Anfang März 2022 war es in der Pandemie eine positive Nachricht, die für Erleichterung sorgte: Die ersten Packungen des antiviralen Medikaments Paxlovid trafen in Österreich ein. Schon damals wurde betont, dass Paxlovid kein Ersatz für die Impfung ist, aber eine deutliche Verbesserung der Covid-Therapie bedeutet. "Auch heute noch ist Paxlovid ein sehr wichtiges Medikament für Personen mit einem hohen Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf", betont der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien. In der Vorwoche sorgten Engpässe in der Versorgung für heftige Diskussionen - ein Wiener Universitätsprofessor musste 30 Apotheken durchrufen, um eine Packung zu bekommen. Am Samstag kündige Gesundheitsminister Johannes Rauch an, dass das antivirale Arzneimittel "spätestens ab Montag" wieder flächendeckend in den österreichischen Apotheken verfügbar sein werde.
"Ich möchte Paxlovid nicht missen, es ist nach wie vor ein sehr wichtiges Medikament, aber gleichzeitig ist es notwendig zu betonen, dass es nicht für jede Patientin und jeden Patienten notwendig ist", sagt Zeitlinger. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema. Der klinische Pharmakologe Zeitlinger erklärt auch anhand konkreter Beispiele, wer das Präparat vorrangig erhalten sollte.
Warum schlagen die Engpässe bei Paxlovid jetzt so große Wellen?
"Bei Paxlovid handelt sich nach wie vor um das einzige Covid-Medikament in Tablettenform, das uns in Europa zur Verfügung steht", betont Zeitlinger. Zwar ist mittlerweile in Japan ein weiteres Präparat in Tablettenform zugelassen (Ensitrelvir), in Europa ist es allerdings nicht verfügbar, es gibt auch keine EU-Zulassung. Eingesetzt wird in Österreich auch das antivirale Medikament Remdesivir, das allerdings muss als intravenöse Infusion verabreicht werden.
Paxlovid hemmt die Virusvermehrung im Körper. Mit der Medikamenteneinnahme sollte spätestens fünf Tage nach Symptombeginn begonnen werden. Über fünf Tage hinweg werden täglich drei Tabletten eingenommen, zwei in der Farbe Pink und eine in der Farbe Weiß.
Die pinkfarbenen Tabletten enthalten den eigentlichen, vom Hersteller Pfizer neu gegen Covid-19 entwickelten Wirkstoff Nirmatrelvir. Er hemmt die Virusvermehrung. Die weißen Tabletten enthalten die Substanz Ritonavir, eine ältere Substanz, die auch in der HIV-Therapie zum Einsatz kommt. Bei diesem Medikament hat sie aber nur die Aufgabe, den Abbau von Nirmatrelvir zu verlangsamen.
Wer soll Paxlovid bekommen?
Menschen mit Risikofaktoren, etwa mit sehr starkem Übergewicht (Adipositas), einem geschwächten Immunsystem (Personen, die keinen oder nur einen schlechten Immunschutz aufbauen weil sie regelmäßig Medikamente einnehmen, die die Immunabwehr schwächen oder herabsetzen können, etwa Transplantationspatienten) , Menschen mit chronischen Erkrankungen, wie etwa der Niere, der Lunge oder des Herzens, oder auch mit Krebserkrankungen und neurologischen Krankheiten. Auch Personen in höherem Alter (über 65) zählen zu den Risikogruppen.
"Man muss heute allerdings auch berücksichtigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung bereits drei und mehr Kontakte mit dem Virus bzw. Virusbestandteilen hatte, durch Infektionen oder Impfungen. Das hat die Situation im Vergleich zu Anfang 2022 schon verändert." Konkret bedeutet das: "Für mich ist eine Zusammenschau aller Befunde ausschlaggebend für die Entscheidung, Paxlovid zu verabreichen."
So würde Zeitlinger das Medikament einem "fitten 70-Jährigen", der zwei Mal wöchentlich Tennis spielen geht, sonst keine Risikofaktoren hat und mindestens drei Mal geimpft ist bzw. und / oder Infiziert war, "nicht unbedingt anbieten". Anders bei einem 40-Jährigen, mit starkem Übergewicht (Adipositas) und Asthma: "Hier würde ich es durchaus einsetzen."
Zeitlinger nennt noch ein Beispiel: "Meinem 80-jährigen Vater würde ich Paxlovid bei einer Infektion auf jeden Fall nahe legen und verschreiben, auch ohne chronische Erkrankungen, einfach damit es ihm schneller wieder besser geht. Aber wenn er dann die Einnahme partout ablehnt, dann würde ich sie ihm heute nicht mehr mit der Vehemenz nahelegen, mit der ich das Anfang 2022 getan hätte. Der Unterschied in meinen Bestehen auf einer Einnahme liegt darin, dass er mittlerweile mehrfach geimpft ist und einen Immunschutz aufgebaut hat."
Was sagt der klinische Pharmakologe zur Verschreibung von Paxlovid an jüngere Menschen ohne Risikofaktoren, einfach mit der Absicht, die Krankheitsdauer zu verkürzen und auch die Symptome zu lindern, auch wenn gar kein Risiko für einen schweren Verlauf besteht?
