Co-Pilot stieg trotz Krankschreibung ins Flugzeug

Die Bergung der Leichen verläuft unter schwierigsten Bedingungen.
Ein Attest lässt Rückschlüsse auf psychische Probleme des 27-Jährigen zu. Indes wurden 400 Leichenteile geborgen.

Der Kopilot, der den Absturz eines Airbus A320 der Germanwings über Südfrankreich am Dienstag offenbar absichtlich verursacht hat, war am Absturztag krankgeschrieben. Wie die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Freitag bekannt gab, wurde in seiner Wohnung eine zerrissene Krankschreibung für den Absturztag gefunden. Bis am Freitag wurden am Unglücksort rund 400 Leichenteile gefunden.

Zwei Ärzte schrieben ihn krank

Laut der Rheinischen Post vom Samstag hat es sogar zwei Krankschreibungen von zwei verschiedenen Ärzte gegeben. Offenbar ging es in einem Attest um die psychischen Probleme des Patienten. Die Krankschreibung soll von einem Neurologen und Psychiater im Rheinland stammen. Hätte der 27-Jährige dieses Attest Germanwings vorgelegt, hätte er wohl längere Zeit nicht fliegen dürfen, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Deshalb dürfte er die Krankschreibung zerrissen haben. Der Fluggesellschaft lag laut deren Angaben keine Krankschreibung vor.

Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft hatte zuvor mitgeteilt, dass bei der Durchsuchungen seiner Wohnungen "Dokumente medizinischen Inhalts" sichergestellt worden waren, die auf eine bestehende Erkrankung und entsprechende ärztliche Behandlungen hinweisen. Dabei seien unter anderem "zerrissene, aktuelle und auch den Tattag umfassende Krankschreibungen" gefunden worden. Das unterstütze "nach vorläufiger Bewertung" die Annahme, dass der Verstorbene "seine Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber und dem beruflichen Umfeld verheimlicht hat". In seiner Düsseldorfer Wohnung seien weder ein Abschiedsbrief noch Bekennerschreiben gefunden worden. Es gebe keine Anhaltspunkte für einen politischen oder religiösen Hintergrund.

Die Aussendung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf finden Sie hier.

Neue Richtlinien

Unterdessen haben immer mehr Fluglinien aufgrund der Geschehnisse beim Absturz ihre Regeln im Cockpit geändert. Demnach müssen die Cockpits in Zukunft immer von zwei Personen während eines Fluges besetzt sein. Am Freitag erließ die Austro Control im Auftrag des Verkehrsministeriums dazu eine Betriebstüchtigkeitsverlautbarung, die ab sofort für heimische Airlines gilt. Freitagnachmittag gab es mit den österreichischen Fluglinien Austrian Airlines und flyniki Gespräche, wie die Verlautbarung umzusetzen ist, hieß es aus dem Verkehrsministerium. Die Lufthansa führte ebenfalls die Zwei-Personen-Regel in allen Konzernteilen ein, ließ aber einen Zeitpunkt für die Umsetzung offen. Auch zahlreiche andere Fluglinien verpflichteten sich selbst zur Umsetzung der Zwei-Personen-Regel im Cockpit.

Die EU überlegte am Freitag ebenfalls wegen zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen. In den USA ist die Anwesenheit von zwei Personen im Cockpit einer Passagiermaschine seit längerem Pflicht.

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Warnung vor vorschnellen Reaktionen

Der Verband der Österreichischen Verkehrspiloten (Austrian Cockpit Association - ACA) warnte Freitagnachmittag vor vorschnellen Reaktionen. Man bedauere die Flugzeugtragödie zutiefst und sei in Gedanken mit den Opfern und deren Angehörigen, hieß es in einer Aussendung. Das schnell geforderte und zum Teil bereits schnell umgesetzte "Vier-Augen-Prinzip" im Cockpit könne aber auch Nachteile bedingen. Man sollte die Untersuchungsergebnisse abwarten. "Hüftschüsse" könnten gerade im Sicherheitsbereich auch negative Folgen haben, erklärte der Präsident des Verbandes, Peter Beer.

