Wie sich ein holländisches Kind mit Affenpocken anstecken konnte
95 Prozent der Affenpocken-Fälle sind laut einer aktuellen Studie die Folge einer Infektion durch sexuelle Kontakte. Für die am Donnerstag im Fachmagazin New England Journal of Medicine veröffentlichte Untersuchung werteten Wissenschafter 528 bestätigte Infektionen in 16 Ländern zwischen dem 27. April und dem 24. Juni aus. Zwar dürfte sich das Virus besonders gut in bestimmten Netzwerken wie in MSM (Men, who have Sex with Men) ausbreiten, allerdings handelt es sich um keine Geschlechtskrankheit im klassischen Sinn.
Die Viren können durch jede Art von engem körperlichen Kontakt übertragen werden: Eine aktuelle Fallstudie aus Holland zeichnet die Infektion eines mit Affenpocken infizierten Kindes nach. Die Wissenschafter berichten, dass infizierte Kinder in Afrika eine Sterblichkeit zwischen 3,6 und 10,6 Prozent aufweisen.
Einzelne Infektionen bei Kindern sind bekannt: So in England, Deutschland oder auch in den Niederlanden. Ende Juni 2022 suchte ein 10-jähriger Bub mit seinen Eltern ohne relevante Vorgeschichte eine Kinder-Notaufnahme in Amsterdam auf.
Anfangs teilweise unspezifische Symptome:
- Fieber
- Schüttelfrost
- Kopf-, Rücken und Muskelschmerzen
- geschwollene Lymphknoten
- Erschöpfung
Hautveränderungen nach 1 bis 3 Tagen:
- Ausschlag:
- ausgehend von der Stelle der Infektion über den Körper
- ausgehend vom Gesicht über den Körper
- im Gesicht, an den Händen und Unterarmen
- im Mund und Rachenraum
- im Genitalbereich
- auf den Augen
- teilweise stark juckend oder schmerzhaft
- durchläuft die typischen Stadien: Flecken, Bläschen, Pusteln und Krusten
Im weiteren Verlauf:
- Bildung von Krusten
- Abfallen der Krusten
Der Inhalt der Bläschen ist hochinfektiös. Ansteckungsfähigkeit besteht, so lange Krusten vorhanden sind. Im Durchschnitt sind dies drei Wochen.
Quelle: Österreichisches Gesundheitsministerium
Drei Wochen vor dem Aufsuchen der Ambulanz litt der Bub an Halsschmerzen ohne Fieber, die am nächsten Tag spontan abklangen. Einen Tag später reiste er für einen einwöchigen Urlaub in die Türkei. Nach seiner Rückkehr bemerkte er zwei kleine runde Hautläsionen an seinem linken Unterkiefer und seiner Wange. (Sie können den Fall hier auf Englisch nachlesen.)
Der Bub ist gegen Feuchtblattern (Windpocken, Varizellen) - laut dem niederländischen Impfprogramm empfohlen - geimpft, zudem hatte er im Alter von 5 Jahren Windpocken. Der Hausarzt begann mit einer antimykotischen Creme, da er eine Pilzinfektion vermutete. In den folgenden Tagen traten weitere Läsionen im Gesicht des Kindes auf.
Der Hausarzt wurde erneut konsultiert und es wurde eine antibiotische Creme bei Verdacht auf Impetigo vulgaris, Borkenflechte, aufgetragen. Als rund 20 einzelne Läsionen an anderen Körperteilen auftraten, wurde das Kind mit dem klinischen Verdacht auf Affenpocken in das Krankenhaus überwiesen.
Bei der körperlichen Untersuchung beobachteten die Ärzte ein aufgewecktes Kind in insgesamt gutem Gesundheitszustand mit stabilen Vitalparametern und ohne Fieber, wie es in der Fallstudie heißt. Es gab keine vergrößerten Lymphknoten am Hals, in den Achselhöhlen oder in der Leistengegend. Leber und Milz schienen beim Abtasten des Abdomens (Bauch) nicht vergrößert zu sein.
Die scharf abgegrenzten, rot-braunen Bläschen befanden sich auf einem Ohr, dem Unterkiefer, beiden Unterarmen, beiden Oberschenkeln und auf dem Rücken. Es wurden keine Läsionen in der Mundhöhle oder im Genitalbereich festgestellt.
