Wie mild ist Omikron? Warum die Antwort nicht eindeutig ist
Seitdem Omikron vor zehn Wochen in Südafrika entdeckt wurde, infizierten sich laut WHO 90 Millionen Menschen mit der Coronavirus-Variante. "Wir sehen jetzt in den meisten Regionen der Welt einen sehr besorgniserregenden Anstieg der Todesfälle. Es ist für jedes Land verfrüht, entweder zu kapitulieren oder den Sieg zu erklären", warnte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Mittwoch vor der Weltgemeinschaft.
Das Ende der Omikron-Welle ist in Österreich nicht in Sicht. Das zeigt auch die Corona-Ampel, die diese Woche tiefrot bleibt. Am Donnerstag wurden 38.135 Neuinfektionen und 24 Tote binnen 24 Stunden gemeldet. Tendenziell ungünstig ist, dass der Fallanstieg bei den Über-65-Jährigen mit 51 Prozent klar über dem der Gesamt-Bevölkerung mit 31 Prozent liegt. Insgesamt machen die Senioren jedoch nur sechs Prozent der Gesamtfälle aus.
Modellrechner Niki Popper schlüsselte für Österreich aktuell auf, dass rund zwei Drittel der Österreicher immun gegen Omikron seien. Warum? Etwa ein Fünftel der Bevölkerung profitiert demnach von der Impfung, ein knappes Drittel hat seinen Immunschutz sowohl durch die Impfung als auch durch eine Infektion erhalten. Weitere 16 Prozent sind ungeimpft, haben aber eine Infektion hinter sich und dadurch Omikron-spezifische Antikörper aufgebaut.
Studien legten nahe, dass Omikron für Ungeimpfte um rund ein Viertel milder sei gegenüber der Delta-Variante. Wer bei den bisherigen Varianten ein hohes Risiko hatte zu erkranken - zum Beispiel durch Alter, Übergewicht oder Vorerkrankungen -, hat bei Omikron ein leicht verringertes Risiko.
Das medizinische Fachjournal New England Journal of Medicine geht jetzt der Frage nach, ob Omikron tatsächlich milder ist als sein Vorgänger oder ob der Eindruck täuscht, weil die Virusvariante auf eine hochimmune Gesellschaft trifft.
Was in Südafrika passierte
Die rasche Ausbreitung von Omikron hat in ganz Südafrika zu weniger Krankenhauseinweisungen und Todesfällen geführt als bei früheren Covid-19-Wellen, wie das Fachjournal berichtet. Eine Beobachtung, die gerne auf eine dem Virus eigene Tendenz dieser Variante zurückgefhührt wird: Dass also das veränderte Virus selbst milder ist und weniger schwere Krankheiten verursacht als Delta.
Ein wichtiger Faktor, der bei der Interpretation des Schweregrads der Omikron-Pandemie berücksichtigt werden sollte, ist der Grad der Immunität in den betroffenen Bevölkerungsgruppen, wie die bekannten Autoren Roby P. Bhattacharyya und William P. Hanage ausführen.
Nach drei vorangegangenen Wellen - die von den Varianten D614G, Beta und Delta dominiert wurden - meldete Südafrika Mitte November 2021 die niedrigste tägliche Fallzahl seit den ersten Tagen der Pandemie.
Obwohl diese kurze Phase der Kontrolle sicherlich auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist, wird angenommen, dass die während der vorangegangenen Wellen (insbesondere der Delta-Variante) erworbene Immunität und ein Mitte 2021 eingeleitetes Impfprogramm, das vorrangig ältere Menschen betraf, einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben.
Omikron wurde also in eine südafrikanische Bevölkerung eingeführt, die über eine wesentlich stärkere Immunität verfügte, als dies bei früheren SARS-CoV-2-Varianten der Fall gewesen war - insbesondere bei Personen, die das größte Risiko für schwere Verläufe aufwiesen.
Außerdem hat sich gezeigt, dass Omikron weitaus besser als frühere Varianten in der Lage ist, Menschen zu infizieren, die aufgrund einer Impfung oder einer früheren Infektion bereits einen gewissen Grad an Immunität besitzen, obwohl Auffrischungsimpfungen das Infektionsrisiko verringern und die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen Krankenhausaufenthalte weitgehend erhalten bleibt.
Die Sterblichkeitsrate sei ein wichtiges Maß für die Schwere einer Infektion, so die Wissenschafter, aber nicht alle Infektionen werden erfasst, und der Anteil der entdeckten Fälle kann sich im Laufe der Zeit ändern. Es ist daher wichtig, zwischen der Sterblichkeitsrate und der sogenannten Infektionssterblichkeitsrate zu unterscheiden, zumal schwerwiegendere Infektionen mit größerer Wahrscheinlichkeit erfasst werden.