Am Unglücksort in Frankreich haben die Rettungskräfte bisher rund 400 Leichenteile geborgen. Es gebe einige Übereinstimmungen mit den DNA. Proben, die man von Angehörigen der Opfer gemacht hätte, teilten die Behörden mit. Es handle sich um einen extrem schwierigen Einsatz.

Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine treten bei der Fluggesellschaft kaum mehr Passagiere von ihren Flügen zurück als sonst. Die Zahl der Stornierungen sei nicht signifikant gestiegen, teilte ein Sprecher mit. Das Unternehmen bietet seit dem Unglück eine Kulanzregelung für Kunden an, die ihre Flüge vorerst absagen wollen.

Seyne-les-Alpes in den französischen Alpen: Nachdem sie am Vorabend an einer Gedenkfeier mit Vertretern von vier Religionen teilgenommen hatten, reisten die ersten Hinterbliebenen der 150 Todesopfer am Freitag mit einer Germanwings-Maschine ab. Die Stimmung an Bord war laut einem Konzern-Sprecher „ruhig und gefasst“. An der Unglücksstelle wurden im Laufe des Tages Dutzende weitere Angehörige erwartet, die von der Polizei vor Journalisten und Schaulustigen abgeschirmt werden. Für sie will Germanwings heute ein Betreuungszentrum eröffnen. Im benachbarten Le Vernet erinnert bereits eine erste Gedenkstelle an die Toten. Auf Französisch, Deutsch, Spanisch und Englisch ist zu lesen: „In Erinnerung an die Opfer des Flugzeugunglücks vom 24. März 2015.“

Am Limit

Experten suchten weiter nach dem zweiten Flugschreiber, Trümmerteilen und Leichen. Das gestaltet sich trotz des guten Wetters schwierig, da der Unglücksort sehr schwer zugänglich ist. Zu Fuß ist er für Ungeübte, wie die meisten Spurensicherer es sind, kaum erreichbar.

Für ihre Beförderung und den Abtransport der Toten und der Wrackteile werden Rettungshubschrauber eingesetzt. Deren Piloten kämpfen mit Wind, Nebel, aber auch großer emotionaler Belastung. Der Schock, dass es einer der ihren war, ein Pilot, der die Menschen an Bord des Jets umgebracht hat, und die Trauer sind groß. „150 Tote, das bedeutet 150 betroffene Familien“, sagt etwa David Girodet, selbst dreifacher Vater. „Aber wir können etwas für die Familien tun. Ihre Toten sollen ihnen übergeben werden.“

Damit das so schnell wie möglich passieren kann, wurde ein provisorisches Labor für die Identifizierung der Toten eingerichtet. Zu dieser werden persönliche Merkmale wie Größe, Augen- oder Haarfarbe und mögliche Narben herangezogen, aber auch Gegenstände wie Armbanduhren oder Eheringe. Endgültige Sicherheit gibt laut Experten aber nur ein DNA-Abgleich, etwa mithilfe einer Zahn- oder Haarbürste des Toten oder bei Kindern durch eine Speichelprobe der Eltern.
Tote Passagiere sollen nach einigen Wochen zur Bestattung freigegeben werden können. Bei Besatzungsmitgliedern wird das länger dauern, weil bei ihnen noch nach Alkohol oder Drogen im Blut gesucht werden könnte.

Nach dem Absturz bietet die Fluglinie nun ihren Kunden die Möglichkeit an, zukünftige Flüge kostenlos zu stornieren (allerdings nur telefonisch: 0180-632 03 20). Indes geht die Bergung vor Ort weiter. Am Mittwoch wurden schon die ersten Opfer geborgen (mehr dazu hier). Zugleich ging die Suche nach dem zweiten Flugschreiber in dem Trümmerfeld weiter.

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