Sommerdepression: Wenn die heiße Jahreszeit psychische Leiden auslöst
Draußen ist strahlender Sommer. Freibäder, Schanigärten, gesellige Sommerabende und Urlaubsreisen warten. Doch für all das bringt man kaum die nötige Energie und Motivation auf. Man fühlt sich unwohl, ist im negativen Gedankenstrudel gefangen und will sich am liebsten nur noch zurückziehen. Ein Zustand, der jenen, die an einer Sommerdepression leiden, wohl bekannt vorkommt. Gemeinsam mit der – um einiges geläufigeren – Winterdepression gehört diese zu den saisonal abhängigen, temporären Depressionen (SAD).
Gestörter Alltag
Die Symptome der SADs, meint Gesundheits- und Sportpsychologe Georg Hafner, würden sich nicht wesentlich von denen einer „normalen“ Depression unterscheiden. Während es im Winter aber die kurzen, dunklen Tage sind, die auf die Stimmung drücken, sind die Auslöser im Sommer andere. „Die Tage sind länger, man hat vielleicht auch Urlaub, der Alltag ist aus dem Tritt. Dazu kommt, dass durch die längere Helligkeit und die tropischen Hitzenächte unser Tag-Nacht-Rhythmus durcheinandergerät – dieser ist aber wichtig für unser Wohlbefinden. Ist er aus der Bahn, wirkt sich das direkt auf den Hormonhaushalt des Körpers aus: Melatonin, das sogenannte Schlafhormon, kann nicht ausreichend gebildet werden. All diese Dinge, die aus ihrem gewohnten Rhythmus sind, können dazu führen, dass man innerlich aus der Bahn gerät und dann zum Beispiel nur noch am Sofa liegen will.“
So wie diese Twitter-Userin, die Anfang des Sommers in einem Tweet ihre Stimmungslage so zusammenfasste: „War heute nicht am See, hab nicht mit Leuten Melone gegessen und keinen Aperol getrunken. Ich lag depressiv auf meinem Bett neben dem Ventilator und hab auf den Abend gewartet. Nur falls ihr bei den ganzen Insta-Bildern denkt, nur ihr seid alleine heute drinnen gewesen.“
Telefonseelsorge: 142
Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01 31 330
Ö3/Rotes Kreuz- Kummernummer: 116 123
Berufsverband Österreichischer PsychologInnen/Helpline: 01 504 8000
Alle anderen
Dabei ist man auch gleich bei einem wichtigen Faktor, weshalb der Sommer um einiges mehr Stress erzeugt als sein kaltes Pendant: dem Vergleich mit anderen und der allzu hohen Erwartungshaltung. „Wir sind nun einmal vergleichende Wesen“, sagt der Psychologe. „Mit den diversen Social-Media-Plattformen und Hunderten Kontakten ist es kognitiv nicht immer leicht, nicht in eine verzerrte Wirklichkeit einzutauchen, die uns vermittelt, dass alle gerade im Urlaub sind, Spaß im Freien haben und rundum glücklich sind.“ Es wäre natürlich schön, wenn es so wäre, fügt Hafner hinzu. Doch ähnlich wie beispielsweise zur Weihnachtszeit sieht die Realität doch meistens nicht ganz so perfekt aus, wie sie auf Instagram verkauft wird.
Zu diesem sozialen Druck kommt noch der selbst gemachte, sagt der Experte. „Man denkt sich: Es ist Sommer, ich MUSS mich erholen, der Urlaub MUSS perfekt werden.“ Das geht dann so weit, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer seiner Seminare verhalten erzählen, dass sie in Zeiten der Lockdowns und eingeschränkter Sozialkontakte sogar eine gewisse Erleichterung verspürt hatten. Geburtstagsfeiern, After-Work-Drinks oder Klassentreffen, die ihnen zu viel wurden, konnten sie sich entziehen, ohne viel argumentieren zu müssen. Nicht nur lasse das wieder hochgefahrene Sozial- und Freizeitleben den gesellschaftlichen Stress jetzt wieder steigen – viele hätten fälschlicherweise das Gefühl, nun alles nachholen zu müssen, was sie seit Beginn der Pandemie versäumt hätten, erklärt der Psychologe.
Achtsamkeit
Umso wichtiger ist es, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. „Schauen Sie auf sich!“, sagt Hafner. „Fragen Sie sich: Trinke ich genug? Hole ich mir genug Schlaf und Erholung, obwohl die Tage – im Positiven wie Negativen – sehr lang sind? Bin ich im Hier und Jetzt? Jede Aktivität in der Natur, jede Bewegung, jede Begegnung zählt und kann die Psyche unterstützen.“ Genauso wichtig: Entschleunigung und Ruhe. Der bewusste Genuss von Sonne, Regen oder „einem Glaserl Wein“ – und für die Welt auch einmal nicht erreichbar zu sein.
Um sich psychologische Hilfe zu holen, muss man übrigens nicht warten, bis es einem richtig schlecht geht, sagt Hafner. „Denken Sie daran: Sie gehen ja auch nicht nur mit dem gebrochenen Bein zum Arzt, sondern auch zwischendurch zur Kontrolle.“
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