Die Darmflora ist wie ein buntes Korallenriff
Auch wenn es wenig erfreulich klingt. Der Mensch besteht neben menschlichen Zellen auch aus Billionen von Bakterien. Auf der Haut, im gesamten Verdauungstrakt sowie im Atmungsapparat lebt eine mikrobielle Parallelgesellschaft, deren Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit des Menschen immer deutlicher wird. Das Mikrobiom. Die Aussage “Du bist nicht allein” bekommt in diesem Zusammenhang eine völlig neue Bedeutung.
Ist die Bakterienharmonie des Verdauungstrakts gestört, hat das neben chronischen Darmerkrankungen auch negative Auswirkungen auf psychische Störungen wie etwa Schizophrenie, Autismus oder Depression. Selbst Alzheimer könnte über die Entschlüsselung des Mikrobioms künftig besser behandelt werden. Bis es so weit ist, braucht es allerdings noch eine Vielzahl an Daten.
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Spanischen Wissenschaftlern ist es jetzt gelungen, den bestehenden Datenschatz zu erweitern. Die Ergebnisse ihrer Studie deuten auf den Einfluss des Mirkobioms auf die Schwere von Schlaganfällen hin. Die Forscher haben Bakteriengruppen identifiziert, die mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfälle verbunden sind. Gelingt es, Einfluss auf diese Bakterien zu nehmen, könnten in der Zukunft durch die Untersuchung der Darmmikrobiota im Idealfall Schlaganfälle sogar verhindert werden.
Je mehr die Wissenschaft über unsere Mitbewohner weiß, desto besser die Chancen auf neue vielversprechende Therapien für die unterschiedlichsten Beschwerden.
Was man schon weiß
"Unser Mikrobiom ist wie ein Korallenriff”, erklärt der Facharzt für Gastroenterologie und Hepatologie Bernhard Angermayr aus St. Pölten. “Ist es intakt, werden Sie sich sehr schwer tun, dort fremde Pflanzen und Tiere anzusiedeln. Die werden einfach nicht überleben.”
Eine gesunde Darmflora macht das gleiche, sie verhindert das Eindringen fremder Bakterien und schützt somit den Menschen vor Fremdkörpern. Heute weiß man: Ist die Bakterienharmonie des Verdauungstrakts gestört, kann ein Mensch krank werden.
Was ist das Mikrobiom
Nach derzeitigem Wissensstand gehen Forscher davon aus, dass das Mikrobiom aus 38 Billionen Mikroorganismen besteht. Die meisten davon Bakterien, es sind aber auch Pilze und Viren darunter. Man könnte die Gesamtheit des Mikrobioms mit einem Fingerabdruck vergleichen. Denn jeder Mensch lebt mit anderen Kleinstlebewesen zusammen.
Anzahl und Vielfalt sind von Mensch zu Mensch verschieden. Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung in jeder Körperregion eine andere ist. Das Mikrobiom eines Menschen im Dünndarm sieht anders aus als jenes im Dickdarm oder der Lunge. Aus diesem Grund ist es für die Forschung sehr schwierig, die optimale Zusammensetzung zu entschlüsseln.
Was man weiß: “Divers ist ein großes Schlagwort, eine diverse Darmflora etwa erhält man, indem man sich auch möglichst divers ernährt”, erklärt der Professor der Danube Private University Bernhard Angermayr. Das Mikrobiom des Menschen beginnt sich schon im Mutterleib zu bilden, und es wird in den ersten drei Lebensjahren über die Ernährung und das Hygieneverhalten zu dem gemacht, was es mehr oder weniger über das gesamte Leben sein wird. Zumindest laut derzeitigem Forschungsstand. Möglichst vielfältige Nahrung und kein zu steriles Umfeld sorgen demnach für ein stabiles und buntes Bakterienmuster.
Darmflora aus dem Lot
“Die Darmflora hat eine Art Gedächtnis und sie ist sehr konservativ und nicht sehr änderungsfreudig”, sagt der Leiter von Ärzte im Zentrum. Nimmt man zum Beispiel Antibiotika oder hat eine schwere Magen-Darmgrippe, regeneriert sich im Normalfall die Darmschleimhaut und somit auch das Mikrobiom wieder. In manchen Fällen erholt sich das Bakteriensystem nicht, und das kann zu Verdauungsschwierigkeiten oder im schlimmsten Fall zu einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung führen.
Auslöser dafür können auch schwierige Life-Events oder psychische Konflikte sein. “Das Problem ist, wir wissen nicht, wie das Mikrobiom des Patienten zuvor war, daher weiß man nicht, welche Bakterien zugeführt werden sollten”, erklärt Bernhard Angermayr.
Das wirft natürlich die Frage auf, ob man prophylaktisch im gesunden Zustand einen Abdruck des eigenen Mikrobioms machen sollte, etwa in Form einer Stuhlanalyse. Bernhard Angermayr rät davon ab. Dadurch dass das Mikrobiom im gesamten Darmtrakt anders ist, sorgt eine einzelne Stuhlanalyse nur bedingt für Aufklärung. Angermayr kritisiert aber auch noch etwas anderes: “Diese ganzen Stuhlanalysen, dienen derzeit einfach nur der Datensammlung. Man gibt dann auch andere Informationen von sich preis, wie etwa Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen und so weiter. Das heißt man zahlt dafür und jemand anderer hat meine Daten.”
Stuhlbank als künftiges Geschäftsmodell
Ähnlich wie bei einer Eigenblutspende, könnte man den eigenen Stuhl im gesunden Zustand einfrieren, um später bei Bedarf das eigene Mikrobiom wieder zur Hand zu haben. “Man weiß, dass Stuhl eingefroren genauso gut ist, wie wenn er frisch ist”, sagt Angermayr.
Sobald eine Firma dieses Geschäftsmodell praktiziert, wird vermutlich auch noch mehr in die Erforschung der Möglichkeiten einer Stuhltransplantation investiert. Die Methode ist günstig und effektiv. Derzeit kommt die Forschung lediglich von den Ärzten und Wissenschaftlern selbst und hat keine Pharmalobby als Finanzier.
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