Neue Omikron-Untervarianten: Was uns im Herbst erwartet
In New York steigen derzeit die Covid-19-Fälle wieder deutlich an: In den USA baut sich derzeit die BA.2-Welle erst auf. Doch laut einem Bericht der Gesundheitsbehörde sind es zwei neue Versionen von BA.2 - konkret BA.2.12 und BA.2.12.1 - die für 80 bis 90 Prozent aller Infektionen verantwortlich sein sollen. Diese beiden Subvarianten sollen um rund 25 Prozent infektiöser sein als die ursprüngliche BA.2-Subvariante. In Italien soll eine neue BA.2-Linie (BA.2.3) für 20 Prozent aller neuen Infektionen die Ursache sein. Und in Südafrika und einigen anderen Ländern wurden einige hundert Infektionen mit den neuen Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5 nachgewiesen. Doch was bedeuten diese neuen Untervarianten? Was weiß man über sie? Der Molekularbiologe und Immunologe Andreas Bergthaler, Professor für Molekulare Immunologie an der MedUni Wien und Leiter des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie, ordnet die bisherigen Erkenntnisse über die neuen Subvarianten ein.
KURIER: WHO-Notfalldirektor Mike Ryan hat angesichts des Auftretens neuer Untervarianten von Omikron gemeint, "wir können es uns nicht leisten, das Virus aus den Augen zu verlieren". War das zu erwarten, dass jetzt laufend neue Omikron-Subvarianten auftreten?
Andreas Bergthaler: Wir sind in einer Phase, und das ist nicht völlig überraschend, in der sich Omikron weiter verästelt in unterschiedliche Subvarianten, die zum Teil neue Mutationen ansammeln, zum Teil aber auch sogenannte Rekombinanten sind, also Mischungen etwa von BA.1 und BA.2. Aber all diese Subvarianten werden nach wie vor zur Omikron-Variante gezählt. Noch unübersichtlicher wird es dadurch, dass die Benennung solcher Subvarianten nicht überall gleich gehandhabt wird und in vielen Ländern die genetische Analyse - die Sequenzierung - von Virusproben zurückgefahren wird.
Was ist bisher bekannt über die Eigenschaften dieser neuen Subvarianten?
Die einzige, was man derzeit sagen kann ist: Es gibt einige epidemiologische Anhaltspunkte, dass die beiden in New York aufgetretenen BA.2-Subvarianten und auch die sogenannte rekombinante XE-Variante – eine genetische Mischung von BA.1 und BA.2 – möglicherweise gegenüber dem ursprünglichen BA.2 einen zehn- bis zwanzigprozentigen Wachstumsvorteil haben, also um diesen Prozentsatz sich schneller in der Bevölkerung verbreiten können. Ob das an speziellen Eigenschaften dieser Subvarianten liegt, dass sie z. B. leichter Zellen infizieren können, oder einem bestehenden Immunschutz besser ausweichen können, lässt sich derzeit noch nicht sagen.
Für gesicherte Auskünfte ist es hier noch zu früh. Anhaltspunkte für einen schwereren Krankheitsverlauf bei Ungeimpften und nicht Genesenen gibt es keine. Und ebenso gibt es keine Hinweise darauf, dass eine dieser Subvarianten eine Immunität durch Impfung oder Genesung so stark umgehen kann, dass hier der bisherige hohe Schutz vor schweren Krankheitsverläufen vermindert wäre.
WHO-Experten haben kürzlich betont, dass es von vielen dieser neuen Subvarianten erst wenige Fälle gibt.
Genau. Das macht es auch so schwierig, die Datenlage ist relativ mager und dementsprechend sind etwa Angaben über höhere Infektiosität nicht notwendigerweise in Stein gemeißelt.
Zum Beispiel bei BA.4. Da hat man die ersten Sequenzen in Südafrika gefunden, aber insgesamt sind es noch sehr wenige. In Wien konnten Anfang April drei Fälle nachgewiesen werden. Ähnlich ist es bei BA.5: Auch hier stammen die ersten Nachweise aus Südafrika, in Österreich wurde zumindest ein Fall Ende März nachgewiesen. Ob diese Subvariante zukünftig eine große Relevanz erhält, wage ich zu bezweifeln und ist zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar.
Von der Subvariante BA.2.3 gibt es in den weltweiten Datenbanken zwar schon mehr als 40.000 Nachweise, aber trotzdem ist das global gesehen nicht viel und entspricht nur zirka einem Prozent der sequenzierten, genetisch komplett entschlüsselten Proben. In Österreich finden wir diese Subvariante BA.2.3 bei rund vier Prozent aller sequenzierten Proben.
Wir haben übrigens mit unserem Team am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der MedUni Wien und der AGES auch eine rekombinante Misch-Variante beschrieben, die weltweit sonst noch nirgendwo in den Datenbanken aufscheint: Ein BA.2-Virus, das sein eigenes Spike-Protein (Oberflächenprotein, mit dem das Virus an menschliche Zellen andockt, Anm.) mit dem eines BA.1.1-Virus getauscht hat. Bis jetzt haben wir zwei solcher Fälle detektiert.
Um einer solchen Subvariante eine Buchstabenkombination zuordnen zu können, braucht es eine gewisse Mindestanzahl an Fällen weltweit in den Datenbanken. Und auch hier gilt: Bis jetzt gibt es keine Hinweise darauf, dass diese Subvariante mit epidemiologischen oder klinischen Eigenschaftsänderungen ausgestattet wäre.
Ein endgültiges Urteil ist also noch nicht möglich, was all diese neuen Subvarianten betrifft?
