Öffnungsschritte: Was man von Vorarlberg lernen kann
Seit Mitte März ist Vorarlberg eine Modellregion für Öffnungen – die Sieben-Tages-Inzidenz hat sich seither von rund 65 auf knapp 240 vervierfacht. Wie ist das zu bewerten? Was Experten zur Argumentation von LH Markus Wallner sagen.
Aussage: Die steigenden Zahlen gehen darauf zurück, dass sich die infektiösere britische Variante erst nach den Öffnungen ausgebreitet hat.
Einschätzung: „Das klingt plausibel, aber letztlich wissen wir es nicht“, sagt Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien.
„Es ist eine Spekulation. Die britsche Variante wird einen Anteil haben, aber das Ausmaß kennen wir nicht, eine begleitende Evaluation zu dieser Frage gibt es nicht“, sagt Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems. Mikrobiologe Michael Wagner von der Uni Wien: „Zu sagen, der Anstieg der Infektionen in Vorarlberg länge nur an B.1.1.7 ist nicht richtig, sonst würden die Infektionszahlen beispielsweise in Wien und NÖ nicht fallen.“
Für den Vorarlberger Gesundheitsexperten Armin Fidler ist die britische Variante der Hauptfaktor. Auch die hohe Testfrequenz könne den Anstieg nicht alleine erklären, betont Gartlehner: „Es steigen nicht nur die asymptomatischen, sondern auch die symptomatischen Fälle.“
Aussage: Nur auf Inzidenzen schauen ist mittlerweile zu wenig. Die Zahl der Intensivpatienten ist nicht gestiegen.
Einschätzung: „Das ist auch meine Hauptaussage“, sagt Hutter. „Man muss parallel auch andere Parameter dazu nehmen, die Spitalsaufnahmen etwa und die Belegung der Intensivbetten. Und man muss auch sehen, dass andere Risiken – etwa von psychischen Erkrankungen, Arbeitslosigkeit – reduziert werden, gerade auch bei den Kindern.“ Aber das werde oft zu wenig gesehen: "Für Depressionen, Familienprobleme, Diabetes oder Bewegungsmangel gibt es halt keine täglich aktualisierten Dashboards."
„Angesichts der hohen Zahl an älteren Geimpften kann man sich etwas höhere Inzidenzen als die im Herbst diskutierten Schwellenwerte von 50 oder 100 erlauben“, sagt Gartlehner. „Beachten muss man aber auch, dass die Fallzahlen auf den Intensivstationen immer mit zwei- bis dreiwöchiger Verzögerung steigen.“
Mikrobiologe Wagner weist daraufhin, dass sogar stabile 7-Tage-Inzidenzen „real bedeuten, dass die Infektionszahlen bei den Ungeimpften hochgehen, weil die Gruppe der Geimpften ja ständig wächst. Das heißt, die Gruppe der von Krankheit Betroffenen wird immer kleiner.“
Aussage: Nur ein geringer Teil des Anstiegs geht auf die Öffnungen selbst zurück, die Gastronomie ist sicher.
Einschätzung: „Wenn sich alle an die Vorgaben halten, ist die Gastronomie relativ sicher und sicherer als private Treffen“, so Hutter. – „Wie sicher die Gastronomie tatsächlich ist, lässt sich nicht abschließend beurteilen, auch hier fehlt an Daten“, meint Gartlehner. „Was wir von Vorarlberg lernen ist, dass die Fallzahlen sich in kürzester Zeit vervierfachen können. Und dass vor Öffnungen die Inzidenz sehr niedrig sein sollte, wie dies in Vorarlberg der Fall war. Liegt sie deutlich höher, können Öffnungen aber auch schief gehen.“
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