Zwei Dinge seien jetzt am wichtigsten: Die Eigenverantwortung und die schnellere, effizientere Abklärung von Verdachtsfällen. „Da sprechen wir derzeit teilweise von Zeiteinheiten in Wochen, nicht einmal in Tagen.“
Bevor großflächig neue Maßnahmen verordnet werden, sollten die bestehenden besser eingehalten werden: „Wir sind zwar alle schon müde, aber das Verhalten im persönlichen Umfeld ist ganz entscheidend. Und wir haben derzeit auch nicht viel mehr Mittel zur Verfügung als den Abstand, die Händehygiene und die Masken.“
Und: „Wenn wir jetzt die Wirtschaft abdrehen durch einen Dauerlockdown oder auch nur einen halben Lockdown – wie soll es dann nach der Pandemie weitergehen? Es ist wichtig, die Kirche im Dorf zu lassen.“
Auch müssten Folgewirkungen bedacht werden: „Ich frage mich, ob eine Vorverlegung der Sperrstunde nicht dazu führt, dass in der kürzeren Zeit letztlich mehr Gäste auf engerem Raum zusammenkommen und damit ein negativer Effekt eintritt.“
Eine konkrete zusätzliche Maßnahme sieht Steininger aber schon: Ein Verbot der Schutzschilde. „Hier gibt es mittlerweile ausreichend Daten, dass ihre Schutzwirkung mit jener einer Maske nicht gleichwertig ist.“
„Wir haben jetzt keine solchen Fallzahlen, dass wir darüber nachdenken müssen, morgen oder nächste Woche in einen großflächigen Lockdown zu gehen“, sagt auch der Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna (CSH – einer von mehreren Unis gegründeten Forschungseinrichtung).
Erst bei täglichen Zuwächsen von im Schnitt 5.900 Neuinfektionen komme man an einen Punkt, wo die momentan vorgesehenen Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht mehr ausreichen: „Dann müsste man damit beginnen, geplante und nicht dringende Eingriffe zu verschieben.“ Wie wahrscheinlich das ist, sei nicht vorhersagbar: „Die Unsicherheiten sind zu groß, um länger als ein bis zwei Wochen in die Zukunft zu schauen.“
Klimek ist aber der Blick Richtung Weihnachten wichtig: „Ich glaube, es ist kein Zufall, dass die Ausweitung der Infektionen auf ganz China mit dem chinesischen Neujahrsfest zusammengefallen ist und die höchsten Zahlen in Israel mit den Feiertagen Jom Kippur und Rosch ha-Schana. Das heißt, auch rund um Weihnachten kann durch die vermehrten Besuche das Infektionsrisiko erhöht sein. Deshalb dürfen wir die Situation jetzt nicht auf die leichte Schulter nehmen und müssen den Anstieg bremsen.“
Wobei das Schreckensszenario eines komplett kollabierenden Gesundheitssystems sehr unrealistisch sei: „Da wissen wir mittlerweile ausreichend, wie man das verhindern kann“, betont Klimek.
Dramatische Anstiege der Fallzahlen könnten jedenfalls auch ohne flächendeckenden Lockdown vermieden werden – „aber nur, wenn die Leute auch mitmachen“. Dafür sei eine Risikokommunikation notwendig, die nicht mit Schreckensszenarien arbeite, sondern mit transparenter Kommunikation: „Wir wissen heute, dass es einen Mix an Maßnahmen braucht, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Jede Maßnahme trägt etwas zum Schutz bei.“
Untersuchungen zeigten, dass weniger einschneidende Vorgaben wie die verpflichtende Mund-Nasen-Bedeckung, die Absage von Großveranstaltungen oder der Schutz von Spitälern und Pflegeheimen „fast genauso wirksam sind“ wie flächendeckende Schließungen von Geschäften, Lokalen oder Schulen: „Punktuell können solche Maßnahmen notwendig sein – flächendeckend aber nicht.“
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