Die zunehmende Immunität der Bevölkerung erschwert Vergleiche zwischen dem Schweregrad von Omikron auf Bevölkerungsebene - gemessen anhand der Sterblichkeitsrate und der Infektionssterblichkeitsrate - und den früheren Varianten, da bei Menschen mit bereits bestehender Immunität weniger schwere Folgen einer nachfolgenden Infektion zu erwarten sind.
Wie schwer eine Person mit bereits bestehender Immunität erkrankt, hängt nicht nur von der Virusvariante, sondern auch vom Infizierten ab.
Wenn solche Infektionen durch Varianten wie Delta mit geringerer Fähigkeit zur Immunumgehung verursacht werden, ist davon auszugehen, dass in der Population mit bestehender Immunität, ein unverhältnismäßig hoher Anteil von infizierten Personen mit weniger wirksamen Immunantworten zu finden ist: sei es aufgrund von immunologischen Defekten, einer weniger starken Immunantwort auf Impfungen, früherer Infektionen oder dem Abklingen einer zuvor schützenden Immunantwort.
Wenn dagegen die Fähigkeit einer Variante, das Immunsystem zu überwinden, hauptsächlich durch ihre eigenen Eigenschaften, einschließlich eines abweichenden Spike-Proteins, bestimmt wird, könnten mehr Menschen mit einer robusten Immunantwort infiziert werden - und ihre Infektionen könnten weniger schwere Folgen haben.
Jeder dieser Faktoren würde tendenziell dazu führen, dass die Sterblichkeitsrate oder vielleicht auch die Sterblichkeitsrate bei Durchbruchsinfektionen, auf eine niedrigere Rate als bei früheren Varianten sinkt, selbst wenn die Omikron-Variante das gleiche Potenzial hat, schwere Krankheiten zu verursachen.
Omikron um 25 Prozent milder als Delta
Beim Vergleich von Krankenhausaufenthalten oder Todesfällen, die durch Varianten mit unterschiedlicher Übertragbarkeit verursacht werden, muss auch die Zeitspanne zwischen der Infektion und den schweren Folgen berücksichtigt werden. Selbst wenn zwei Varianten die gleiche Verzögerungszeit haben, wird ein Vergleich, der diese Verzögerung nicht berücksichtigt, den offensichtlichen Schweregrad der weniger übertragbaren Variante künstlich aufblähen.
Nur zwei Studien (beide hier und hier im Original) haben versucht, die Auswirkungen nicht dokumentierter früherer Infektionen zu modellieren, um den Schweregrad von Omikron im Vergleich zu Delta abzuschätzen. Die Ergebnisse besagten, dass Omikron bei einer ungeimpften Person ohne SARS-CoV-2-Infektion in der Vorgeschichte mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent einen Krankenhausaufenthalt auslöst im Vergleich zu Delta.
Dieser aussagekräftige, aber recht geringe Unterschied bedeutet laut dem Fachjournal, dass Omikron, Alpha und der Wildtyp einen ähnlichen Schweregrad aufweisen.
"Viren entwickeln sich nicht zwangsläufig in Richtung weniger krank machend; die Evolution wählt einfach diejenigen aus, die sich besonders gut vermehren. Im Fall Erkrankung mit Covid-19, bei der die überwiegende Mehrheit der Übertragungen stattfindet, bevor die Krankheit schwerwiegend wird, wird möglicherweise nicht nach einem geringeren Schweregrad selektiert. Tatsächlich scheinen frühere SARS-CoV-2-Varianten mit erhöhter Übertragbarkeit (z. B. Alpha und Delta) einen höheren intrinsischen Schweregrad aufzuweisen als ihre unmittelbaren Vorfahren oder die zuvor dominante Variante."
Um die eigentlichen Fähigkeiten von Omikron zu bestimmen, sind mehr Zeit und sorgfältige Vergleiche erforderlich, bei denen Faktoren wie Alter, vorhandene Immunität, Krankenhauskapazität berücksichtigt werden müssen. In Anbetracht der bemerkenswerten Geschwindigkeit, mit der sich Omikron verbreitet hat, werden die gesellschaftlichen Auswirkungen wahrscheinlich beträchtlich sein, insbesondere wenn man bedenkt, dass der Schweregrad höher ist, als grobe Vergleiche vermuten lassen, so die Wissenschafter.
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