Von Pfeifen und Rauschen über Hämmern, Zischen, Summen bis hin zu Klingeln, Klopfen oder Knarren: Ein Tinnitus kann diverse Ohrgeräusche verursachen – für Betroffene ist er stets quälend.
Rund eine Million Österreicherinnen und Österreicher leiden unter Tinnitus. Bei akuten Ohrgeräuschen können Medikamente oder Entspannungsverfahren helfen. Wird der Tinnitus chronisch, ist eine Heilung meist nicht mehr möglich. Dann geht es nicht mehr darum, die Geräusche zum Verschwinden zu bringen. Betroffene sollen vielmehr lernen, sie weniger zu beachten – und schließlich zu überhören.
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Dabei kommen etwa sogenannte Rauscher, auch Tinnitus-Noiser genannt, zum Einsatz. Sie werden wie Hörgeräte getragen, erzeugen als Gegenton zum Tinnitus ein leises Rauschen und dirigieren die Wahrnehmung des Hirns so um, dass der Tinnitus in den Hintergrund tritt.
Forschung geht weiter
Bei der Weiterentwicklung dieser Geräte verfolgen Forschende der University of Michigan einen innovativen Ansatz: Man setzt auf eine bi-sensorische Stimulation, sprich eine Kombination von Tönen und schwachen elektrischen Impulsen.
Um das Wirkpotenzial zu erforschen, rekrutierte man in Summe 99 Personen mit somatischem Tinnitus. Dabei handelt es sich um eine Form des Tinnitus, bei der Bewegungen wie das Zusammenpressen des Kiefers oder Druck auf die Stirn zu einer spürbaren Veränderung der Tonhöhe oder Lautstärke der wahrgenommenen Geräusche führen. Knapp 70 Prozent der Betroffenen leiden an der somatischen Form.
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Eine Gruppe von Probandinnen und Probanden behandelte man rein akustisch. Eine zweite erhielt über Elektroden, die auf der Haut entweder über dem Schläfenbein oder den obersten Halswirbeln platziert wurden, Mini-Stromstöße.In den ersten sechs Wochen wurden die Probandinnen und Probanden angewiesen, ihre Geräte täglich 30 Minuten lang zu tragen. In den darauffolgenden sechs Wochen legten sie eine Pause ein, gefolgt von weiteren sechs Behandlungswochen. Und zwar dieses Mal mit genau jener Therapieform, die sie zu Studienbeginn nicht erhalten hatten. Danach folgte wieder eine sechswöchige Therapiepause.
Wirksame Impuls-Kombi
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfuhren nicht, welcher Gruppe sie zugeteilt wurden – und konnten dies während der Therapiesitzungen auch nicht erahnen. Sie füllten aber wöchentlich Fragebögen zu ihrem Befinden aus. Auch die Lautstärke des Tinnitus wurde gemessen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachblatt JAMA Network Open veröffentlicht.
Wer bi-sensorisch therapiert worden war, berichtete über eine verbesserte Lebensqualität und eine geringere Beeinträchtigung durch den Tinnitus. Die Tinnituslautstärke war messbar geringer. Bei der rein akustischen Stimulation entfalteten sich diese Wirkungen nicht.
Als "durchaus interessant" beurteilt Peter Kiss, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde von der Medizinischen Universität Graz, die Ergebnisse. "Bei der Tinnitus-Behandlung haben wir nach wie vor kein gezielt wirksames Medikament zur Verfügung. Es existiert aber eine ganze Reihe alternativer Therapieoptionen, die Linderung verschaffen können. Wenn die Palette an verfügbaren Therapien nun noch breiter wird, können bestimmt etliche Patientinnen und Patienten profitieren." Ziel der Tinnitus-Therapie sei, die Lebensqualität Betroffener zu verbessern. "Und das scheint mit der neuen Methode gelungen zu sein", betont Kiss.
Nun gelte es abzuwarten, ob sich "diese ersten vielversprechenden Erkenntnisse in Folgestudien bestätigen". Unabhängig davon sei es unterm Strich positiv, "dass die Tinnitus-Forschung nicht stillsteht".
Zweifelhafte Ansätze
Johannes Schobel, HNO-Facharzt und Leiter des Tinnituszentrums in St. Pölten, sieht die Studie unterdessen eher skeptisch. Zum einen sei die Behandlungszeit von einer halben Stunde "zu gering, um das Gehirn, in dem jeder chronische Tinnitus abgespeichert ist, zum Umlernen zu bewegen". Zum anderen sei die Aussage der Forschenden, dass die Probandinnen und Probanden nicht wussten, ob sie mit Stromstößen behandelt wurden oder nicht, "zumindest zweifelhaft".
Denn: "Wenn die Impulse so minimal waren, dass sie nicht spürbar waren, stellt sich die Frage, wie sie eine Wirkung entfalten konnten." Immer wieder würden Hersteller mit vermeintlich innovativen Gerätschaften zur Tinnitus-Therapie auf den Markt drängen. "Zu ihrer Wirksamkeit gibt es meist keine soliden wissenschaftlichen Belege", kritisiert Schobel.
Die Studie hat – das gibt das Team um Studienautorin und Audiologin Susan Shore selbst zu – Schwachstellen: So sei es etwa denkbar, dass die hoffnungsfrohe Erwartungshaltung der Probandinnen und Probanden die Effekte verzerrt habe. Dennoch gebe die Studie "Millionen von Tinnitus-Betroffenen Hoffnung", ist Shore überzeugt.
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