Fehlender Grippe-Impfstoff: Echter Mangel oder Logistik-Chaos?
Anruf der Ordinationsassistentin beim Patienten: „Wir müssen den vereinbarten Termin für Ihre Grippe-Impfung leider stornieren. Wir erhalten keinen Impfstoff mehr. Und wir können derzeit auch keinen neuen Termin ausmachen.“ Derartige Telefonate waren in den vergangenen Tagen keine Einzelfälle. Bei vielen Ärztinnen und Ärzten ist im Rahmen des heurigen öffentlichen Impfprogramms kein Vakzin mehr erhältlich. Davon betroffen sind besonders auch der Nasenspray-Impfstoff für Kinder und Jugendliche sowie der Impfstoff für ältere Menschen ab 65 Jahren. Doch welche Gründe gibt es dafür? Und wie kann man doch noch zu einem Impfstoff kommen?
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Bereits vor rund einer Woche haben die österreichischen und die Wiener Ärztekammer auf einen Mangel an Influenza-Impfstoffen im Rahmen des „Öffentlichen Impfprogramms Influenza“ von Bund, Bundesländern und Sozialversicherung (ÖGK) aufmerksam gemacht. Dieses sieht lediglich einen Selbstbehalt von 7Euro (für Impfstoff und Impfung) vor. „Bundesweit gibt es nach wie vor einen massiven Mangel an Influenza-Impfstoff, besonders lange schon beim Impfstoff für Senioren und dem Nasenspray-Impfstoff für Kinder“, sagt ÖÄK-Vizepräsident Edgar Wutscher: „Ich habe schon im Juni bei den Besprechungen mit der ÖGK gesagt, dass knapp eine Million Dosen für dieses Programm zu wenig sind.“
„In Wien haben nach wie vor mehr als 180 Ordinationen keinen Influenza-Impfstoff, weil es einen Bestellstopp und keine Nachlieferungen gibt“, so Allgemeinmedizinerin Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin und Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer für Wien.
Regionale Unterschiede
Doch offenbar gibt es nicht überall einen Mangel: „Die Grippeimpfung läuft gut in Niederösterreichs Ordinationen“, hieß es am Mittwoch in einer Aussendung der Ärztekammer für Niederösterreich. Die nö. Ärzteschaft sei von einer stärkeren Grippewelle ausgegangen und habe deshalb eine größere Menge an Impfstoffen bestellt.
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Im Gesundheitsministerium bestätigt man, dass die ursprünglich für das öffentliche Impfprogramm beschaffte Menge an Dosen bereits vollständig durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Impfstellen (z. B. Betriebe, Pflegeheime) und Apotheken abgerufen und ausgeliefert wurde. Bei der ÖGK heißt es, das von Bund, Ländern und Sozialversicherungen festgelegte Budget von 35 Millionen Euro habe die Anschaffung der rund eine Million Impfdosen ermöglicht.
Davon seien aber erst knapp 650.000 Dosen (Stand 5. 12.) im elektronischen Impfpass dokumentiert, so das Ministerium. „Der Rest wurde noch nicht verimpft und liegt in Impfstellen auf“, heißt es bei der ÖGK. Wo wie viele Dosen noch vorhanden sind, wisse man nicht.
„Es ist sicher nicht Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte, diese Impfstoffe ausfindig zu machen“, sagt Kamaleyan-Schmied: „Es wäre furchtbar, wenn diese Dosen in irgendwelchen Kühlschränken liegen bleiben. Hier muss die Logistik verbessert werden. Bei der Covid-Impfung funktioniert das tadellos. Und in Wien hat in den vergangenen zwei Jahren auch die Logistik der Gratis-Influenza-Impfung sehr gut geklappt.“
Kinder und Senioren
In einer Unterlage des Gesundheitsministeriums vom Oktober mit Fragen und Antworten für Impfstellen wird betont, dass nur so viel Impfstoff bestellt werden solle, wie „Sie realistisch verimpfen können ... Nachbestellungen sind nach Maßgabe der Impfstoffverfügbarkeit jederzeit möglich.“ Auf diese Weise soll ein Verwurf von Impfdosen vermieden werden. Allgemeinmediziner Wutscher: „Ärzte, die darauf vertraut haben und vorsichtshalber zunächst weniger bestellt haben, haben jetzt das Nachsehen.“
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Der für Kinder beliebte Impfstoff Fluenz tetra – er wird als Spray über die Nase verabreicht – ist ebenfalls teilweise vergriffen. Insgesamt wurden laut Gesundheitsministerium 127.323 Dosen des Nasensprays für Kinder und Jugendlichen zwischen 2 und 18 Jahren bestellt. „Im Moment haben wir keine flächendeckende Versorgung, es gibt enorme regionale Unterschiede. Die Nachfrage nach der Grippeimpfung ist heuer unerwartet deutlich höher als sonst“, sagt der Wiener Kinderarzt Peter Voitl. "Die Sorge, dass man sich einen vermeidbaren Virusinfekt einfangt, ist jedenfalls bei Eltern verstärkt da."
