Mit 30 % Lungenvolumen auf den DC-Tower: Was der Körper leisten kann
Es ist für viele, die Eberhard Jordan, 60, seit langem kennen, eine unglaubliche Geschichte: Im Jahr 2000 wurde bei ihm die chronische Lungenkrankheit COPD diagnostiziert, 2014 war er auf dem Weg zur Pflegebedürftigkeit. Am Mittwoch lag sein hohes Ziel im Nebel versteckt: Durch ein Stiegenhaus des DC-Towers in Wien-Donaustadt ging er Schritt für Schritt 1.620 Stufen aufwärts bis in den 60. Stock. "Sein Beispiel zeigt, wie viel an Lebensqualität und Leistungsfähigkeit man durch adäquate medizinische Therapie, konsequentes Training und auch Selbstdisziplin gewinnen kann", sagt der Lungenfacharzt Arschang Valipour, Leiter der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie der Klinik Floridsdorf in Wien. Doch der Weg bis zu dieser außergewöhnlichen Leistung war langwierig.
Nach seiner Diagnose im Jahr 2000 - mit einer damals noch relativ guten Lungenfunkton - hatte Jordan "die ganz typische Reaktion, die so viele Menschen bei einer Diagnose haben: So lange wie möglich den Gedanken daran zu verdrängen. Ich wusste, ich sollte etwas tun dagegen, aber ich hatte mir eingeredet, keine Zeit dafür zu haben: Später werde ich etwas tun, aber nicht jetzt, das war meine Einstellung damals."
COPD-Patient Eberhard Jordan besteigt den DC Tower
Der Tiefpunkt kam dann im Jahr 2014: "Damals war ich so geschwächt, dass ich mich nur in Begleitung meiner Kinder oder von Freunden getraut habe, vom Haustor bis zur nächsten Straßenkreuzung zu gehen - weil ich Angst hatte, es allein nicht mehr zurück zu schaffen."
Damals hatten Ärzte seine drei Töchter bereits darauf vorbereitet, "dass ich ein Pflegefall werde. Aber das war etwas, was ich eigentlich nicht vorhatte." Diese Zukunftsperspektive war für ihn auch der Anstoß, mit dem Fitnesstraining zu beginnen. "Mein erstes Ziel war dann die nächste Haltestelle des Busses zum Fitnessstudio, dann war es die übernächste und irgendwann bin ich dann den gesamten Weg zum Studio zu Fuß gegangen."
Motiviert von den ersten Erfolgen, fuhr er zur Prater-Hauptallee, und begann dort zu gehen - "100 Meter, 200 Meter, 300 Meter - so habe ich angefangen", erinnert sich Jordan.
Neben dem Training und Medikamenten half dem Künstler, Buchautor und Blogger zum Thema COPD auch eine neue Therapieform, die Spezialist Valipour in Österreich eingeführt hat: Mit einem Bronchoskop, das über die Nase oder den Mund in die Lunge vorgeschoben wird, wurden ihm mehrere kleine Ventile in die Lunge implantiert. "Das Ziel ist, die Luftzufuhr in krankhafte, überblähte Lungenbereiche zu blockieren", erklärt Valipour.
In diesen Lungenbereichen ist der Sauerstoffaustausch reduziert, weil sich die Lungenbläschen durch Lufteinschlüsse aufblähen (Lungenemphysem). "Es kommt dank der Ventile dort keine Luft mehr hinein, die Luft kann aber heraus, wodurch sich der krankhafte Lungenteil entbläht, also kleiner wird. Die gesünderen Lungenabschnitte haben dadurch mehr Platz, mehr Sauerstoff gelangt in den gesunden Lungenteil, die Lungenfunktion verbessert sich."
Jordan trainierte Ausdauer auf dem Ergometer, die generelle Kraft mit Hanteln und das Zwerchfell mit einem speziellen Atemtraining. 2016 fand dann die erste "myCOPD-Challenge" statt: 343 Stufen bis zur Türmerstube des Stephansdoms. 2019 folgte der Donauturm (779 Stufen), 2021 der Millennium-Tower in Wien (843 Stufen) und jetzt eben der DC-Tower (1.620 Stufen).
Jordan bewältigte sie gemeinsam mit dem Lungenfacharzt Milos Petrovic und dem Physiotherapeuten Martin Gütlbauer, in konstantem Tempo und Atemrhythmus. "Man muss sich das als Gesunder so vorstelllen, wie man man die ganze Zeit durch einen Strohhalm ein- und ausatmet und dabei 60 Stockwerke hinaufsteigt. Der DC-Tower ist für COPD-Patienten wie der Ironman für Gesunde", sagt Valipour.
