Psychiater: Warum Betroffene Depressionen vertuschen

Psychiater: Warum Betroffene Depressionen vertuschen
Möglich, dass der Co-Pilot verschriebene Medikamente nicht eingenommen hat.

Der Co-Pilot der Germanwings-Maschine war für den Tag des Unglücks eigentlich krankgeschrieben - mittlerweile kursieren Spekulationen über eine psychische Erkrankung, über eine schwere depressive Episode, die ihn zu dieser Tat veranlasst haben soll. Bestätigt ist eine mögliche Depression von Andreas L. derzeit nicht, auch wenn Bekannte des jungen Mannes von einer "depressiven Episode" sprechen. Was eine solche Depression ausmacht und ob psychische Erkrankungen bei regelmäßigen Tests erkennbar wären, erklärt Univ.-Prof. Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien im Gespräch mit dem KURIER. Wancata ist auch Autor des Buches "Von der Depression zur Lebensfreude".

KURIER: In den Spekulationen um mögliche Hintergründe der Tat ist immer wieder die Rede von einer schweren depressiven Episode. Angeblich wurde auch eine Krankschreibung für den Tag gefunden. Was kann man sich unter dieser Erkrankung vorstellen?

Psychiater: Warum Betroffene Depressionen vertuschen
Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata, MedUni Wien
Univ.-Prof. Johannes Wancata: In dieser Situation ist es extrem schwierig, etwas Seriöses dazu zu sagen. Eine Depression ist eine Krankheit, die eine Krankschreibung rechtfertigen kann. Sie zeichnet sich durch Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Energielosigkeit aus, Dinge werden negativ gesehen, positive Aspekte werden nicht wahrgenommen. Es macht nichts Freude und man zieht sich zurück. Jeder fünfte bis siebente Österreicher erleidet im Laufe seines Lebens eine Depression. In den meisten Fällen führt das zum Glück nicht zu einer chronischen Erkrankung und mit Behandlung vergeht sie beim größten Teil innerhalb einiger Wochen.

Ist eine schwere depressive Episode eine Sonderform der Depression?

Der Schweregrad hat mit der Zahl und Intensität der Symptome zu tun. Es müssen nicht immer alle Symptome extrem schwer ausgeprägt sein. Außerdem muss man hier unterscheiden: Jemand kann auch sagen, er will nicht mehr leben, ohne unter einer psychischen Erkrankung zu leiden. Nicht jeder Suizidale ist depressiv. Zu wissen, was im Kopf von so jemandem vorgeht, ist extrem schwierig. Wir kennen Situationen, wo jemand zum Beispiel beim Autofahren plötzlich rasant aufs Gas steigt und das Leben vieler anderer riskiert. Das muss nicht aufgrund einer Krankheit sein.

Der Co-Pilot wollte seine Erkrankung offenbar vertuschen - wie stigmatisiert ist Depression heute noch?

Es ist heute eher akzeptiert als noch vor 20 Jahren, aber viele versuchen noch immer es zu verheimlichen. Oft wird eine körperliche Erkrankung vorgeschoben und die Patienten bitten, dass eine andere Diagnose hingeschrieben wird. Sie haben Angst, dass sich die Diagnose im Job negativ auswirkt oder dass Kollegen das mitbekommen.

Können möglicherweise Medikamente gegen Depressionen eine solche Tat begünstigt haben?

Die Rede ist von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und die sind nebenwirkungsarm. Es gibt Patienten, die unruhig oder gereizt gereizt und manchmal auch mit Aggressionen darauf reagieren, aber ich kenne keine Fälle, wo jemand einen Mord begeht. Das wäre etwas extrem Ungewöhnliches. Ich könnte mir eher vorstellen, dass der Pilot ihm verordnete Medikamente nicht genommen hat, weil er Angst hatte, dass sie in einem Bluttest erkennbar gewesen wären, als dass Medikamente so eine Tat begünstigt hätten.

Der Co-Pilot soll schon mit Anfang 20 unter psychischen Problemen gelitten haben. Ist das besonders jung für eine Depression?

Depressionen kommen in jedem Lebensalter vor.

Was sind Auslöser dafür?

Zum einen können lebensgeschichtliche Faktoren eine Rolle spielen, wie etwa Erfahrungen in der Kindheit. Aber auch aktuelle Situationen wie plötzliche Arbeitslosigkeit, eine Scheidung oder ein Todesfall. Außerdem spielen biologische Faktoren mit - hier verstehen wir bisher aber nur bruchteilhaft, wie das alles zusammenhängt und das Risiko erhöht.

In den Spekulationen ist mitunter auch die Rede von psychotischen Störungen - was halten Sie davon?

Eine psychotische Symptomatik würde üblicherweise länger bestehen, viele wären gar nicht in der Lage gewesen, ein Flugzeug zu fliegen.

Hätte man nicht erkennen müssen, dass jemand suizidal ist?

Wir wissen, dass viele Menschen völlig unauffällig und normal wirken, sobald die Entscheidung für den Suizid gefallen ist. Dann ist es oft auch für Fachleute schwierig, das richtig zu erkennen.

Könnte man eine Depression im Rahmen von jährlichen, psychologischen Tests überhaupt erkennen?

Es gibt Fragebögen, die vorsichtige Hinweise geben, ob jemand eine Depression hat. Das Ergebnis ist aber nicht identisch mit einer Diagnose - dazu gehört auch eine klinische Untersuchung. Bei jeder Krankheit kann jemand versuchen, einem etwas vorzumachen, aber man kann mit gezielten Fragen relativ viel herausbekommen. Wenn jemand gezielt ausweicht, ist die Frage, warum weicht er aus.

Eine letzte mögliche Theorie: Eine solche Tat als Reaktion auf eine andere körperliche Erkrankung mit fataler Diagnose?

Als rationaler Entschluss klingt das für mich nicht sehr typisch. Es gibt Leute, die suizidal werden, weil sie wissen, sie haben nicht mehr lange zu leben oder sie müssen in den Rollstuhl. Wenn noch ein weiterer Schicksalsschlag dazukommt, dann steigt die Gefahr, dass jemand suizidal wird. Das ist aber sehr hypothetisch.

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