„Von Zeit zu Zeit kommt ein revolutionäres Produkt auf den Markt, das alles verändert“, sagte Apple-Mitbegründer Steve Jobs, als er 2007 das iPhone in San Francisco vorstellte. Er sollte recht behalten. Die Einführung des ersten massentauglichen Smartphones machte nicht nur Apple zum wertvollsten Unternehmen der Welt, sondern läutete auch ein neues Zeitalter ein: eines, in dem wir das Internet stets in der Hosentasche tragen, unterwegs Videos streamen und Flüge buchen, jederzeit kommunizieren, fotografieren und navigieren können.
Es ist unbestritten, dass das Smartphone das tägliche Leben erleichtert. Und nicht nur das: Soziale Medien dienen der Mobilisierung und können – wie etwa 2011 beim Arabischen Frühling oder derzeit bei den Protesten im Iran – demokratische Entwicklungen fördern.
4,8 Stunden am Handy
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Das Smartphone hat uns nämlich in seinen Bann gezogen. Und das ist alles andere als positiv gemeint. Laut dem „State of Mobile Report 2022“ verbringen wir täglich 4,8 Stunden am Handy. Das ist mehr als ein Viertel des Tages, geht man von acht Stunden Schlaf aus.
Das kann uns krank machen – körperlich und psychisch. So ist belegt, dass es Kurzsichtigkeit begünstigt, den Bewegungsapparat schädigt, Essstörungen befeuert und die Entwicklung von Kindern verzögert.
Auch unsere Beziehungen zu Mitmenschen können darunter leiden. Dafür gibt es sogar einen eigenen Begriff: Phubbing. Dieser setzt sich aus dem englischen Verb „to snub“, jemanden vor den Kopf stoßen, und dem „P“ für „Phone“ zusammen. Also jemanden ignorieren, indem man sich mit dem Gerät statt mit dem Gesprächspartner beschäftigt.
Dass wir uns von den ach so praktischen Geräten nicht lösen können, ist durchaus Absicht. Social-Media-Apps sind so programmiert, dass der Glücklichmacher Dopamin ausgeschüttet wird. Likes empfinden wir wie Belohnungen, Signalfarben und Benachrichtigungstöne tun ihr Übriges, um uns so lange wie möglich auf der Seite zu halten. Ziel der Betreiber ist, auf diese Art möglichst viele Daten über uns zu sammeln – die Währung im Zeitalter des Internets. Besonders anfällig für all das sind Kinder und Jugendliche.
Verheerende Aussichten
Die tatsächlichen Dimensionen des Krankmachers Smartphone können wir dennoch nicht abschätzen. Für eine umfassende Erforschung der Effekte auf unsere Gesundheit ist die Zeitspanne seit dessen Etablierung in der Gesellschaft zu kurz. Die Wissenschaft kommt nicht so schnell nach.
Die Vorzeichen sind jedenfalls verheerend. „Das Tech-Business hat dafür gesorgt, dass wir in jeder freien Minute das Smartphone in die Hand nehmen, um uns zu zerstreuen. Es bleibt keine Zeit mehr für Selbstreflexion und um über den Alltag nachzudenken“, sagt Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm. Von anderen Auswirkungen – wie dem Missbrauch persönlicher Daten und Desinformation für politische Zwecke – ganz abgesehen.
Analoge Strukturen
Damit der Tag nicht vom Smartphone bestimmt wird, helfen analoge Wecker, Armbanduhren und festgelegte
Bildschirmzeiten
Farblos
Das Smartphone wird weniger attraktiv, wenn der Graustufenmodus
aktiviert ist
Hilfestellung
Mit der von Wissenschaftern entwickelten Smart@Net-App kann man herausfinden, ob die Internetnutzung problematisch ist. Wenn ja, wird Unterstützung angeboten
Um das zu verhindern und einen gesunden Umgang mit dem Smartphone zu erlangen, benötigen wir als Individuen und Gesellschaft digitale Kompetenzen. Kompetenzen, die uns derzeit noch fehlen.
Magersucht bis „Fomo“: Die psychischen Folgen
Es war ein anschauliches Experiment: 2021 erstellte die Organisation Reset einen Fake-Account auf Instagram mit Fotos eines abgemagerten Mädchens. In kurzer Zeit hatte dieser 900 Follower. Das Fazit der Forscher: Instagram scheitere nicht nur an der Entfernung solcher Inhalte, die Empfehlungslogik der Plattform verschärfe das Problem sogar. So würden Followern von solchen Profilen automatisch Beiträge vorgeschlagen, die Gewichtsverlust glorifizieren.
