Omikron: Wie berechtigt ist die Hoffnung auf weniger schwere Verläufe?
Von "good news über ein etwas milderes Omikron" schreibt die Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf auf Twitter: "Besonders bei Geimpften und jüngeren Altersgruppen." Und bezieht sich damit auf neue Studien aus Südafrika, England und Schottland, die zeigen, dass Infektionen mit der Omikron-Variante des Coronavirus im Vergleich zur Delta-Variante seltener zu einer Spitalsaufnahme führen. Doch was ist von diesen Daten zu halten? Könnte die erwartete Omikron-Welle doch weniger heftig ausfallen als vielfach befürchtet?
So ging laut einer Studie des Imperial College London die Zahl der Krankenhausaufenthalte bei Omikron in England im Vergleich zu Delta um 20 bis 25 Prozent zurück. Eckerle selbst schränkt gleich ein: "Für Ungeimpfte, Ältere, Risikogruppen und Kinder ist das nicht so klar." Und: "Mit der höheren Übertragbarkeit ist es problematisch, wenn viele Menschen in sehr kurzer Zeit krank werden."
Der Virologe Christian Drosten schreibt auf Twitter: "Ungeimpfte haben bei Infektion mit Omikron vs. Delta ca. 24 Prozent weniger Risiko einer Krankenhausaufnahme. Omikron ist also gegenüber Delta etwas abgeschwächt. Etwas. Unterschied bei schweren Verläufen weiter unklar."
Und Drosten zitiert eine Studie aus dem australischen Bundesstaat New South Wales mit der Hauptstadt Sydney: "In NSW sind fast 95 Prozent der Erwachsenen doppelt geimpft. Hier reduziert Omikron gegenüber Delta die Quote der Krankenhaus-Aufnahmen um mehr als die Hälfte." Aber auch da schränkt er ein: "Klar, man muss immer dazu sagen: Ein schneller Inzidenzanstieg macht den Effekt zunichte. Aber dennoch erfreulich!"
"Zumindest in Laborstudien scheint Omikron schlechter in der Lage zu sein, Zellen zu infizieren", sagt der deutsche Immunologe Carsten Watzl. "Durch die Mutationen im Spike-Protein binden die Antikörper zwar deutlich schlechter, aber auch die Interaktion mit dem Rezeptor an den Zellen, der die Eintrittspforte für das Virus ist, scheint dadurch verschlechtert zu sein. Omikron hat wohl einen deutlichen Vorteil bei der Vermehrung in den oberen Atemwegen, aber einen Nachteil bei der Infektion in der Lunge."
Trotzdem bleibt aber das Infektionsrisiko enorm hoch: "Den besten Schutz vor Infektionen und Krankenhausaufenthalten bietet weiterhin die Auffrischungsimpfung", betont Azra Ghani, eine der Autorinnen der Studie des Imperial College London.
"Noch zu früh"
"Für ein endgültiges Urteil über die Krankheitsschwere bei Omikron im Vergleich zu Delta ist es noch zu früh", sagt die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien. "Wir wissen nicht, ob die milderen Krankheitsverläufe mit veränderten Eigenschaften des Virus zu tun haben oder ob die Ursache dafür bei anderen Faktoren liegt."
So sei die Bevölkerungsstruktur in Südafrika mit deutlich mehr jungen Menschen nicht mit Europa vergleichbar. Sehr viele Menschen hätten dort auch bereits eine Infektion mit einer anderen Coronavirus-Variante durchgemacht. "Und in England und Schottland wiederum sind schon sehr viele Menschen geimpft bzw. auch genesen." Diese Grundimmunität könnte bei einer Infektion mit Omikron zu milderen Krankheitsverläufen führen.
Und bekannt sei mittlerweile auch, dass die Omikron-Variante häufiger zu neuerlichen Infektionen führen kann als die Delta-Variante - also leichter bereits Infizierte neuerlich infiziert.
Noch fehle es an ausreichenden und wirklich belastbaren Vergleichen des Krankheitsverlaufs mit Omikron bei Geimpften und Ungeimpften. "Erst diese Daten würden eine Aussage ermöglichen", sagt Redlberger-Fritz. Das schreibt auch der Molekularbiologe Martin Moder auf Twitter: "Wir wissen derzeit nicht, ob jemand ohne Immunschutz bei Omikron auf einen leichteren Verlauf hoffen kann."
Ein höheres Risiko für Kinder?
Und man habe auch noch keine ausreichend differenzierten Daten zu unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, unterstreicht Redlberger-Fritz. So zeigt sich in Frankreich und England ein besonders starker Anstieg bei den Spitalsaufnahmen von Kindern. Allerdings zirkuliert unter ihnen das Virus auch am stärksten. "Das ist wieder das Problem der großen Zahlen. Es gab immer vereinzelt schwere Infektionen bei Kindern - insgesamt aber waren sie sehr selten. Wenn sich jetzt allerdings durch die höhere Infektiosität von Omikron viel mehr Kinder anstecken, wird man diese schweren Infektionen insgesamt häufiger sehen."
Redlberger-Fritz bleibt abwartend: "Die einzig gute Nachrichtn ist, dass es keine schlechteren Nachrichten gibt."
"Noch keine Erkältung"
"Wir sind noch nicht in einem Stadium, in dem wir eine Coronainfektion wie eine Erkältung behandeln", sagt Azra Ghani vom Imperial College London. Der Epidemiologe William Hanage von der Harvard T.H. Chan School of Public Health betont, dass Ungeimpfte, die auch noch keine Infektion mit einer anderen Variante hinter sich haben, jetzt einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind.
"Wen man ungeimpft ist und nie zuvor mit dem Coronavirus infiziert wurde, verläuft die Infektion etwas weniger schwer als Delta", wird Hanage in der New York Times zitiert. "Aber es ist ein wenig so wie wenn man sagt, dir haut jemand mit einem Hammer auf den Kopf - anstatt mit zwei Hämmern. Und die Wahrscheinlichkeit, dass dich der Hammer trifft, ist größer."
Auch der Molekularbiologe Martin Moder verweist wie Redlberger-Fritz darauf, dass die geringere Erkrankungsschwere bei Delta eben daran liegen könne, "dass Omikron viel besser darin ist, Leute zu infizieren, die bereits einen Immunschutz haben. Omikron infiziert somit eher auch Leute, die bereits einen Schutz vor schweren Verläufen haben."
Und er erläutert, warum damit allein der Kampf gegen die Pandemie noch nicht gewonnen ist: "Angenommen, Omikron wäre intrinsisch schwächer (das Virus führt unabhängig vom Immunschutz zu leichteren Verläufen, Anm.) und Infizierte würden halb so oft hospitalisiert werden, wäre das für den einzelnen Infizierten zwar gut, pandemisch würde es jedoch wenig ändern. Bei einer Verdoppelungszeit von 3 Tagen hätten wir genau drei Tage gewonnen."
"Die Hoffnung besteht"
Was bleibt, ist also Zuversicht. Die Leiterin des Zentrums für Virologie der MedUni Wien, Elisabeth Puchhammer-Stöckl, schreibt im Newsletter Virusepidemiologische Information: "Höhere Infektiosität und schwerere klinische Verläufe treten aber nicht notwendigerweise gemeinsam auf, denn Viren optimieren sich primär über ihre Fähigkeit zur möglichst effizienten Infektion. Daher besteht bei jeder neuen Variante auch theoretisch die Möglichkeit und die Hoffnung, dass sie vielleicht zwar ansteckender ist als die aktuell dominante Variante, aber zu weniger schweren Infektionsverläufen führen könnte."
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