Stimmenhören belastet Betroffene massiv
Bei einer Psychose kommt es zu Störungen der Wahrnehmung und des Denkens. Betroffene Menschen haben das Gefühl, Dinge zu sehen, zu schmecken, zu riechen oder eben auch zu hören, die andere nicht wahrnehmen.
Stimmenhören und andere Halluzinationen sind demnach typische psychotische Phänomene, die zum Beispiel im Zuge einer Schizophrenie auftreten können. Die wahrgenommenen Stimmen drängen sich Betroffenen oft auf, sind abwertend in Inhalt und Ton, wirken übermächtig und bedrohlich und können das Leben massiv beeinträchtigen.
Am Institut für Psychologie, Psychiatrie und Neurowissenschaften des King's College London erforscht man seit einiger Zeit, wie Avatare die Belastung, die das Stimmenhören bei Betroffenen verursacht, lindern könnten.
Gespräche mit digitalen Darstellungen der gehörten Stimmen
Im Kern geht es darum, dass Patientinnen und Patienten in therapeutisch begleiteten Sitzungen in Dialog mit animierten digitalen Darstellungen der Stimmen, die sie hören, treten. "Unseres Wissens ist dies die erste therapeutische Intervention, die eine direkte und nachhaltige Wirkung auf die Häufigkeit des Stimmenhörens hat", zeigt sich Philippa Garety, emeritierte Professorin für klinische Psychologie am King's College London und Hauptautorin der Studie, im Gespräch mit dem Guardian von dem Ansatz überzeugt.
Demnach reduzierte die Avatar-gestützte Therapie in einer Studie Häufigkeit und Belastung des Stimmenhörens.
Effekte, die auch die untersuchten Probandinnen und Probanden bestätigen. "Als ich 2015 die Therapie machte, hörte ich bis zu 30 oder 40 missbräuchliche Stimmen pro Tag, und jetzt sind es nur noch vier oder fünf", schildert etwa Studienteilnehmer Nick. Und weiter: "Ich hatte das Gefühl, die Kontrolle über mein Leben wiederzuerlangen."
Stressreduktion als wichtiges Therapieziel
Das derartige Bewältigungserlebnisse wichtig sind, bestätigt Monika Edlinger, Leiterin Psychosensprechstunde an der Uniklinik für Psychiatrie I der Medizinischen Universität Innsbruck. "Da akustische Halluzinationen für die Betroffenen sehr belastend sein können, ist eine Erweiterung etablierter Therapien, Psychopharmaka Psychotherapie oder Soziotherapie, durchwegs zu begrüßen", betont sie. Insbesondere die Reduktion von Stress, ein erklärtes Therapieziel der Avatar-Intervention, sei "ein wichtiger Faktor für die Erhöhung von Funktionsfähigkeit und Lebensqualität von Menschen mit schizophrenen Erkrankungen".
Vor der tatsächlichen Avatar-Therapie erarbeiten Patientinnen und Patienten mit einem Therapeuten eine computergestützte visuelle Darstellung der Stimme, die sie hören. Der Avatar wird also an die Beschreibungen des Patienten angepasst.
Die Avatar-Sitzung besteht dann aus einem Dreiergespräch zwischen Patient, Therapeut und Avatar auf dem Bildschirm, wobei der Therapeut sowohl sich selbst als auch den Avatar mithilfe einer Sprachumwandlungssoftware spricht. In mehreren Sitzungen lernen die Patienten infolge, sich der Stimme zu widersetzen und Kontrolle über sie zu erlangen.
Breite Anwendung ist denkbar
"Philippa Garety und ihr Team veröffentlichten bereits 2018 erste erfolgversprechende Studienergebnisse zur Therapie von therapieresistenten akustischen Halluzinationen mithilfe von Avatar-Therapie", weiß Edlinger. Zwischenzeitlich gab es einige Folgeuntersuchungen. In aktuellen Untersuchungen geht man auch der Frage nach, welche Methode (Kurz-/Langzeittherapie) die in der Praxis am besten geeignet sein könnte. "Leider gibt es bisher noch keine Langzeituntersuchungen", sagt Edlinger.
Zudem stecke die Therapieform noch "in den Kinderschuhen". Da sich digitale Therapieformen aber immer größerer Beliebtheit erfreuen "und die Forschungsergebnisse vielversprechend sind, kann es durchaus sein, dass die Avatar-Therapie in Zukunft auch als zusätzliches Angebot in der Behandlung schizophrener Störungen breitere Anwendung findet".
Kommentare