„Es gibt tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von bildgebenden Plattformen und Körperwahrnehmungs- und Essstörungen“, sagt Psychologe Christian Montag. Es sei nur logisch, dass die Bombardierung mit geschönten Fotos etwas mit uns mache. Vor allem jungen Menschen vermittelt das ein verzerrtes Körperbild. Soziale Medien können auch Ängste schüren. Eine davon heißt „Fomo“, Abkürzung für „fear of missing out“, also die Angst, etwas zu verpassen. Als Reaktion darauf verbringen Betroffene viel Zeit auf den Seiten. „Fomo gab es schon vor dem Internet. Aber die Tech-Industrie hat erkannt, dass man dieses negative Gefühl über Designelemente gezielt auslösen kann, um Nutzer und Nutzerinnen länger auf den Plattformen zu halten“, erklärt der Psychologe.
Komplizierter wird es beim Thema Smartphone-Sucht. Offizielle Diagnose gibt es keine, was nicht heißt, dass es keine problematische Nutzung geben kann, so der Experte. Die Forschung sei einfach noch nicht so weit, diese Phänomene final zu beschreiben. Entscheidend sei, worauf sich die Sucht genau beziehe: „Auf exzessive Verhaltensweisen im Kontext von Computerspielen, soziale Medien oder Pornografie? Oder sogar Kaufsucht?“
„Babysitter“ Smartphone: Die Schattenseiten
Man sieht es alles andere als selten: Kleinkinder, die im Restaurant vor dem Smartphone platziert werden, damit die Eltern ihre Ruhe haben. Dasselbe Bild zeigt sich in der Straßenbahn, in Wartezimmern, in Geschäften. Das bleibt nicht ohne Folgen. „Die Kinder entwickeln Interaktionsstörungen, Sprachentwicklungsstörungen, haben motorische Defizite und sind oft hyperaktiv“, sagt Kinderärztin Nicole Grois. Jeden Tag behandle sie in ihrer Praxis im 9. Wiener Gemeindebezirk Kinder mit derartigen Auffälligkeiten aufgrund von exzessivem Medienkonsum. Grund ist der mangelnde soziale Austausch. „Ich erlebe sogar Kinder, die nicht wissen, wie man in einem Buch umblättert und stattdessen darauf herumwischen.“
Vor allem die ersten Lebensjahre sind eine kritische Zeit für die geistige und körperliche Entwicklung. „Laut Meinung einiger Wissenschafter und Wissenschafterinnen sollten bis zum zweiten oder dritten Lebensjahr möglichst keine Medien konsumiert werden“, sagt Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm.
Das Problem sei nicht nur, dass Kinder mit dem Smartphone ruhig gehalten werden, sondern auch, dass die Eltern den übermäßigen Konsum vorleben. Stichwort Vorbild. „Mütter scrollen schon neben dem Stillen am Handy. Oder während sie ihr Kind auf der Schaukel anstupsen. Das wirkt sich aus“, erklärt Kinderärztin Grois. Ihrer Erfahrung nach ziehe sich das durch alle sozioökonomischen Schichten.
Ein Rundruf des KURIER zeigt, dass das auch die Kindergärten zu spüren bekommen. Seit ein paar Jahren würden Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten drastisch zunehmen, so der Tenor der Kindergartenpädagoginnen. Ob das Smartphone dafür die einzige Ursache ist, ist unklar. Fest steht: Die Pädagoginnen haben aufgrund des dramatischen Personalmangels keinerlei Ressourcen, diese Defizite zu kompensieren.
Google-Effekt: Unser Gedächtnis wurde ausgelagert
Wie war noch einmal der Weg zum Zahnarzt? Schnell ins Navi eingeben. Wie heißt das neue Lokal? Googlesuche. Die Notwendigkeit, uns Dinge zu merken, ist seit der Einführung des Smartphones überflüssig. Es liefert uns dieses Wissen jederzeit. Auch wenn es nicht eindeutig belegt ist, stützen mehrere Studien die These, dass wir deshalb Informationen schneller vergessen. Diese Tendenz wird als „Google-Effekt“ bezeichnet. Auch gibt es Untersuchungen, wonach Digital Natives nicht mehr darüber nachdenken, ob sie die Antwort auf eine Frage wissen, sondern sie sofort ins Internet eingeben. Die Ansammlung von Wissen könnte so erschwert werden.