In manchen Ordinationen sei der Spray noch verfügbar, darunter etwa Voitls Praxis, in anderen aufgebraucht. Laut dem Kinderarzt sei die erhöhte Nachfrage nicht vorherzusehen gewesen. „Wir beobachten generell ein größeres Bewusstsein für Impfungen bei Kindern. Das mag mit Corona zu tun haben. “
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„Die Planung vonseiten des Gesundheitsministeriums ist eine Gratwanderung – hier wurde heuer mit einem durchschnittlichen Jahr berechnet, nun zeigt sich aber, dass überdurchschnittlich oft nachgefragt wird. Je mehr man bestellt, desto mehr riskiert man, dass Impfstoff übrig bleibt und weggeschmissen wird“, betont Voitl. Dies sei in vergangenen Impfsaisonen auch öfter der Fall gewesen, so die ÖGK. In den vergangenen Jahren sei die Grippeimpfung bei Kindern und Jugendlichen weniger nachgefragt gewesen als andere Impfungen. "Bei den Covid-Impfstoffen haben wir etwa sehr viel weggeschmissen – dieses Geld würden wir im Gesundheitssystem andernorts brauchen."
Im Gesundheitsministerium heißt es dazu: "Aufgrund der langen Vorlaufzeit für die Influenza-Impfstoff-Produktion muss die Impfstoffbeschaffung für die jeweilige Impfsaison im Sommer des Vorjahres durchgeführt werden. Da in Österreich heuer erstmals ein bevölkerungsweites Influenza-Impfprogramm zur Verfügung steht, gab es zum Zeitpunkt der Beschaffung keine repräsentativen Erfahrungswerte für die Inanspruchnahme und den tatsächlichen Impfstoffbedarf in der diesjährigen Saison. Vor dem Ausbruch der Covid-19 Pandemie lagen die geschätzten österreichweiten Influenza-Durchimpfungsraten unter 10 %, mit den für das Öffentliche Impfprogramm Influenza beschafften Impfstoffmengen kann in der Saison 2023/24 eine durchschnittliche Durchimpfungsrate von 11 % erreicht werden."
Laut Ministerium und ÖGK konnten 12.300 Dosen des Kinderimpfstoffs nachbeschafft werden, ebenso rund 22.500 Dosen des Seniorenimpfstoffs Fluad tetra.
Für Privatzahler gibt es noch Impfstoff
In den Apotheken sind noch privat zu zahlende Impfstoffe erhältlich: Die „klassischen“ Impfstoffe für Erwachsene unter 65 Jahren um ca. 25 Euro und Seniorenimpfstoffe zwischen 40 und 60 Euro. Den nasalen Impfstoff für Kinder gibt es nur im öffentlichen Programm, er konnte von den Apotheken außerhalb dieses Programms nicht bestellt werden, heißt es bei der Österreichischen Apothekerkammer: "Deshalb gibt es hier auch keine Reserven in den Apotheken."
Influenza
Die „echte Grippe“ wird durch das Influenza-Virus ausgelöst und ist eine ernsthafte, mitunter lebensbedrohliche Krankheit. Grippale Infekte oder Erkältungen werden durch andere Erreger verursacht, etwa Rhinoviren.
Symptome
Die Grippe beginnt meist mit plötzlichem Krankheitsgefühl, hohem Fieber, Muskel- und Gliederschmerzen sowie Husten, Kopf- und Halsschmerzen. Schwere Folgen der Infektion können z. B. Herzmuskelentzündung, Bronchitis, Lungenentzündung oder Kreislaufversagen sein. In der Grippesaison 2022/23 starben in Österreich rund 4.000 Menschen an Grippe.
Allein aufgrund der Symptome lässt sich nicht feststellen, ob es sich um eine Grippe oder z. B. Covid-19 handelt. Sicherheit darüber gibt nur ein Test. Mehr dazu lesen Sie bitte hier.
Wer den Impfstoff privat kauft und sich dann von einem Arzt impfen lassen will, muss aber auch noch mit zusätzlichen Kosten für ein Impfhonorar (in der Regel zwischen 15 und 20 Euro) rechnen. Im öffentlichen Programm belaufen sich für den Patienten die Gesamtkosten auf sieben Euro, für den Impfstoff und die Durchführung der Impfung.
Auch Engpass bei Corona-Medikament Paxlovid?
Auch bei dem Covid-19-Medikament Paxlovid, das Menschen mit hohen Risikofaktoren für einen schweren Verlauf verabreicht wird, scheint es logistische Probleme zu geben. Der Molekularbiologe Ulrich Elling ortet eine unzureichende Beschaffung. Das Medikament sei "national nicht rechtzeitig bestellt" worden, so Elling auf dem Kurznachrichtendienst "X". Und: "Fehlendes Paxlovid und fehlende Kommunikation wird Leben kosten!"
Aus dem Gesundheitsministerium heißt es auf Anfrage von Puls 24, dass man derzeit gemeinsam mit der Apothekerkammer an einer Neuverteilung auf jene Apotheken arbeite, in denen "derzeit kein Paxlovid vorrätig ist". Von rund 180.000 beschafften Packungen seien Ende Oktober noch rund 70.000 im Umlauf gewesen. Diese sollen nun auf die Apotheken aufgeteilt werden. Parallel prüfe der Bund die Beschaffung zusätzlicher Mengen.
Wo erhält man Informationen zu verfügbaren Impfstoffen?
Die Grippeimpf-Hotline +43 5 0766-501510 kann bei der Suche nach einer Impfstelle behilflich sein, heißt es im Gesundheitsministerium.
Die Liste der Influenza‐Impfordinationen in Niederösterreich ist unter www.arztnoe.at/fuer-patienten/influenzaimpfung zu finden. Ersichtlich ist in der Liste auch, ob nur eigene Patient:innen oder auch fremde Patient:innen geimpft werden und für welche Altersgruppe in der jeweiligen Ordination Impfstoffe vorrätig sind.
Laut ÖGK gibt es auch in den Gesundheitszentren der Gesundheitskasse noch ausreichend Impfstoff und es werden kontinuierlich neue Termine freigeschalten:
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