"Ich persönlich würde in so einem Fall das Medikament nicht verschreiben, aber ich weiß, dass das manche Kolleginnen und Kollegen von mir anders sehen", erläutert Zeitlinger. "Paxlovid ist für Erwachsene zugelassen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben." An Patienten mit Grunderkrankungen wurden auch die Wirksamkeitsdaten erhoben, die ausschlaggebend für die Zulassung waren. "Nach bisher vorliegenden Daten ist der Nutzen bei Patienten ohne Risikofaktoren für einen schweren Verlauf etwas geringer und der tatsächliche Effekt, etwa eine raschere Linderung der Symptome, noch schwer zu beurteilen. Auch wenn keine schweren Nebenwirkungen bekannt sind, stellt sich dann die Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses, denn es bleibt ein Medikament, das potentiell auch Nebenwirkungen verursachen kann. Aber einen Kunstfehler sehe ich jedoch auch nicht darin, wenn jemand Paxlovid einem jüngeren Patienten auf Wunsch verordnet."
Wie wirksam ist Paxlovid überhaupt - und wirkt es auch gegen die aktuellen Virusvarianten?
In der Zulassungsstudie hat Paxlovid das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf um 89 Prozent im Vergleich zu einem Placebo (Scheinmedikament) reduziert. Damals musste man es jeweils 16 Personen geben, um einen Spitalsaufenthalt zu verhindern. "Die Mutationen des Coronavirus haben keinen Einfluss auf die Wirksamkeit, das Medikament ist davon nicht betroffen", betont Zeitlinger. "Wir sehen, dass es nach wie vor die Schwere von Erkrankungen als auch die Dauer der Virusausscheidungverringert. Aber angesichts der stark veränderten Immunitätslage jedes Einzelnen ist es heute sehr schwierig, konkrete Prozentsätze zu nennen, wie viele Spitalsaufenthalte oder Todesfälle verhindert werden. Auf die Symptome des Einzelne wirkt es sich jedenfalls günstig aus."
Welche Nebenwirkungen gibt es?
Die häufigsten Nebenwirkungen waren vorübergehende Geschmacksstörungen, Durchfall, Kopfweh und Erbrechen. Auch vorübergehender Bluthochdruck und Muskelschmerzen wurden berichtet. Schwere bleibende Nebenwirkungen wurden in der Zulassungsstudie keine berichtet. "Trotzdem sollte man ein Medikament nur dann verabreichen, wenn es wirklich notwendig ist", betont Zeitlinger.
Bevor man Paxlovid bekommt, muss die Ärztin bzw. der Arzt aber überprüfen, welche Medikamente man sonst einnimmt?
Es gibtetliche Gegenanzeigen (Umstände, bei denen man ein Medikament nicht anwenden darf), konkret die gleichzeitige Einnahme zahlreicher anderer Medikamente. So sollen etwa manche Blutfettsenker, bestimmte Mittel gegen Epilepsie, bestimmte Krebsmedikamente oder Medikamente gegen Depressionen nicht gleichzeitig mit Paxlovid eingenommen werden. "Das muss der Arzt vor der Verschreibung überprüfen, unter Umständen muss man das eine oder Präparat eine Woche lang absetzen, aber das ist in der Regel kein Problem", sagt Zeitlinger.
Immer wieder hört man, dass nur wenige Wochen nach der Paxlovid-Einnahme eine neuerliche Infektion auftritt?
"Bei solche Aussagen muss man zwei Dinge unterscheiden", betont Zeitlinger: Den "Rebound-Effekt" (von englisch reboud "Rückprall") und eine Reinfektion, also eine neuerliche Infektion.
Rebound: Hier treten in der Regel zeitnah - wenige Tage - nach dem Ende der Therapie Covid-Symptome wieder auf und / oder man ist nach einem bereits negativen Test neuerlich positiv. "Dabei handelt es sich aber um keine neuerliche Infektion. Die Virusvermehrung konnte zwar deutlich gebremst werden, aber die Therapie hat nicht ausgereicht, um das Virus aus dem Körper vollständig zu entfernen und es konnte sich nach dem Absetzen der Tabletten neuerlich vermehren." Zeilinger betont, dass dies auch bei einem Krankheitsverlauf ohne Paxlovid der Fall sein könne, dass also auch das Immunsystem das Virus nicht sofort komplett eliminieren könne.
Derzeit werde in Fachkreisen intensiv diskutiert, ob dieses Phänomen bei Paxlovid-Gabe tatsächlich signifikant häufiger ist. Zwar gebe es Studiendaten in diese Richtung, "aber ich glaube, zum Teil werden die Daten der Studien nicht korrekt interpretiert". Auch in einer Mitteilung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom Jänner 2023 hieß es: "Es ist noch unklar, ob ein Rebound-Phänomen nach Behandlung einer COVID-19-Erkrankung mit Paxlovid signifikant häufiger ist als nach spontanem Verlauf."
Reinfektion: Da Paxlovid die Virusvermehrung bremst, könnte das Immunsystem die Infektion als weniger gefährlich einstufen und weniger Antikörper gegen das Virus bilden. In diesem Fall wäre die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es rascher zu einer neuerlichen Infektion kommt. Zeitlinger: "Das ist eine theoretische Überlegung, eine Hypothese, gute Studiendaten dazu gibt es aber nicht."
Beide diskutierten Phänomene sprechen aber nicht gegen einen Einsatz von Paxlovid bei Risikopersonen, betont Zeitlinger. "Ein weiteres Argument für den Einsatz sind Daten, die darauf hinweisen, dass auch die Wahrscheinlichkeit für Long-Covid reduziert wird. Sprechen alle Befunde für eine Verordnung von Paxlovid, dann überwiegt der Nutzen des Medikaments eindeutig alle theoretisch möglichen Nebenwirkungen und Risiken."
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