Warum Schlaf mindestens so wichtig wie Bewegung ist
Ernährung und Bewegung – geht es um gesunden Lebensstil, werden diese beiden Wörter immer an vorderster Stelle genannt. „Mittlerweile muss man aber einen dritten Faktor als genauso gleichwertig ansehen: ausreichenden Schlaf“, sagt Birgit Högl, Professorin für Neurologie mit dem Schwerpunkt Schlafmedizin an der MedUni Innsbruck und bis März 2022 auch Präsidentin der World Sleep Society. So zeigt eine neue Auswertung von Daten von mehr als 7.000 Menschen aus einem Zeitraum von 25 Jahren (sie ist im Fachjournal Plos Medicine erschienen): Menschen ab 50 Jahren, die regelmäßig nur fünf Stunden oder noch weniger schlafen, haben ein deutlich höheres Risiko für chronische Erkrankungen, wie etwa Diabetes, Herzleiden oder Schlaganfall.
KURIER: Überrascht es Sie, dass Schlafmangel derart negative Folgen haben kann?
Birgit Högl: Nein. Dieselbe Forschergruppe hat bereits im April 2021 im hochrangigen Journal Nature Communications Daten aus dieser Personengruppe veröffentlicht, wonach 50- oder 60-Jährige, die dauerhaft sechs Stunden oder weniger schlafen, ein 30 Prozent höheres Demenzrisiko haben. Zunehmend zeigen uns gute wissenschaftliche Daten, dass man nicht ohne gesundheitliche Folgen an der Schlafdauer sparen kann.
Gilt das nur für Ältere?
Noch gibt es für Menschen ab 50 mehr solcher neuer Studienergebnisse. Wir erwarten aber zunehmend auch mehr Daten bei Jüngeren. Die Hoffnung, dass hier die Auswirkungen geringer sind, habe ich nicht. Denn es gibt Untersuchungen zu den kurzfristigen Folgen von Schlafmangel. Und da reagiert dann etwa der Stoffwechsel bereits nach einer Nacht ohne Schlaf so ähnlich wie bei älteren Menschen, die schon kurz vor dem Diabetes stehen – er kann den Zucker im Blut schlechter absenken.
Internationale Schlafgesellschaften empfehlen eine Schlafdauer zwischen sieben und neun Stunden. Männer kommen meist mit sieben bis acht Stunden aus, Frauen benötigen im Schnitt acht bis neun Stunden, um ausgeschlafen zu sein. Nur einem kleinen Prozentsatz reichen sechs Stunden oder weniger.
50 Prozent der Bevölkerung haben eine Schlafdauer an der Untergrenze der Empfehlung (sieben Stunden) oder sogar darunter.
Wieso kann Schlafmangel solche Folgen haben?
Es gibt viele Mechanismen. So wird im Schlaf das Gehirn von toxischen Abbauprodukten, Eiweißen, gereinigt, und es sind – vereinfacht gesagt – im Schlaf viele Reparaturmechanismen aktiviert.
Heftig diskutiert wird auch, ob häufiges Verwenden der Schlummertaste des Weckers ungesund ist.
Das Snoozen ist meist ein Symptom dafür, dass etwas nicht passt: Also entweder die Schlafenszeit zu kurz ist oder Menschen zu einer Zeit aufstehen müssen, bei der ihre Innere Uhr sagt, „unbedingt weiterschlafen“. Wenn man einmal oder zweimal in kurzen Minutenabständen snoozt, ist das egal. Nicht gut finde ich es, über einen längeren Zeitraum, etwa eine Stunde, immer wieder zu snoozen. Weil dann wäre es besser, die maximale Schlafenszeit ungestört – und möglicherweise noch im Tiefschlaf – auszunützen und den Wecker zum spätestmöglichen Zeitpunkt läuten zu lassen, als über einen längeren Zeitraum immer wieder aufzuschrecken.
Lässt sich ein Schlafdefizit am Wochenende ausgleichen?
Teilweise, manchen gelingt das besser, manchen schlechter. Zur Gänze kann man verlorenen Schlaf nicht nachholen. Chronischer Schlafmangel lässt sich so nicht beheben. Häufig wird Schlafmangel lange Zeit gar nicht als solcher empfunden – bis man dann zum Beispiel einmal beim Autofahren einnickt oder einem doch auffällt, dass die geistige Leistungsfähigkeit reduziert ist.
Ändert sich am Schlafbedarf etwas, wenn es früher finster bzw. später hell wird?
Die Schlaf-Wach-Regulation ist sehr stark vom Licht beeinflusst. Selbst ganz geringe Lichtmengen können dazu führen, dass die körpereigene Ausschüttung des ‚Schlafhormons‘ Melatonin – es steuert den Tag-Nacht-Rhythmus – unterdrückt wird. Wird es lange nicht hell, fehlt dieser Einfluss des Tageslichts auf die Innere Uhr. Deshalb ist dann das Bedürfnis größer, länger zu schlafen.
Tatsächlich ist die Umstellung auf die Winterzeit die angenehmere, weil man eine Stunde Schlaf geschenkt bekommt. Im Frühjahr allerdings führt die Umstellung auf die Sommerzeit in den ersten drei Tagen danach immer zu einem kurzfristigen Anstieg von Herzinfarkten und Unfällen. Wer sowieso schon zu wenig Schlaf bekommt, hat dann nochmals eine Stunde weniger. Das erhöht untertags den Schlafdruck, und bis sich der Körper wieder adaptiert, angepasst hat, ist auch das Unfallrisiko erhöht.
Aus schlafmedizinischer Sicht wäre für Österreich die durchgehende Normalzeit - das ist die Winterzeit - die beste Variante. Bei der Frage, welche die richtige Zeit ist, lautet die Antwort aus der Sicht des Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen: An dem Ort, an dem man lebt, sollte die Sonne um 12 Uhr im Zenit stehen. Das ist bei der Normalzeit der Fall. Und sie erleichtert das Aufstehen in der Früh, weil die Zeiträume, wo dies bei natürlichem Licht möglich ist, länger sind.
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