Seit Juni hatte sich Jordan intensiv auf die DC-Tower-Besteigung vorbereitet: Dreimal in der Woche rund zweieinhalb Stunden Ausdauer-, Kraft- und Atemtraining, zusätzlich am Sonntag noch zehn Kilometer Gehen in der Prater Hauptallee. "Den Atemrhythmus beim Stiegensteigen haben mein Physiotherapeut und ich im Hochaus beim Matzleinsdorfer Platz trainiert."
Jordan selbst betont, dass es eine Kombination aus ärztlicher Betreuung, richtigem Umgang mit den Medikamenten, Fitness und dem sozialen Umfeld ist, die eine solche Leistung möglich macht. "Wobei ich immer wieder betone: Niemand muss das machen, was ich da tue. Es reicht, wenn ein COPD-Patient sagt, ich würde es gerne schaffen, zu Fuß in den dritten Stock zu kommen - dann ist eben das das Ziel."
Der begleitende Lungenfacharzt Milos Petrovic sagt: "Wichtig ist das Signal, dass mit Motivation, richtiger Therapie und regelmäßigem Training eine deutliche Besserung der Beschwerdesymptomatik eines jeden Patienten erzielt werden kann."
Lungenfacharzt Valipour betont noch einen weiteren Aspekt, der oft vergessen werde: "Bei vielen chronischen Erkrankungen - im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems, des Stoffwechsels oder bei rheumatischen Krankheiten - spielen Entzündungsprozesse im Körper eine große Rolle. Eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining stärkt nicht nur die Muskelkraft, sondern auch das gesamte Herz-Kreislauf-System und hat gleichzeitig auch eine antientzündliche Wirkung. Und das hilft, die jeweiligen Krankheiten zu kontrollieren und eventuell sogar zurückzudrängen."
Ebarhard Jordan ist es gelungen, durch seinen Lebensstil seine COPD seit Jahren stabil zu halten und eine weitere Verschlechterung hintanzuhalten. "Ich nenne mein heutiges Leben ein gutes Leben. Manche Sachen gehen nicht mehr, etwa tanzen oder dem Bus nachlaufen. Damit finde ich mich ab. Aber letztlich ist es so, dass ich mein Leben gestalte, und nicht die Krankheit mich gestaltet."
Eberhard Jordan war am Mittwoch aber nicht der einzige hoch aktive COPD-Patient: In Innsbruck stiegen acht Patientinnen und Patienten der Reha Innsbruck auf die Bergisel-Schanze.
Nähere Informationen über Eberhard Jordan, seine bisherigen Aktionen, seine Motivation und auch über die Erkrankung COPD gibt es auf der Homepage https://www.mycopd-challenge.com/
Menschen mit der Diagnose COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung) leiden an einer langwierigen Lungenerkrankung, die langsam fortschreitet. Die Erkrankung entwickelt sich langsam mit typischen Symptomen: Husten, vermehrt Schleim in den Bronchien und Atemnot. Aus anfänglich „harmlosen“ Symptomen können schwerwiegende Beschwerden entstehen, heißt es auf dem öffentlichen Gesundheitsportal gesundheit.gv.at
Bei COPD kommt es zu einer chronischen – also dauerhaften – Verengung und Entzündung der Bronchien. Dadurch ist der Atemfluss limitiert und es gelangt weniger Sauerstoff von der Lunge ins Blut und damit in den Körper. Die Betroffenen bekommen schlechter Luft und werden zunehmend weniger belastbar.
Lungenfunktion und Leistungsfähigkeit sind zunehmend eingeschränkt. In sehr schweren Fällen können Betroffene selbst bei alltäglichen Tätigkeiten auf die Hilfe anderer angewiesen sein.
Laut Lungenfacharzt Arschang Valipour sind in westeuropäischen Ländern 85 bis 90 Prozent der COPD-Fälle durch das Rauchen verursacht. "Bei den restlichen zehn Prozent hat einen großen Teil Passivrauchen als Ursache, hinzu kommen berufsbedingte Schadstoffe, Feinstaub, Lacke, Chemikalien oder auch Schadstoffe aus dem Straßenverkehr."
Rund 400.000 Menschen in Österreich haben eine diagnostizierte COPD: "Aber vermutlich sind rund 800.000 Menschen in Österreich von COPD betroffen, die Dunkelziffer ist vermutlich sehr hoch."
COPD sei eine Volkskrankheit wie Diabetes oder Bluthochdruck. Trotzdem können laut einer Umfrage sechs von zehn Österreichern nichts mit dem Begriff COPD anfangen.
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