Fibromyalgie: Wenn der Körper pausenlos schmerzt
"Angefangen hat alles mit 14 Jahren, mit Knieschmerzen", erinnert sich Karin Gussmack. "In den Folgejahren kamen Schulter- und Rückenschmerzen, Muskelbrennen, Magen-Darm-Probleme und permanente Erschöpfung dazu." Mit 40 musste die gelernte Friseurin wegen der anhaltenden Körperschmerzen ihren Beruf aufgeben. "Mein Leben spielte sich nur mehr im Bett ab."
Einen Namen konnte die Steirerin ihrem quälenden Zustand damals nicht geben. Bluttests, Röntgen und andere Untersuchungen blieben ohne Befund. "Niemand konnte mir sagen, was dahintersteckt." Heute weiß die inzwischen 59-Jährige: "Ich litt am Fibromyalgiesyndrom."
Dabei handelt es sich um eine chronische Schmerzstörung, die den ganzen Körper betrifft. "Die Schmerzen variieren von Kopf bis Fuß und treten meist in Gelenken, in Muskeln oder Bändern auf", präzisiert Sabine Sator, Leiterin der Schmerzambulanz an der MedUni Wien.
Betroffene müssen viele Hürden nehmen
Seit den Neunzigern haben sich die Forschungen zu Fibromyalgie intensiviert. Das Syndrom ist inzwischen eine anerkannte Erkrankung, die Ursachen sind nach wie vor nicht vollständig geklärt. "Wir wissen, dass eine Schmerzverarbeitungsstörung im Gehirn vorliegt", sagt Sator. Betroffene spüren Schmerzen an Körperstellen, obwohl dort keine Veränderungen vorliegen, die sich via Bluttest oder bildgebender Verfahren abbilden lassen. Die Spezialistin beobachtet in ihrer Arbeit mit Patientinnen und Patienten häufig, dass Anlässe, "die Menschen aus der Balance werfen", der Fibromyalgie vorangehen: Traumatische Kindheitserfahrungen, einschneidende Lebensereignisse oder auch massive Virusinfektionen.
Während die Diagnose früher über das Bestimmen von Schmerzstellen, sogenannter Tender Points, erfolgte, wird Fibromyalgie heute mittels Anamnese und den Ausschluss anderer Krankheiten festgestellt. Denn auch Tumore, Erkrankungen des zentralen Nervensystems oder rheumatologische Leiden können den Körper schmerzen lassen.
Bei Karin Gussmack setzte eine Überweisung zum Rheumatologen dem Rätselraten ein Ende. Damals war sie Mitte 40 – "und erst einmal erleichtert". Der lange Weg zur Diagnose ist typisch. Weil Fibromyalgie in der Wissenschaft lange keine Beachtung fand, mangelt es bei Ärzten an Wissen: "Betroffene rennen von Pontius zu Pilatus – teilweise wird die Diagnose vorschnell vergeben, teilweise wird viel zu spät eine Therapie eingeleitet", betont Sator. Betroffenen wird oft unterstellt, sie würden sich den Schmerz einbilden, seien wehleidig oder hypochondrisch veranlagt. "Der Zustand ist aber real."
Aktuell ist die Suche nach Auffälligkeiten im Blut nicht Teil der Diagnostik. Im Hintergrund wird aber weiter dazu geforscht. So konnte ein spanisch-amerikanisches Forschungsteam kürzlich zeigen, dass Muster in kleinsten Molekülen dazu dienen könnten, Fibromyalgie von anderen Krankheiten zu unterscheiden. Dass es möglicherweise doch Elemente im Blut – oder auch im Liquor, der Hirnflüssigkeit – geben könnte, bestätigt auch Sator: "Hier sind aber noch viele Fragen offen."
Auch nach der Diagnose fühlte sich Gussmack jahrelang unverstanden. Verschriebene Medikamente schlugen nicht an. Von Verzweiflung getrieben, begann sie selbst nach Schmerztherapien zu suchen, wurde zur Expertin ihrer eigenen Krankheit. Eine Heil-Kur brachte Linderung: "Nach Jahrzehnten war ich fast beschwerdefrei." Doch die Schmerzen kamen zurück. "Ich war vollkommen deprimiert", beschreibt Gussmack, die Gründerin der Selbsthilfegruppe "Fibromyalgie Österreich" ist.
An sich ist Fibromyalgie keine lebensverkürzende Erkrankung. Welche Folgen der Leidensdruck haben kann, verdeutlicht eine neue Studie aus Israel: Sie zeigt, dass Fibromyalgie sehr wohl mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden sein kann. Durch Unfälle, Infektionen und insbesondere Suizid. "Deswegen ist es so zentral, das Wohlbefinden zu steigern", sagt Sator. Möglich ist das durch Medikamente, die in die Schmerzverarbeitung eingreifen. Hingegen sind klassische Schmerzpräparate – viele Betroffene therapieren sich damit in der Not eigenmächtig – nicht Mittel der Wahl. Sie lindern die spezifischen Schmerzen nicht, "sondern bringen langfristig Nebenwirkungen". Wichtig sei, dass Betroffene in Bewegung bleiben – und sich ihrer Psyche widmen. "Eine Psychotherapie ist unbedingt notwendig, um die Schmerzverarbeitung zu regulieren und den Weg zur dauerhaften Heilung zu ebnen." Wie bei jeder chronischen Erkrankung müsse man jedenfalls "am Ball bleiben". In der Versorgung wünscht sich Sator mehr schmerztherapeutische Angebote in Reha-Kliniken, die von der Krankenkasse getragen werden.
Verbreitung
Zwischen 4 und 6 Prozent der Bevölkerung leiden an Fibromyalgie, die damit zu den häufigen Schmerzerkrankungen zählt. Am häufigsten tritt die Erkrankung zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr aus. Frauen sind viel öfter betroffen als Männer.
Austausch
Die Selbsthilfegruppe „Fibromyalgie Österreich“ unterstützt bei der Bewältigung. Kontakt kann via Mail (fibromyalgie@chronischkrank.at) oder Facebook (www.facebook.com/groups/fibromyalgieoesterreich) aufgenommen werden.
Mit Einsatz den Schmerz besiegen
Karin Gussmack selbst fand den Schlüssel zur Symptomfreiheit im Darm. Über die Stärkung ihrer Darmbarriere durch Haferbrei, fermentiertes Gemüse, basische Nahrungsmittel und Kräuter gelang es ihr, den Schmerzen den Garaus zu machen. Eine gesunde, individuell verträgliche Ernährung sei förderlich, sagt Sator. "Wissenschaftliche Wirkbelege für spezielle Diäten gibt es aber nicht."
Mit ihrer Schmerzkarriere im Rücken wünscht sie sich einen ganzheitlicheren Blick der Medizin auf den Menschen: "Dass der Orthopäde nicht nur auf die Wirbelsäule schaut, und die Rheumatologin nicht nur auf die Blutwerte." Ihre Botschaft an Betroffene: "Nicht in der schmerzbedingten Schockstarre verweilen, sondern mutig Wege aus dem Leid suchen." Auch Sator appelliert an die Eigenverantwortung: "Es gibt keine Infusion, die Fibromyalgie verschwinden lässt. Man muss aktiv gegen den Schmerz vorgehen, um ihn zu besiegen."
Karin Gussmack ist dafür das beste Beispiel. "Ich bin aus der Schmerzfalle herausgestiegen – mein Leben ist schöner als je zuvor".
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