Simulationsforscher Popper: "Dort einschränken, wo es nicht weh tut"
"Im Moment sind wir auf der sicheren Seite", sagt der Simulationsforscher Niki Popper vom Institut für Information Systems Engineering der TU Wien und Mitglied im Covid-Prognose-Konsortium, das für das Gesundheitsministerium wöchentliche Kurzfristprognosen zum Verlauf der an Covid19 erkrankten Personen in Österreich sowie zu den aktuell verfügbaren Kapazitäten im Spitalsbereich erstellt.
"In unserer aktuellen Prognose sehen wir zwar einen leichten Anstieg der Infiziertenzahlen, aber derzeit haben wir das gut im Griff." Wichtig sei jetzt angesichts der Lockerung der Maßnahmen genau zu schauen, wie sich die Zahlen weiter entwickeln.
Auch die Daten der neuen SORA-Studie würden dem entsprechen, was er erwartet habe: "Dass es mehr tatsächlich Erkrankte als Getestete gibt, war nicht überraschend: Es ist unwahrscheinlich, dass man alle Erkrankten testen kann."
Er sei kein Experte für statistische Analysen, aber es sei erfreulich, dass die Zahl der Erkrankten in der Stichprobe nicht höher als die fünf postiv getesteten Personen war (davon wussten drei von ihrer Infektion). Das deute auf einen Erfolg der bisherigen Maßnahmen hin. Interessant wäre natürlich in Zukunft die Zahl der bereits Immunisierten (die also die Erkrankung schon durchgemacht haben, das ist aber nur mit Antikörpertests feststellbar,Anm.): "Je mehr Menschen immunisiert sind, ohne dass es in den Krankenhäusern zu Problemen kommt, umso besser wäre es. Aber das wird wohl nicht so schnell der Fall sein."
Die SORA-Daten und die Dunkelziffer-Simulationen würden auch darauf hinweisen, dass der tatsächliche Erkrankungspeak schon viel früher gewesen sei als der Peak bei den Testergebnissen.
Auf die in den sozialen Medien derzeit oft gestellte Frage, ob die ganzen Maßnahmen samt den wirtschaftlichen und sozialen Folgewirkungen gerechtfertigt waren, wenn doch nur 0,32 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus infiziert sind, sagt Popper: "Die Frage ist, welche Größe man im Auge hat. Wir haben es mit sehr vielen Mitteln, sehr hohem Aufwand und sehr hohen Entbehrungen geschafft, die Kapazität der Intensivbetten nicht zu überschreiten. Trotz aller Maßnahmen waren wir aber bei rund 300 mit Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten. Wir haben für diese Patienten ganz grob gesagt aber nur rund 1000 Betten."
Und die können sehr schnell voll sein: "Wenn täglich 50 Patienten neu auf die Intensivstationen kommen und dort im Schnitt drei Wochen liegen, sind diese Stationen nach drei Wochen voll. Und das wäre ein konstanter Verlauf. Wenn er nicht konstant bleibt, ist das Problem viel größer."
Sensibles System
Lockere man die Maßnahmen zu rasch, könne man sehr schnell doppelt so viele Patienten wie derzeit in den Spitälern haben: "Das ganze System ist sehr sensibel." Die Folgen sehe man in Schweden: "Dort setzt man auf eine raschere Durchimmunisierung, aber die Todeszahlen sind deutlich höher." Das Aufmachen der Maturaklassen zum Beispiel sei eine sichere Sache: "Das sind ja nur sehr wenige Menschen, ebenso die Pflichtschulabschlüsse.Und das sind wichtige Dinge." Bedenken müsse man aber immer, dass sich die Effekte mehrerer Maßnahmen nicht einfach addieren, sondern die Auswirkungen in einem dynamischen Modell dann deutlich stärker werden als einfach nur eine Verdoppelung zum Beispiel.
Er rechne zwar mit einem leichten Anstieg der Infektionszahlen in den kommenden Wochen, "aber nicht mit einem unkontrollierten Peak, deshalb sind die Lockerungen ja gestaffelt." Von einem unkontrollierten Peak gehe er deshalb derzeit nicht aus, das hänge aber immer von den aktuellen Entwicklungen ab.
Wobei es in Zukunft entscheidend sein werde, Infizierte rasch "aus der Reproduktionskette" herauszuholen: "Wenn sie erkrankt sind macht es einen Unterschied aus, ob sie noch fünf Tage andere Menschen anstecken oder nur eineinhalb Tage. Das ist einer der wichtigsten Punkte, um die Ausbreitung zu bremsen."
Gesamtgesellschaftliche Diskussion
Als Simulationsexperten könnten er und seine Kollegen nur helfen, die Auswirkungen von Maßnahmen zu berechnen: "Die Entscheidung, welchen Weg man dann geht, ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion und liegt bei den Entscheidungsträgern."
Popper betont, dass die Maßnahmen nur der Rahmen sind: "Je mehr wir uns dort einschränken, wo es nicht weh tut, umso besser wird der Effekt sein."
Dies werde gerade in den kommenden Wochen enorm wichtig sein: "Die Regierung kann Maßnahmen setzen, das ist das eine. Aber wenn wir gleichzeitig in der U-Bahn nicht mehr Abstand halten,keine Masken tragen, uns anhusten, dann stimmen auch die Modelle nicht mehr." Und Popper betont: "Die Strategie von Hammer und Tanz - zuerst strenge Maßnahmen, dann Lockerung - funktioniert nur, wenn jetzt alle solidarisch sind."
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