"Im Islam verboten": Was Impfkritiker glauben
Bei manchen ist es die Angst vor Spritzen, bei anderen die vor Allergien, wieder andere sind schlicht falsch informiert – die Ursachen dafür, dass Menschen bisher nicht geimpft sind, sind sehr unterschiedlich. Naghme Kamaleyan-Schmied, Hausärztin in Wien-Floridsdorf, kennt mittlerweile viele Geschichten – und sie hört genau zu.
"Ich versuche die Ängste wahrzunehmen und zu vermitteln, dass Ungeimpfte keine Patienten zweiter Klasse sind. Ich zwinge niemanden, aber ich erzähle von Covid-Patienten, die ich kenne, und wie die Krankheit verläuft", sagt Kamaleyan-Schmied. Oft fordert sie die Patienten auf, zuhause noch einmal über alles nachzudenken. "Manche kommen am nächsten Tag zur Impfung, mit anderen führe ich vier, fünf Gespräche." Vor kurzem impfte sie an einem Tag 14 Patienten – jeder ein Erfolgserlebnis. "Es gibt natürlich auch Menschen, die Horrorgeschichten erzählen, wo ich mich frage, woher sie das haben. Viel Falsches lässt sich aber einfach aufklären."
"Im Islam verboten"
Einige türkische Patienten wollten sich etwa nicht mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer impfen lassen, weil sie dachten, die Impfung wäre im Islam verboten. "Ich habe ihnen erklärt, dass in der Türkei genauso mit Biontech geimpft wird, und das war erfolgreich. Das sind keine Impfgegner, sondern es ist falsches Wissen, das sich da verbreitet hat."
Eine weiteres Beispiel für ein Missverständnis ist eine Patientin, die fragte, was die Impfung mit Schnecken zu tun habe – sie hatte eine Impfwerbung mit Herbert Prohaska gesehen und seinen Spitznamen "Schneckerl" nicht gekannt. Kamaleyan-Schmied: "Die Werbung war sehr gut, aber zurechtgeschnitten für Ur-Wiener. Menschen mit Migrationshintergrund, die die Sprache nicht gut sprechen, verstehen das nicht."
Nach wie vor gebe es Patienten, die überzeugt sind, Covid-19 sei "wie eine Grippe", "der Onkel habe nur milde Symptome gehabt". Ihnen berichtet Kamaleyan-Schmied von Long Covid, von Patienten, die nicht mehr leistungsfähig sind – trotz mildem Verlaufs. Ihr Vorteil als Hausärztin sei, dass sie meist die ganze Familie kenne und daher mehrere erreiche.
Hausärzte vernachlässigt
Problematisch findet sie, dass diese Gespräche nicht ausreichend honoriert werden. "Die Zuwendungsmedizin wird in Österreich stiefmütterlich behandelt. Es gibt eine Gesprächsposition in der Verrechnung, allerdings hat diese ein Limit von 20 Prozent, das heißt, wenn 100 Patienten kommen, darf ich die Gespräche nur bei 20 verrechnen."
Auch dass die Hausärzte in den Impfkampagnen oft vernachlässigt werden, versteht sie nicht. Aktuell werde beispielsweise die Drittimpfung nur in der Impfstraße beworben. "Dass Hausärzte sie ebenso verabreichen, wird nicht erwähnt. Welcher Patient soll sich da noch auskennen?" Viele hätten Fragen, die Hausärzte in Ruhe beantworten könnten, in der Impfstraße kennt man den Arzt in der Regel nicht.
Austausch im Netz
Für die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr ist die Beziehung zwischen Allgemeinmedizinern und Patienten der Schlüssel zur Impfbereitschaft. "Die Patienten wissen, ich bin da, wenn etwas ist. Da gibt es eine Verbindlichkeit, da ist jemand, der mich ernst nimmt."
Kellermayr steht mit vielen Patienten über Social Media in Kontakt, manche schicken ihr Fragen zur Impfung. "Man muss ganz klar unterscheiden zwischen Impfkritikern, die Ängste haben, und absoluten Gegnern, die gar nicht bereit sind, sich medizinisch auseinanderzusetzen. Bei kritischen Menschen kann man mit Aufklärung sehr viel erreichen", meint Kellermayr. Manche Argumente könne sie nachvollziehen, etwa die Sorge Schwangerer um ihr Kind. Umso schmerzlicher sei es, wenn dann genau diese ungeimpften Schwangeren mit Covid-19 auf der Intensivstation liegen. Darum ist Kellermayr im Netz aktiv, kommentiert Beiträge – Verschwörungstheorien und Falschaussagen möchte sie nicht einfach stehenlassen.
Manche Politiker "verantwortungslos"
Großen Effekt auf die Impfbereitschaft habe es, wenn Menschen aus dem nahen Umfeld schwer erkranken oder Long-Covid auftritt. Vielen werde so vor Augen geführt, dass nicht stimmen kann, was sie bisher geglaubt haben. "Ich kann es niemandem verübeln, dass er der Politik in Bezug auf die Pandemie nicht mehr traut. Manche Aussagen, etwa, dass die Pandemie vorbei wäre, oder Politiker, die öffentlich gegen die Impfung auftreten, halte ich für verantwortungslos", so die Allgemeinmedizinerin.
Ein Aspekt, der viel zu wenig diskutiert werde, seien die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Long Covid. "Arbeitsunfähigkeit und Jobverlust sind sehr konkrete Risiken – jeder sollte sich fragen, ob er bereit ist, dieses Risiko einzugehen", betont Kellermayr. Jeder Erwachsene habe die Pflicht, sich mit der Impfung auseinanderzusetzen und dann für sich eine Entscheidung zu treffen.
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