Neurologe Stingl: Die Liste der Long-Covid-Symptome ist lang

Der Mediziner ist einer der wenigen, die sich in Österreich mit Long-Covid befasst. Dabei gibt es Tausende Betroffene.

Geimpft, genesen oder gestorben – lautet ein geflügelter Satz. Doch es gibt ein viertes G, sagt Neurologe Michael Stingl: Grauslich chronisch krank sind all jene, die nach einer Coronainfektion an Long-Covid leiden.

Es ist eine „stille Pandemie“, die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, weil die Betroffenen in der Statistik als „genesen“ geführt werden.

Die Liste der möglichen Long-Covid-Symptome ist lang – rund 200 wurden dokumentiert. „Doch alle leiden letztendlich unter einer körperlichen und kognitiven Erschöpfung. Ganz banale Dinge wie Stiegen steigen, spazieren gehen, ein Buch lesen oder am Computer arbeiten funktionieren nicht. Nach einer Anstrengung kann es immer zu einer Verschlechterung des Zustandes kommen“, erklärt Stingl.

Man fühlt sich krank

Diese Symptome seien oft verbunden mit einem Krankheitsgefühl – massive Kreislauf- und Verdauungsprobleme kommen dazu. Typisch ist hier das POTS-Syndrom: Beim Wechsel in die aufrechte Körperlage leiden Betroffene an einem erhöhten Puls – Benommenheit und Schwindel sind die Folge, die Leistungsfähigkeit ist deutlich beeinträchtigt.

Das wahre Ausmaß werde wohl erst in ein paar Jahren deutlich, glaubt Stingl: „Viele schaffen ihren Job derzeit nur, weil sie im Homeoffice sind und zwischendurch kleine Pausen einlegen können. Ihre ganze Energie geht für die Arbeit drauf.“ Auf Dauer kein wünschenswerter Zustand.

Wenig Therapien

Therapien gibt es leider kaum: „Derzeit ist das sogenannte Pacing das Mittel der Wahl: Die Patienten passen ihre Aktivitäten an Leistungsgrenzen an. Überschreiten sie diese Grenzen ständig, weil sie z. B. Geld verdienen müssen, kann der Erschöpfungszustand chronisch werden.“ Das sei der Unterschied zu anderen Rehabilitaionsmaßnahmen, etwa nach Unfällen, wo man Schritt für Schritt die Menschen dazu animiert, über ihre Grenzen zu gehen.

Auch wenn Ärzte noch nicht so ganz wissen, wie sie mit Long-Covid-Patienten umgehen sollen, ist Michael Stingl optimistisch, „dass in den nächsten Jahren eine Therapie gefunden wird“. Der erste Schritt dahin sei, die Prozesse zu definieren, die hinter Long Covid stecken. „In dem Moment, wo das gelingt, wird es natürlich Medikamente geben. Der Druck ist einfach zu groß – hier wird sicher viel Geld und Energie in die Forschung fließen.“ Schließlich sei es auch ein volkswirtschaftliches Problem, wenn so viele Menschen in den besten Jahren nicht mehr arbeitsfähig sind.

Junge Frauen
Von der chronischen Müdigkeit sind  v. a. Jugendliche um  die  15 Jahre betroffen oder Menschen zwischen 30 und 35 – Frauen öfter als Männer

10Prozent der Covid-Infizierten

sind vier bis zwölf Wochen nach der Infektion nicht so richtig fit, so eine Schätzung. Davon dürften  rund  40 Prozent nicht oder nur  teilweise  arbeitsfähig sein. Bei manchen dauert der Zustand Monate oder Jahre an.

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