Wie groß ist das Ansteckungsrisiko im Freien wirklich?
In den vergangenen Tagen sorgten Fotos von jungen Erwachsenen, die sich am Wiener Donaukanal treffen, für teils heftige Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Die wärmeren Temperaturen verleiten aber nicht nur Junge dazu, in Parks und an beliebten öffentlichen Plätzen zusammenzukommen. Doch wie wahrscheinlich ist die Ansteckung im Freien, auch hinsichtlich der neuen Virusvarianten?
Treffen im Park oder auf öffentlichen Plätzen sind nicht so gefährlich, wie manche vielleicht denken, sondern sogar wünschenswert, betonen der Public Health Experte Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien und der Virologe Norbert Nowotny von der Veterinärmedizinischen Universität Wien auf KURIER-Nachfrage. „Wir dürfen das nicht so eindimensional sehen. Neben dem Schutz vor dem Virus gehören auch Bewegung an der frischen Luft, Sonne und soziale Kontakte zur Gesundheit“, sagt Hutter. Die Ansteckungsgefahr ist im Freien auch trotz der neuen Varianten nicht mit der von Innenräumen zu vergleichen, wie Studien zeigen: Bis zu 19-mal höher ist das Risiko indoor. Ist ein Superspreader dabei, sogar bis zu 33-mal höher. Voraussetzung für das geringere Risiko ist aber, einen Abstand von mindestens zwei Metern zu anderen einzuhalten.
Tröpfcheninfektion im Freien
Zwar sind die Ansteckungswege drinnen und draußen prinzipiell die gleichen, nämlich Tröpfcheninfektion, eine Infektion über Aerosole sowie Schmierinfektion. Allerdings ist vor allem die Tröpfcheninfektion im Freien ein Thema, weshalb man unbedingt den Zweimeterabstand einhalten sollte, betont Nowotny. Ist dies nicht möglich, sollte man eine FFP2-Maske tragen. Das gilt insbesondere für Menschenansammlungen, die allerdings gemieden werden sollten.
Die derzeit stark verbreitete britische Virus-Variante B.1.1.7 ist zwar infektiöser als der Wildtyp, steht aber einem Treffen im Freien zumindest nicht mehr im Weg als andere Varianten. Wichtig ist, den Mindestabstand auch über längere Zeit einzuhalten, empfiehlt Hutter. Der Abstand sei allerdings abhängig von der jeweiligen Aktivität. Zwei Meter seien das Minimum, aber "wenn zum Beispiel laut und kräftig gesungen wird, könnten die Tröpfchen weitere Wege zurücklegen. Chorproben sind im Freien zum Beispiel kein Problem. Man muss dann aber den Abstand entsprechend vergrößern", rät Hutter.
Kaum Ansteckung durch Aerosole
Aerosole, die drinnen stark zur Übertragung beitragen, spielen im Freien kaum eine Rolle, betont Aerosolforscherin Bernadett Weinzierl von der Uni Wien. Die deutsche Gesellschaft für Aerosolforschung hat dies auch in einem Positionspapier zum Thema festgehalten. „Im Freien weht der Wind und das Luftvolumen ist viel größer. Damit wird die ausgeatmete Luft sehr schnell verdünnt, wodurch die Konzentration der ausgeatmeten Aerosolpartikel nach unten geht“, so Weinzierl. Während sich die ausgeatmeten Partikel in Räumen anreichern, werden sie im Freien verdünnt. Weinzierl: "Die Luftzirkulation ist umso besser, je weniger der Wind gebremst wird. In einer windgeschützten Nische auf einer Terrasse werden die ausgeatmeten Aerosolpartikel schlechter bzw. langsamer verdünnt als auf einer freien Fläche im Park. Es gibt zwar im Freien keine Anreicherung der Aerosolpartikel, das Übertragungsrisiko ist aber nicht Null, insbesondere, wenn man sich in einer Menschenmenge mit ein paar infizierten Personen aufhält."