Wenn bei den Subvarianten in New York derzeit von einem 20-prozentigen Wachstumsvorteil die Rede ist, so kann das kommende Woche schon wieder anders sein, weil die Datenbasis noch nicht so breit und stabil ist. Wir wissen schon von rekombinanten Subvarianten aus England, dass die Beurteilung ihrer Eigenschaften sehr stark davon abhängt, wie viele Fälle beurteilt wurden und wie gut die epidemiologische Überwachung über einen längeren Zeitraum ist.
Es gibt also Anhaltspunkte, dass die Subvarianten in New York und auch die XE-Variante eine erhöhte Wachstumsgeschwindigkeit aufweisen, aber das muss man sich in den kommenden Wochen genauer ansehen, auch, wie stark sie sich ausbreiten und ob sie in anderen Ländern Fuß fassen. Für ein endgültiges Urteil scheint es mir daher etwas verfrüht.
Bisher ist eigentlich von Variante zu Variante die Infektiosität gestiegen. Kann man davon ausgehen, dass das auch in Zukunft so sein wird?
Neue Subvarianten, die künftig in größerer Zahl für Neuinfektionen sorgen werden, da können wir davon ausgehen, dass diese infektiöser sein werden. Sonst würden sie es nicht schaffen sich durchzusetzen. Die Mechanismen dagegen, ob beispielsweise durch höhere Virustiter, einem geänderten Infektionsmuster im Atmungstrakt oder der Flucht vor der Immunantwort können unterschiedlich sein.
Aber ob immer infektiösere Varianten automatisch auch zu immer milderen Erkrankungen führen werden, das lässt sich nicht sagen?
Reden wir zunächst von Ungeimpften und nicht Genesenen, also Menschen, die noch gar keinen Kontakt mit dem Coronavirus bzw. Viruspartikeln hatten: Da kann eine neue Variante gegenüber einer vorhergehenden sich in die eine oder andere Richtung entwickeln, also zu milderen oder schwereren Verläufen führen. Da haben wir bei Omikron einfach Glück gehabt, dass es im Vergleich zu Delta mildere Verläufe auslöst.
Die Alpha-Variante hatte schwerere Verläufe ausgelöst als das ursprüngliche Wildvirus. Delta wiederum hat zu schwereren Verläufen als Alpha geführt. Erst Omikron ist eine Variante, die etwas mildere Erkrankungsverläufe verursacht, weil sich das Virus vor allem in den oberen Atemwegen vermehrt. Es gibt aber auch noch einen zweiten Faktor.
Welchen meinen Sie?
Jede Variante, die jetzt noch kommt, stößt auf eine Gesellschaft, die schon eine breite Immunität durch Impfungen und Infektionen. Deshalb sollten wir auch bei einem künftigen Virus, das noch infektiöser ist und in hohen Zahlen zirkuliert, hoffentlich weniger schwere Fälle sehen.
Und wann kann aus so einer neuen Subvariante möglicherweise eine neue "Variant of Concern", also ein besorgniserregende Variante werden, so wie Delta und Omikron?
Solche Variants of Concern sind nicht nur durch genetische Veränderungen definiert, auch nicht durch eine bestimmte Mindestzahl. Sie müssen auch neue Eigenschaften haben, eben zum Beispiel mehr schwere Erkrankungen auslösen. Für die neuen Subvarianten gilt das eben bisher nicht. Diese ganzen neue Bezeichnungen bedeuten nicht, dass man es hier mit Subvarianten zu tun hat, die besorgniserregender sind als frühere Subvarianten. Es sind einfach wissenschaftliche Klassifikationen vorerst.
Was erwarten Sie für den Herbst?
Wir können nicht mit Gewissheit wissen, wie es weitergehen wird und sollten daher auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet sein. Das Virus hat uns in den vergangenen zwei Jahren bereits mehrfach überrascht, und dementsprechend sollten wir davon ausgehen, dass das noch öfter passieren kann und wird. Ich wäre nicht überrascht, wenn im Herbst nicht Omikron auf uns wartet, auch nicht Delta, sondern eine andere Variante. Derzeit ist Delta jedenfalls fast zur Gänze verschwunden, wir sehen es bei den Sequenzierungen einzelner Virusproben gar nicht mehr, nur in unseren Abwasseranalysen ist es ab und zu noch zu finden.
Jedenfalls sind die bisherigen dominanten Varianten wie Alpha, Delta und Omikron nicht aus der vorhergehenden dominanten Variante entstanden. Das trifft auch auf den Omikron-Abkömmling BA.2 zu, der zu einer ähnlichen Zeit wie BA.1 weltweit begonnen hat zu zirkulieren, aber so große Unterschiede aufweist, dass manch internationale Kollegen eigentlich einen neuen griechischen Buchstaben vergeben wollten.
Das Gute aber ist, dass wir mit jeder Impfung und jeder Infektion die Grundimmunität Schicht für Schicht weiter aufbauen.
Wenn Sie sagen, dass nicht sicher ist, dass Omikron im Herbst dominierend ist: Dann könnte es auch sein, dass die an Omikron angepassten Impfstoffe keinen Vorteil bringen würden?
Das kann passieren. Denn es ist nicht automatisch gesagt, dass sich eine nächste Variante von Omikron weg auf dem gleichen Ast des Virus-Stammbaums in dieselbe Richtung weiterentwickelt. Nur in diesem Fall wäre ein an Omikron angepasster Impfstoff von Vorteil, weil die Unterschiede zu Omikron dann geringer wären als zum entwicklungsgeschichtlich weiter enfernten Wildtyp des Virus. Entwickelt sich eine künftige Variante in eine ganz andere Richtung als Omikron, könnten die derzeit vorhandenen Impfstoffe die bessere Wahl sein. Deshalb wäre es allgemein wichtig, dass die Entwicklung von "Pan-Corona-Impfstoffen", die einen Schutz vor möglichst vielen Varianten bieten, voranschreitet.
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