Latte für Latte nagelten die Kinder aneinander, und irgendwann wurde aus dem Holz ein Floß. Einige Jahre ist das jetzt schon her, – die heute 13-jährige Magdalena Bayer war damals noch in der 1. Klasse Volksschule. Doch noch heute denkt die Schülerin, die die Lernwerkstatt im Wasserschloss Pottenbrunn (NÖ) besucht, gerne an dieses Erlebnis zurück.
Gelernt hat sie bei der Arbeit viel, nicht nur, wie man einen Hammer benutzt: „Wir haben trainiert, im Team zu arbeiten und mit verschiedenen Charakteren zurechtzukommen. Und wir haben uns Stoff in Mathe und Deutsch angeeignet, indem wir Hölzer gemessen, Flächen berechnet oder schwierige Wörter im Lexikon nachgeschlagen und buchstabiert haben.“ All das passierte unter Aufsicht, wie Theodor Feldner, Leiter der Lernwerkstatt, erläutert.
Beides hat seine Qualität
Für ihn hat das Lernen im Freien genauso seine Berechtigung wie im Klassenzimmer: „Beides hat seine Qualität.“ Gerade jetzt, wo viele Ansteckungen durch Corona fürchten, fühlen sich viele Lehrer mit ihrer Klasse in der Natur wohler: „Auch wenn mir bewusst ist, dass das nicht überall so einfach geht wie bei uns, wo wir viele Freiflächen rund um die Schule haben.“ Hier bedarf es kreativer Lösungen: Die meisten Standorte haben zumindest einen Park in der Nähe, den man auch gut nutzen kann.
Unterricht im Freien ist nicht immer so außergewöhnlich und kreativ, nicht immer werden Floße gebaut. Manchmal ist es dem Lernen im Klassenzimmer sehr ähnlich – auch wenn die Natur mehr Ablenkungen bietet als ein Innenraum. Feldner selbst unterrichtet Mathematik und nutzt die schönen Tage: Am Heurigentisch hat er mit einigen Prozent- und Bruchrechnen gelernt. „Geübt wird mit Stift und Papier – zusätzlich unterhalten wir uns darüber, wofür wir diese Formeln in unserem Alltag brauchen – was es zum Beispiel heißt, wenn schon 33 Prozent der Bevölkerung geimpft sind und dass das das etwa das Gleiche ist wie ein Drittel.“
Rechtlich
Laut Auskunft des Bildungsministeriums dürfen Klassen beliebig lange im Freien lernen – es wird ausdrücklich begrüßt, da dies das Infektionsrisiko senkt.
Webinar
Theodor Feldner und andere Experten haben über ihre Erfahrungen im Rahmen eines Online-Seminars von der Initiative „Schule im Aufbruch“ präsentiert. Mehr Infos auf der Seite: www.schule-im-aufbruch.at/ webinare/
Buchtipp
Stiftung Silviva: Draußen lernen, das Praxishandbuch für dislozierten Unterricht. (Ausgabe für Österreich), Hep Verlag, 42 Euro.
Auszüge mit Anregungen für den Unterricht kann man auf Homepage der Bildungsdirektion Kärnten downloaden.
Mit der Natur lernen
Gerne nutzt Feldner auch die Natur als Unterrichtsmaterial. Beispiel: Mit kleine Ästchen oder Zapfen kann man den Zahlenraum bis 100 verstehen. Die Kinder legen jeweils zehn Zapfen in eine Reihe, bis ein Haus mit 100 Zapfen entsteht – dann stellt die Lehrperson Aufgaben: Die Kinder sollen z. B. den 67. Zapfen in die Höhe halten. Oder die Kinder werden aufgefordert, 23 Zapfen zu entfernen – so verstehen sie, was Subtrahieren bedeutet.
Nicht nur Mathematik – jedes Fach ist für den Unterricht im Freien geeignet, wie Feldner erläutert: In Biologie kann man sich der Frage widmen, was derzeit blüht und wie es überhaupt dazu kommt, dass eine Blüte entsteht. In Geografie erlebt man in der Sandkiste, wie Erosionen entstehen, während die Kinder in Chemie versuchen, ein Feuer zu entfachen. Die Frage stellt sich da schnell, warum es manchmal gelingt und manchmal nicht. „Wenn Kinder Erfahrungen selber machen können, fördert das die Intelligenz“, weiß Feldner.
Dass das Draußenlernen seine Vorteile hat, weiß man im hohen Norden schon lange: In Dänemark findet immerhin an jeder fünften Schule zumindest einmal die Woche Unterricht im Freien statt. Dänische Wissenschafter haben sich die Folgen fürs Lernen angeschaut und die Ergebnisse in einer „Teachout-Studie“ zusammengefasst. Ergebnis: Kinder der dritten und sechsten Schulstufe, die regelmäßig draußen lernen, können im Schnitt besser lesen als eine Vergleichsgruppe. In Mathe schneiden sie zumindest nicht schlechter ab als drinnen lernende Gleichaltrige. Und eine deutsche Studie kommt zum Schluss: Kinder sind motivierter beim Lernen, körperlich aktiver – und im Vergleich zu im Klassenraum unterrichteten Kindern insgesamt glücklicher.
Und es macht Schüler, Eltern und Lehrpersonen entspannter, wenn viel Unterricht in der Natur stattfindet.
Wenn Feldner und sein Team erleben, mit wie viel Freude Kinder heute noch so alte Spiele wie Räuber und Gendarm spielen, kann er die Ergebnisse der deutschen Studie nur bestätigen. Auch Magdalena Bayer macht der Aufenthalt unter freiem Himmel Spaß: „Wenn ich merke, dass nichts mehr in meinen Kopf passt, gehe ich eine halbe Stunde raus und spiele Volleyball – dann geht es wieder.“
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