Es gibt zwar im Freien keine Anreicherung der Aerosole, das Übertragungsrisiko ist aber nicht Null, insbesondere, wenn man sich in einer Menschenmenge aufhält, wo einige infiziert sind“, betont Weinzierl. Sie empfiehlt im Freien in Bewegung zu bleiben: „Wenn ich sichergehen möchte, ist es besser bei einem Treffen nebeneinander und mit Abstand spazieren zu gehen, als sich gegenüberzusitzen.“
Nicht vergessen werden dürfe, dass auch bei einem Treffen im Freien vielleicht jemand einmal auf die Toilette in einem Innenraum muss. „Die ist vielleicht schlecht belüftet, vielleicht war vorher jemand drinnen, der infiziert ist. Es gibt Berichte von Leuten, die sich zwar draußen getroffen haben, dann aber am selben WC waren wie eine infizierte Person und sich so dann doch angesteckt haben“, sagt Weinzierl.
Schmierinfektion unwahrscheinlich
Der dritte häufige Übertragungsweg, die Infektion mittels Schmierinfektion, ist laut Nowotny im Freien unwahrscheinlich. Sie passiert vor allem dann, wenn eine infizierte Person in die Hand niest oder hustet statt ins Taschentuch oder die Ellenbeuge und dann etwa eine Türschnalle angreift. Der nächste, der die Türschnalle berührt, kann dadurch Viren auf seine Hand bringen und in weiterer Folge zu den Schleimhäuten in Mund und Nase, wodurch es zu einer Infektion kommt. Im Außenbereich gibt es im Vergleich zu Innenbereichen wenige Oberflächen, die man angreift – außer auf Spielplätzen, wo Kinder zahlreiche Spielgeräte berühren.
Hier kann das Wetter einen Einfluss haben. „Viren können auf Oberflächen austrocknen, wenn es warm ist, auch UV-Licht spielt eine Rolle. Ist es aber kühl oder regnerisch, ist das Risiko sich mittels Schmierinfektion anzustecken, drinnen wie draußen ähnlich“, sagt Nowotny. Die Hoffnung, dass die höheren Temperaturen das Ansteckungsrisiko generell senken, ist aber falsch. Viren sterben erst ab einer Temperatur von mindestens 60 Grad ab. Für eine Tröpfcheninfektion macht das Wetterdaher keinen Unterschied. Die Abstandsregeln gelten in Frühlung und Sommer unverändert.
Indirekter Effekt des Wetters
Im Dezember berichteten Forscher im Fachjournal „Pnas“, dass der Einfluss von UV-Strahlung auf die täglichen Wachstumsraten der Infektionen deutlich geringer ausfiel als die Effekte von Hygiene- und Abstandsregeln. Andere Umweltfaktoren wie Luftfeuchtigkeit oder Temperatur zeigten keinen statistisch signifikanten Zusammenhang.
Auch die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) warnte: Aufgrund wärmerer Temperaturen sollten die Maßnahmen zur Eindämmung nicht gelockert werden. "Wir haben Infektionswellen auch in warmen Jahreszeiten und in in warmen Regionen beobachtet und es gibt keine Evidenz dafür, dass das in diesem Jahr nicht wieder passieren könnte", sagt etwa Ben Zaitchik, von der Johns Hopkins University in den USA.
Allerdings ist laut Nowotny und Hutter ein indirekter Einfluss der Wärme zu beobachten: Freiräume können besser und länger genutzt werden – das reduziere die Infektionsgefahr. Es könnte zwar sein, dass es im Infektionsgeschehen einen gewissen Rhythmus gibt, man wisse aber nicht wirklich was dahinter steckt, sagt Hutter. "Wir wissen, dass das Virus wenig UV-beständig ist." Das mache aber im Freien für eine Ansteckung kaum einen Unterschied, wenn man quasi "die Köpfe zusammensteckt". Abstand sei eben ein sehr wirkungsvoller Schutz.
Kommentare