Studie: Lockdown light wirkt erst, wenn 40 Prozent immunisiert sind
Die Arbeitsgruppe des Salzburger Informatikers Robert Elsässer zeigt in einer Simulation, dass ein weicher Lockdown die Ausbreitung von Covid-19 - selbst bei optimistischen Annahmen - nicht brechen kann. Erst wenn mindestens 40 Prozent der Population immunisiert sind, greift ein Lockdown light, so das eindeutige Ergebnis der mathematischen Modellierung. Bis dahin seien zur effektiven Pandemie-Bekämpfung harte Maßnahmen inklusive Schulschließungen zielführend, folgern die Forscher.
Zu einer ähnlichen Erkenntnis kommt auch der Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems, wie das Ö1-Morgenjournal berichtete.
Robert Elsässer und sein Team beschäftigen sich schon seit etlichen Jahren mit der Ausbreitung von Krankheiten in großen Populationen. Die ersten Simulationsläufe zu Covid-19 erstellte Florian Lugstein aus der Arbeitsgruppe „Efficient Algorithms“ kurz vor Weihnachten 2020. Da die Resultate darauf hindeuteten, dass der weiche Lockdown die Infektionswelle nicht brechen kann, konzentrierten sich die Forscher insbesondere auf dieses Szenario und führten in den ersten Jännerwochen eine große Anzahl von Simulationen mit unterschiedlichen Parametern durch. Parameter, die variiert wurden, waren zum Beispiel das Ausmaß von Distance Learning, der Anteil von Homeoffice oder die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Person zuhause eine andere zuhause ansteckt.
In geschlossenen Räumen
Die Forscher fokussierten auf die Übertragung von Viren in geschlossenen Räumen, konkret an Schulen, am Arbeitsplatz, und in den Familien. „Wir haben dafür die einschlägige Fachliteratur bezüglich der Übertragungswahrscheinlichkeiten von SARS-CoV-2 über Tröpfchen und Aerosole herangezogen. Darauf aufbauend wurde ein mathematisches Modell entwickelt, das die Altersverteilung in der Stadt Salzburg berücksichtigt, und die Bewegung von Personen zwischen Schule, Arbeitsplatz und Familie zugrunde legt.“
Für die Übertragungswahrscheinlichkeiten wurden sowohl optimistische als auch pessimistische Szenarien entwickelt. Bei den optimistischen Szenarien in der Arbeitswelt beispielsweise gingen die Forscher davon aus, dass in den Büros die Infektion lediglich über Aerosole weitergegeben wird; die Infektion über Tröpfchen wird mit Hilfe geeigneter Maßnahmen wie Trennglas zwischen den Arbeitsplätzen bzw. Masken verhindert.
Problemfall Schule
„Die Simulationsergebnisse deuten darauf hin, dass selbst im besten Fall ein weicher Lockdown die Ausbreitungswelle nicht brechen kann - der Prozess wird lediglich verlangsamt“, resümiert Elsässer und führt aus: „Um beispielsweise die Infektionsketten in Schulen zu unterbrechen, müssten im Falle einer nachgewiesenen Infektion die betroffene Klasse sowie alle K1 Kontakte der infizierten Person umgehend in Quarantäne wechseln. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade Schülerinnen und Schüler oft keine oder nur sehr milde Symptome zeigen - laut einer Studie der London School of Hygiene & Tropical Medicine ist das bei etwa 79% der 10-19 Jährigen der Fall - aber das Virus dennoch weitergeben können. Da diese Kinder in der Regel erst getestet werden, nachdem die Eltern sich infiziert haben, scheint sich die Epidemiewelle leider nur mit harten Maßnahmen brechen zu lassen – durch Distance Learning und Homeoffice wo nur möglich“.
Daten aus Salzburg
Als Datenbasis dienten Elsässer in erster Linie Details aus der Stadt Salzburg. „Ich habe mir diese Daten angeschaut, weil ich wissen wollte, wie sich die Infektion in der Stadt Salzburg entwickeln würde. Ich habe aber auch österreichische Daten zugrunde gelegt, und da zeigt sich kein großer Unterschied. Wichtig ist allerdings, dass man einen relativ geschlossenen Bereich hat, also zum Beispiel einen städtischen Bereich. Unsere Simulation eignet sich sehr gut für Städte wie Salzburg, Wien oder Linz und weniger gut für ländliche Regionen.“
Eine Herausforderung für die Forscher bestand - neben einem Mangel an neuesten Zahlen zu Homeoffice - insbesondere darin, Daten zur Übertragungswahrscheinlichkeit bei Kindern unter 14 Jahren zu bekommen. Daher arbeiteten die Informatiker auch in diesem Fall mit optimistischen und pessimistischen Annahmen und führten Simulationen für die unterschiedlichen Annahmen durch.
40 Prozent müssten immunisiert sein
„Die Simulationen zeigen eindeutig, dass ein weicher Lockdown die Infektionswelle erst brechen kann, wenn in etwa 40 Prozent der Population immunisiert wurde. Davor sollte die Ausbreitung der Infektion mit harten Maßnahmen wie Schulschließungen und Homeoffice - zusätzlich zu den weichen Maßnahmen wie Abstand halten, Maske verwenden und Händehygiene - bekämpft werden“, sagt Robert Elsässer und ergänzt „Wir wissen, dass Anfang November von der Bundesregierung ein Lockdown light beschlossen wurde, der jedoch die Ausbreitung der Krankheit lediglich etwas verlangsamt hat. Deutschland hat über Monate versucht, mit einem Lockdown light Herr der Lage zu werden. Erst als Mitte November der harte Lockdown beschlossen wurde, kam es zu einer Verringerung der Neuinfektionen - und genau dieses Phänomen erkennt man auch anhand der Simulationen“.
Noch nicht berücksichtigt in den vorliegenden Simulationen ist die neue Virusmutation B.1.1.7. aus Großbritannien, die aufgrund der höheren Infektionswahrscheinlichkeit den Epidemieverlauf weiter verstärken könnte.
Konzentration auf Krankheit
Inzwischen ist in Österreich der harte Lockdown bis zum 8. Februar beschlossen. Anschließend beginnen in den meisten Bundesländern die Semesterferien. Danach soll es in den Schulen Schichtunterricht geben. „Bis jetzt sind wir von vollen Volksschul- und Unterstufenklassen in unserer Implementierung ausgegangen. Demnächst werden wir sowohl geteilte Klassen als auch die Eigenschaften der Mutation B.1.1.7. in unsere Simulationen mit einbeziehen und dann eine wissenschaftliche Veröffentlichung anstreben,“ sagt Elsässer und ergänzt: „In unseren Simulationen haben wir uns ausschließlich auf die Ausbreitung der Krankheit konzentriert; unsere Analysen erstrecken sich nicht auf wirtschaftliche oder gesellschaftspolitische Aspekte.“
Robert Elsässer, Jahrgang 1972, studierte an der Universität Paderborn Informatik und Mathematik, promovierte dort 2002 in Computerwissenschaft und wurde zum Juniorprofessor ernannt. Nach einem Forschungsaufenthalt an der University of California in San Diego und Gastprofessuren in Bordeaux und Freiburg wurde Elsässer 2012 an die Universität Salzburg berufen. Er leitet hier die „Efficient Algorithms Group“. Seine Forschungsschwerpunkt sind parallele und verteilte Algorithmen sowie die Struktur von Graphen und Netzwerken.
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