leben und kann extrem hilfreich aber auch extrem kontraproduktiv sein. Dies gilt es wahrzunehmen. Für die letztgenannte Situation gibt es keine optimale Lösung. Hier scheint mir wichtig, die positiven Dinge und Aktivitäten, die einem fast immer zugänglich sind, zu verstärken und zweitens Wege zu suchen, die aus den belastenden Umständen herausführen. Als Trost sei hier angeführt, dass wir Menschen über eine beträchtliche Fähigkeit verfügen, uns auch an widrige Umstände anzupassen und selbst in solchen Situationen eine gewisse Lebenszufriedenheit entwickeln können.

Oft empfinden Krebskranke eine Art Schuld in Bezug auf ihr Leiden. Was meinen Sie dazu? Und existiert ein Zusammenhang zwischen Kränkung und Krankheit?

Kränkung macht krank, erhöht das Risiko für verschiedene Erkrankungen, unter anderem auch geringfügig für Krebs. Allerdings hängt dies von der Dauer und Intensität der Kränkung sowie von den Bewältigungsmechanismen der betroffenen Person ab. Es ist derzeit modern, Kränkungen als Krankheitsursachen heranzuziehen, wir sollten das aber nicht überschätzen. Schließlich zählen Kränkungen zu den Lebenserfahrungen von uns allen. Ich spreche in meinem Buch zwar vom Wert einer positiven Lebenseinstellung, warne aber auch ausdrücklich vor einer Überhöhung der Bedeutung von positivem Denken. Wenn dieses Dogma dazu führt, dass Menschen die Schuld an einer Erkrankung zugeschobenen wird, dann ist das kontraproduktiv und einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig.

Wie leben Sie Ihre 5 L?

Mein Arbeitsgebiet begeistert mich jeden Tag erneut. Ich lerne von meinen Kollegen und Freunden und durch Verfolgung der neuesten Entwicklungen in der Medizin und in anderen Bereichen, liebe meine Frau, Kinder und Familie, treffe mich regelmäßig mit Freunden, gehe negativem Stress aus dem Weg, wo ich kann, esse leicht und fahre täglich mit dem Fahrrad ins Spital.

INFO:

Am KURIER-Tag, 28. 9., spricht Martina Salomon mit Univ.-Prof. Heinz Ludwig . Anschließend beantwortet er die Fragen der Besucher.

Univ. Prof. Dr. Heinz Ludwig ist emeritierter Leiter der 1. Medizinischen Abteilung, Zentrum für Onkologie mit Hämatologie am Wiener Wilhelminenspital, Past-Präsident der europäischen Gesellschaft für Onkologie, Leiter des Wilhelminen-Krebsforschungsinstitutes und Präsident des Österreichischen Forums gegen Krebs. Er ist international in der klinischen und theoretischen Krebsforschung erfolgreich aktiv. Für seine wissenschaftlichen Leistungen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.

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