Stammzelltherapie zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen
Populärer wird etwa eine Stammzelltherapie zur Wiederherstellung der Bandscheiben. "Damit haben wir erstmals die Möglichkeit, Rückenschmerzpatientinnen und -patienten mit beginnender degenerativer Veränderung an den Bandscheiben durch Wiederaufbau der Bandscheibe zu behandeln", umreißt Grossauer. Die Bandscheiben werden mit körpereigenen Stammzellen aus dem Knochenmark regeneriert und gewinnen ihre Dämpfungs- und Bewegungsfunktion zurück.
Den Ablauf erklärt der Mediziner, der das Verfahren im Zentrum für Medizin und Gesundheit selbst durchführt, so: "Der Patient wird in Kurzschlaf versetzt und im Bereich des Beckenkammes Knochenmark gewonnen." Das gewonnene Material kommt in eine medizinische Zentrifuge, wo das Knochenmark in ein Zellkonzentrat mit hoher Stammzelldichte und ein Serum, den flüssigen Bestandteil des Knochenmarks, aufgeteilt wird. "Im Anschluss mischt man etwas von dem Serum mit den Stammzellen und spitzt das Gemisch in die betroffenen Bandscheiben."
Patienten werden nach Stammzell-Injektion sofort entlassen
Für Grossauer liegen die Vorteile auf der Hand: Neben dem Wegfall eines operativen Eingriffs (in Form einer Bandscheiben-OP) und eines stationären Aufenthalts – die Patienten können alltägliche Tätigkeiten sofort wieder durchführen, intensiven körperlichen Tätigkeiten nach sechs Wochen wieder nachgehen – sei die Komplikationsrate gering. "Im Unterschied zu anderen Wirbelsäulen-Eingriffen, die sehr wohl komplikationsbehaftet sein können. Auch wenn in der minimalinvasiven Wirbelsäulenchirurgie darauf geachtet wird, dass man so wenig Gewebe wie möglich zerstört."
Die Erfolgsrate dieser intradiskalen Stammzelltherapie sei "exzellent", fasst der Mediziner zusammen: "Bei 80 Prozent der Patienten tritt laut Studien mindestens eine 60-prozentige Schmerzreduktion innerhalb von sechs Monaten ein."
Nicht alle Fachleute sind derart euphorisch. "Das Thema der Stammzelltherapie bei Bandscheibenproblemen ist medizinisch kompliziert", schickt Christian Bach, Vorstand der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie an der Klinik Floridsdorf, voraus. Prinzipiell sei der Einsatz beim Volksleiden Rückenschmerz "ein guter Ansatz", betont der Wirbelsäulen-Spezialist. "Allerdings muss man sagen, dass wir uns noch im experimentellen Stadium befinden und nicht von einem etablieren Therapieverfahren sprechen können."
Belege für schmerzlindernde Wirkung
Ein Problem sieht Bach in der noch dünnen Studienlage. Zwischen 2010 und 2020 wurden sieben Untersuchungen dazu am Menschen publiziert. Darunter klinische Studien mit einigen Dutzend Probandinnen und Probanden, aber auch einfache Fallstudien mit teils einstelliger Teilnehmerzahl. Es gebe durchaus Belege für eine schmerzlindernde Wirkung des Verfahrens bei degenerativen Bandscheibenerkrankungen, summierten slowenische Forschende im Fachblatt Biomolecules and Biomedicine vergangenes Jahr. Wie nachhaltig diese sei, derzeit aber kaum abschätzbar. "Auch der Faktor Finanzierung spielt eine Rolle", sagt Bach. "Wenn Studien von Instituten mit kommerziellen Interessen gesponsert werden, muss man die Ergebnisse kritisch sehen."
Einschränkungen sieht er im Bereich der Zielgruppe: "Sobald die Bandscheibe gröber kaputt oder degeneriert ist, eignet sich das Verfahren nicht mehr. Das bedeutet nicht, dass der Ansatz per se schlecht ist, man muss nur transparent kommunizieren, dass es kein Allheilmittel ist." Ein Problem bestehe auch darin, dass das alleinige Einspritzen in eine degenerierte Bandscheibe womöglich in vielen Fällen nicht zielführend sei: "Wenn eine Bandscheibe abbaut, wird sie niedriger und instabiler. Damit die Stammzellen ihre Wirkung entfalten können, müsste man die Bandscheibe eigentlich vorher entlasten – etwa durch per OP eingesetzte Schrauben – und dann Stammzellen einspritzen. Dann verlassen wir aber den Bereich der minimalinvasiven Verfahren."
Den Menschen bei Bandscheibenproblemen ganzheitlich behandeln
Bandscheibenprobleme sind oft Folge von Haltungsfehlern, Unfällen, körperlicher oder psychischer Überlastung sowie Übergewicht. Auch diese Faktoren gelte es bei der Behandlung zu berücksichtigen, sagt Bach. "Natürlich darf man sich nicht scheuklappenmäßig um die Wirbelsäule kümmern, sondern muss eine ganzheitliche Gesundheitsberatung anstreben", betont auch Grossauer.
Derzeit hat die Behandlung ohnehin seinen Preis: In der Ordination fallen rund 6.000 Euro für den gesamten Eingriff an. Leiden die Patienten neben Rücken- auch an Gelenksschmerzen, kann ein Teil des gewonnenen Serums in betroffene Gelenke gespritzt werden.
Grossauer plädiert für eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen: "Das Verfahren ist effektiv, minimalinvasiv und komplikationsarm. Jede Therapie mit diesem Profil sollte in die Regelversorgung überführt werden." Woran hakt es? Grossauer: "Zum einen konkurriert die Methode mit etablierten Verfahren, zum anderen benötigt sie keine medikamentöse Begleitung, dadurch ist der Rückhalt in der Pharma-Szene gering."
Neue Therapien auf dem Prüfstand
Sollte sich das Potenzial in soliden Studien bestätigen, spreche laut Bach nichts gegen eine Übernahme in die Regelversorgung. "Warum sollte man ein hochwirksames Verfahren Patienten vorenthalten und sie zwingen, in den Privatbereich zu gehen? Das wäre gesundheitspolitisch nicht vertretbar. Vor allem, weil Rückenschmerzen enormen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten."
Oft würden neue Therapien jedoch nicht halten, was sie versprechen: "Auf vielversprechende Ergebnisse folgen negative, es folgt eine Phase der Unentschlossenheit in Fachkreisen, dann folgen noch mehr negative Daten – und man kommt von der Methode wieder ab", sagt Bach. Grossauer zeigt sich unterdessen optimistisch: "Jede Therapie wird zuerst an den Rändern groß und kommt dann irgendwann in den Mainstream."
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