Eine Frage der Haltung: Halswirbelsäule leidet
Es gibt einen Zusammenhang zwischen exzessiver Smartphone-Nutzung und Schäden im Bereich der Halswirbelsäule, erklärt der Orthopäde Georg Hauer von der Meduni Graz. Studien beweisen das. Das Problem: Wer auf das Handy schaut, blickt hinunter. Schmerzen können die Folge sein. „Handynacken“ wird das Problem im Volksmund genannt. Die Muskulatur wird müde. Das kann auch zu einem Bandscheibenvorfall führen. Eine besonders betroffene Gruppe sind Jugendliche und Studenten.
Was hilft? „Sport machen“, sagt Hauer. Einerseits, weil man dabei nicht aufs Handy schaut, andererseits, weil die Muskulatur gestärkt wird.
Daumen runter: Die Hände schmerzen
Bei der Evolution des Menschen spielte die Anatomie des Daumens eine wichtige Rolle. Heute leidet er – und die ganze Hand – unter dem ständigen Wischen und Tippen. Wie sehr die Daumen überbeansprucht werden, hängt auch mit der Größe des Smartphones zusammen. Denn die Daumen müssen manchmal quer über das Display gestreckt werden, um zu schreiben oder spielen. Eine Folge von übermäßigem Gebrauch können Sehnenscheidenentzündungen oder Arthrose sein. Früher kamen Menschen mit Gelenksabnutzung mit Schmerzen ab 65 Jahren zum Arzt. Heute ist der typische Patient 15 bis 25 Jahre alt, gesund und total vernetzt.
Kurzsichtigkeit: Der Blick in die Ferne fehlt
Immer mehr Menschen sind kurzsichtig – Tendenz steigend. Eine Ursache dafür ist Überbeanspruchung der Augen. Besonders betroffen sind Kinder. Eine übermäßige Nutzung von Smartphones, Tablets und Computern im frühen Kindesalter führt laut Augenärzten zu mehr Kurzsichtigkeit. Es ist vor allem die Nähe von Smartphone oder Tablets zu den Augen, die Sehschwächen befördern kann. Das Auge muss ständig nah fokussieren, dadurch wächst der Augapfel in die Länge. Zudem kann die Entwicklung des räumlichen Seh- und Vorstellungsvermögens leiden. Auch bei Erwachsenen ein Problem sind ausgetrocknete Augen – das Office-Eye-Syndrom.
Tippen statt toben: Zu wenig Bewegung
Junge Menschen bewegen sich viel zu wenig, ergab eine WHO-Studie vor der Pandemie. In Österreich sind 71,2 Prozent der Buben und 84,5 Prozent der Mädchen körperlich nicht aktiv genug. Das ist nicht nur der Nutzung des Smartphones geschuldet, aber auch. Denn die Kinder und Jugendlichen sitzen mehr vor den Bildschirmen, als im Freien aktiv zu sein. Die Pandemie hat das verstärkt. Ein Minus an Bewegung in dieser Entwicklungsphase habe Auswirkungen auf das gesamte Leben, sagt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie, Dietmar Pennig. Aus inaktiven Kindern werden inaktive Erwachsene. Das begünstigt Zivilisationskrankheiten.
Schlafmangel: Der Einfluss des Blaulichts
Schnell noch die persönlichen Nachrichten checken: Viele werfen vor dem Schlafgehen einen Blick auf das Handy. Wer aber auf Displays von Smartphones und Tablets schaut, bekommt Blaulicht ab. Das soll Auswirkungen auf den Biorhythmus haben. Denn Blaulicht unterdrückt die Ausschüttung von Melatonin. Das Hormon, produziert in der Zirbeldrüse des Gehirns, reguliert den Schlaf-Wach-Rhythmus. Wie sehr und ob der Schlaf unter dem Blaulicht leidet, wird von Wissenschaftern durchaus unterschiedlich gesehen. Es gibt verschiedene Studien zu diesem Thema. Fundierte Empfehlungen, wie lange vor dem Schlafgehen man auf blaues Licht verzichten sollte, gibt es daher nicht.
Ganz abgesehen von der Wissenschaft: Fühlt man sich vom Displaylicht gestört, kann man die Einstellmöglichkeiten an Smartphone, Tablet, Notebook oder Monitor nutzen.
Aber es ist nicht nur die Helligkeit, die den Schlaf beeinträchtigt: Der „Erregungslevel“ beim Abrufen von Nachrichten kann sich ebenfalls negativ auf die Nachtruhe auswirken.
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