Wie Klinikseelsorger Corona-Patienten Hoffnung geben
Sie gehören neben medizinischem Personal zu den wenigen erlaubten Besuchern für Covid-Kranke. Wie sie die Menschen unterstützen und welche Antwort sie auf die Frage „Warum ich?“ geben.
Bevor Monika Huber zu einer Patientin oder einem Patienten geht, schlüpft sie erst einmal in ihre „Verkleidung“, wie sie sagt: ein Mantel, zwei Paar Handschuhe, eine FFP3-Maske, die Schuhe mit Einmalschuhen verdeckt, ein Visier, eine Schutzbrille, zwei Hauben. Für die 58-Jährige sind die hygienischen Maßnahmen Routine geworden, ihre Arbeit hat sich aber im vergangenen Jahr deutlich verändert. Als Klinikseelsorgerin in der Wiener Klinik Floridsdorf sowie einem Pflegeheim sind für sie normalerweise Augenkontakt, Sprache und Berührung zentral – zumindest die letzten beiden fallen mit der Schutzausrüstung schwer. „Wir müssen mit innovativen Ideen arbeiten. Herausfordernd ist die deutliche Sprache, sie muss wirklich sehr exakt und langsam sein, sodass der Patient mich trotz Maske versteht. Die Stimme macht viel aus, damit der Mensch merkt, da ist jemand, der jetzt da ist für mich. Ich sage immer, es ist das innere Berühren trotz Nicht-Berühren“, sagt Huber.
Hoffnungsträger
Vor zehn Jahren machte die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin die Ausbildung zur Pastoralassistentin, seit fünf Jahren arbeitet sie in der Klinikseelsorge. Scheinbare Kleinigkeiten sind oft Hoffnungsträger, etwa die Botschaft „Du bist wichtig“. Insbesondere Covid-Patienten, die je nach Schwere ihrer Erkrankung, mitunter keine anderen Menschen sehen als Ärzte und Pflegepersonal, kann das viel Kraft geben. Wie dem älteren Ehepaar, das sie besuchte: Huber brachte die Wünsche der Frau auf der Normalstation zu ihrem schwerkranken Mann auf die Intensivstation. Oder der 65-Jährige, der sich aufgrund einer Behinderung von Tag zu Tag nicht erinnern konnte, warum er im Krankenhaus ist, dem Huber immer wieder seine Lage erklärte. Oder die zwei Schwestern, mit denen sie betete, als der Vater im Sterben lag. „Die Menschen spüren, dass wir wirklich da sind und nicht auf die Uhr schauen. Meine Aufgabe ist, sie aussprechen zu lassen, was sie aussprechen möchten“, sagt Huber.
Eine Frage, die bei den meisten Covid-Patienten aufkommt, ist die Schuldfrage: Warum gerade ich? Warum passiert das gerade mir, ich habe eh so aufgepasst? Viele Patienten sorgen sich um ihre Angehörigen daheim: Kommt der Ehepartner zurecht, wenn man im Spital liegt? Wie geht es anderen Familienmitgliedern? Auch die Angst, dass es einem bald schlechter gehen könnte, ist ein großes Thema.
Die Frage „Muss ich jetzt sterben?“ wird nicht immer ausgesprochen, oft ist sie für Monika Huber fühlbar. „Ich kann nicht die Antwort geben, warum gerade sie betroffen sind, aber ich kann bei ihnen sein und schauen, dass sie einen positiven Aspekt bekommen, dass wir das gemeinsam schaffen und überwinden. Wenn man aber sieht, es geht jemandem immer schlechter, dann rede ich nicht unentwegt positiv. Dann kann es sein, dass wir auch gemeinsam schweigen. Man muss es aushalten können, wenn dem Patienten die Tränen herunterrinnen, zu schweigen“, erzählt Huber. Für Außenstehende könne das so aussehen, als ob sie gar nichts tue, aber allein dass jemand da ist, demgegenüber man seine Ängste und Gefühle zeigen kann, ist für viele Covid-Patienten hilfreich.
Nicht allein lassen
Auch Klaus Niederwimmer, evangelischer Klinikseelsorger in Innsbruck und Hall in Tirol, kennt diese Situation gut. Der 64-Jährige war viele Jahre als Gemeindepfarrer tätig, seit sieben Jahren ist er in der Klinikseelsorge. Bereut hat er diesen Schritt nie, obwohl die erste Zeit der Pandemie bei ihm „mulmige Gefühle“ erzeugte: „Am Anfang, wo man ganz wenig gewusst hat, hatte ich auch Sorge um meine eigene Gesundheit. Diese Sorge wurde aber schnell überlagert durch das Wissen, dass wir etwas Gutes für Menschen in dieser schwierigen Krankheitssituation tun können. Die Seelsorger waren anfangs die Einzigen, die abseits des medizinischen Personals überhaupt Zugang zu den Patienten hatten. Zum Teil durften überhaupt keine Angehörigen kommen, aber man hat Gott sei Dank bald gesehen, dass man Menschen in dieser Extremsituation nicht allein lassen darf“, erzählt Niederwimmer.
Er besuchte in der ersten Zeit vor allem Menschen, die nicht mehr ansprechbar waren, etwa weil sie im künstlichen Tiefschlaf lagen. „Der Kontakt in dieser Phase ist sehr schwierig, denn was ich sonst stark anwende, Zuwendung und Berührung, Auflegen der Hände, diese Dinge sind nicht möglich, wenn man die Schutzausrüstung trägt. Ich habe mit viel Fantasie versucht, die Nähe, die für unsere Arbeit so wichtig ist, dennoch aufzubauen – über eine Karte mit einem schönen Motiv, das ich Patienten hingehalten habe oder einem Kreuzchen, das ich in die Hände gelegt habe. Das kann die übliche Nähe in der Seelsorge aber nicht wettmachen“, sagt Niederwimmer.
Enger Austausch
Mit Ärzten und Pflege besteht ein enger Austausch, Klinikseelsorger sehen sich als Ergänzung dieser Teams, nicht aber als Psychologen. „Wir haben gemerkt, dass es für die Pflege sehr wichtig ist, dass jemand da ist, der sie entlastet, auch wenn man nicht viel machen kann. Das Pflegepersonal ist an seinen Grenzen und auch sie können mal zu uns sagen, was sie beschäftigt oder einfach ein paar Worte wechseln, wenn sie bereits zehn Stunden im Schutzanzug unterwegs sind. Vielen ist nicht bewusst, welche Belastung das für das medizinische Personal ist“, betont Niederwimmer.
Im Lauf der Pandemie habe er sehr viel Menschlichkeit im System Krankenhaus entdeckt. Sehr berührt hat ihn etwa, dass Ärzte und Pflegepersonal bei Verabschiedungen verstorbener Patienten oft geblieben sind. „Sie haben gezeigt, uns ist dieser Mensch wichtig, wir möchten da sein, wenn es ans Sterben geht. Das hat mich menschlich sehr beeindruckt“, erzählt er.
Die Dauer der Besuche von Klaus Niederwimmer und Monika Huber liegt bei mindestens einer halben Stunde – nach oben offen. Auf Wunsch besuchen sie Patienten auch mehrmals, manchmal nur einmal. Die Religion spielt dabei kaum eine Rolle. „Wir sehen uns nicht als Missionare und sind für alle Konfessionen und auch für Konfessionslose da“, sagt Huber. Ihre Kraft für die Arbeit mit den Patienten schöpfe sie aber aus ihrem Glauben und aus den Dankesbekundungen von Patienten, Angehörigen und der Klinik.
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