Sexuelle Übertragung konnte ausgeschlossen werden
Da der Hauptübertragungsweg bei dem Großteil der Fälle mit sexuellen Aktivitäten zusammenhängt, schlossen die behandelnden Ärzte die Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs durch eine sorgfältige Anamnese aus, außerdem wurde das Kind auf Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien, HIV-Infektion und Hepatitis B und C geteste - alles negativ. Ein PCR-Test auf Varizella-Zoster-Viren in der Bläschenflüssigkeit war ebenfalls negativ.
- direkter Kontakt mit dem Ausschlag von Affenpocken-Infizierten (z.B. Bläschen, Schorf)
- direkter Kontakt mit Körperflüssigkeiten von Affenpocken-Infizierten
- direkter Kontakt mit Schleimhäuten von Affenpocken-Infizierten
- Tröpfcheninfektion bei direktem engen Kontakt von längerer Dauer
- direkter Kontakt mit Virus-kontaminierten Objekten (z.B. Bettwäsche, Kleidung)
- vermutlich über die Plazenta (von der Mutter auf den Fötus)
- vermutlich über den Geburtsvorgang (von der Mutter auf den Fötus)
Nach aktuellem Wissensstand findet die Übertragung von Mensch zu Mensch nur statt, während Symptome vorliegen, jedoch nicht in der Inkubationszeit.
Quelle: Österreichisches Gesundheitsministerium
Die Proben für den Affenpocken-Nachweis wurden aus Blut, Rachen, Analbereich, Hautbläschen und Urin entnommen. Alle gewonnenen Proben mit Ausnahme des Urins wurden positiv getestet.
Laut Sequenzierung des gesamten Genoms der Blasenflüssigkeit handelt es sich um jene B.1-Linie (Klade 3) der Affenpocken, die für den aktuellen Ausbruch in Europa verantwortlich ist. Das Fehlen von gemeinsamen genomischen Übertragungsmarkern erschwerte die Rekonstruktion einer spezifischen Übertragungskette. Die Familienmitglieder - die Eltern und zwei Geschwister - wurden negativ getestet.
Eigene Handtücher auf Liegen im Familienurlaub
Unmittelbar nach der Bestätigung der Diagnose wurde eine Quellen- und Kontaktverfolgung eingeleitet. Beim Public Health Service (PHS) Amsterdam wurde ein Ausbruchsteam mit Klinikern und einem medizinischen Mikrobiologen zusammengestellt. Das Team führte die Risikobewertung, die Risikoklassifizierung und die Kontrollmaßnahmen (einschließlich der Isolierung) für den Patienten und seine Kontaktpersonen durch und koordinierte die Risikokommunikation zusammen mit Experten des niederländischen Zentrums für übertragbare Krankheiten.
Es konnte keine potenzielle Quelle ermittelt werden. Das Kind hatte keinen Kontakt zu Personen mit einer nachgewiesenen oder möglichen Affenpocken-Infektion. Während des Familien-Urlaubs in der Türkei hatte die Familie die Liegen am Pool stets mit ihren eigenen Handtüchern abgedeckt, zudem gab es keinen engen Kontakt mit anderen Gästen.
Hochrisikokontakte wie die Eltern, ein Freund und ein Geschwisterkind erhielten umgehend den Pockenimpfstoff Imvanex. Die Schule und der Sportverein, die der Patient während der Ansteckungszeit besuchte, wurden informiert. Die Kontaktpersonen in der Schule und im Sportverein wurden als risikofrei oder risikoarm eingestuft und aufgefordert, sich bei den örtlichen Behörden zu melden, um sich testen zu lassen, falls Symptome auftreten sollten. Es erkrankte niemand.
Wie hat sich das Kind angesteckt?
Wie sich das Kind angesteckt haben könnte, blieb trotz intensiver Nachforschungen offen. Laut Fallbeschreibung ist es durchaus möglich, dass das Kind in engem Kontakt mit einer infektiösen Person oder einem kontaminierten Gegenstand stand, der nicht als solcher erkannt wurde. Während die beschriebene Inkubationszeit zwischen fünf und 21 Tagen variieren kann, wurde die mittlere Inkubationszeit bei bestätigten Patienten in den Niederlanden auf 8,5 Tage geschätzt. Dies würde auf eine Infektion Anfang Juni 2022 hindeuten.
Dies könnte jedoch ungenau sein, da der Übertragungsweg in diesem Fall ein anderer war, was wiederum die Inkubationszeit verlängert haben könnte. Zufälligerweise wurde bei dem Patienten auch ein Mangel an IgA-Antikörpern diagnostiziert. In Anbetracht der Tatsache, dass IgA das Virus auf der Schleimhautebene neutralisiert, deutet dies darauf hin, dass die Übertragung über die Atemwege eine Rolle gespielt haben könnte.
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