"Crying Room": Wo Menschen zum Weinen hingehen
Treten Sie ein und weinen Sie. Der Schriftzug über der Eingangstür wirkt zweifellos sonderbar. Die Räume, die sich dahinter verbergen – sie sind in sattes Lila und kräftiges Pink getaucht – laden aber in der Tat zum Heulen ein.
Mitten in der spanischen Hauptstadt Madrid hat vergangenes Wochenende ein "Crying Room" ("Zimmer zum Weinen") eröffnet. An den Wänden haften Taschentuchboxen, vorhangverhangene Kojen stehen zum anonymen Verweilen bereit. In Neon-Lettern wird den Besucherinnen und Besuchern versichert: "Es ist okay, sich nicht okay zu fühlen".
Zufluchtsort mit Sinn
Kuschelpartys gegen die Einsamkeit, Wuträume zum Ausrasten: An Gefühlsregungen angepasste Zufluchtsorte sind nicht neu. Das spanische Refugium für Gefühlsgebeutelte ist aber nicht nur als Erlebnisraum, sondern auch als Begegnungszone und Kunstprojekt konzipiert.
"Wichtig ist, dass solche Projekte professionell begleitet werden", sagt die Psychologin Karin Flenreiss-Frankl.
Potenziell emotional labile Menschen in einer solchen Umgebung allein zu lassen, hält sie für gefährlich. "Stimmungen können kippen und schlimmstenfalls in einem Zusammenbruch enden." Im "Crying Room" stellen Aushänge mit Notfallnummern neben funktionsfähigen Telefonen sicher, dass das nicht passiert. "In diesem Fall würde ich das Ganze in die Kategorie 'Selbsthilfegruppe' und damit positiv einordnen."
Das Projekt ist Teil einer großen Kampagne, mit der die spanische Regierung psychisches Leid entstigmatisieren will. Rund 100 Millionen Euro nimmt man dafür in die Hand. Neben dem "Crying Room" soll es bald auch kostenlose Hotlines für Menschen in Krisen geben.
Der Zeitpunkt kommt wohl nicht von ungefähr: Die Corona-Pandemie hat viele Menschen an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben und Mängel in der Versorgung psychisch Leidender offengelegt. "Durch den langen Ausnahmezustand und die vielfältigen Strapazen sind viele in einen Zustand der Überforderung geschlittert – das wirkt bis heute nach", weiß Flenreiss-Frankl. Dass man mit dem "Crying Room" das Bewusstsein für psychische Gesundheit stärken will, begrüßt sie: "Emotionen brauchen Raum und sollten in der Mitte der Gesellschaft Platz haben. Das zeigt auf, dass man nicht allein ist. Gleichzeitig ist es schön, Schutzzonen zu schaffen, wo man Gefühlen freien Lauf lassen kann."
Schmerz stillen
Weinen dient dem Abbau von Anspannung und Stress. Verbietet man sich Tränen dauerhaft, kann das die Entstehung von Depressionen und Angstzuständen begünstigen. Trauer und Traurigkeit lassen sich oft nicht im stillen Kämmerlein bewältigen: "Wenn Negatives lange verdrängt wurde, kann sich eine depressive Grundstimmung einstellen, die quälend ist. Hier ist es wichtig, dass man darüber redet und sich dem stellt – auch mit professioneller Hilfe."
Bei manchen könnten sich im "Crying Room" lange blockierte Tränen lösen, sagt Flenreiss-Frankl: "Weinen kann ansteckend sein. Dafür sorgen Spiegelneuronen in unserem Gehirn."
Angststörungen betreffen laut WHO global rund 270 Millionen Menschen.
350 Millionen Menschen leben weltweit mit einer Depression. Schätzungen zufolge wird nur jeder vierte Betroffene adäquat behandelt.
Unterstützungsangebote
Unter der Nummer 142 ist die Telefonseelsorge 24 Stunden erreichbar. Auch Rat auf Draht ist unter 147 rund um die Uhr für Betroffene da. Kostenlose Beratung bietet auch die Helpline des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen unter 015048000.
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