Mediziner Gartlehner sieht Impfung für Kinder derzeit kritisch

Mediziner Gartlehner sieht Impfung für Kinder derzeit kritisch
In Deutschland wird die Corona-Impfung nur für Kinder mit Vorerkrankungen empfohlen. Gerald Gartlehner hielte das auch in Österreich für den besseren Weg.

"Die Dringlichkeit, auch 12- bis 15-Jährige jetzt schon zu impfen, sehe ich im Moment nicht", sagte Gerald Gartlehner am Freitag bei einer Pressekonferenz des deutschen Science Media Center. Er leitet die Abteilung "Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie" an der Donau Universität Krems. Stichwort Evidenz - genau darum ging es bei der Pressekonferenz. Denn die in Deutschland zuständige Ständige Impfkommission schätzt den Nutzen der Impfung aufgrund der derzeitigen Datenlage noch nicht klar größer ein als die möglichen Risiken einer Impfung für gesunde Kinder. 

Empfohlen wird daher in Deutschland momentan nur die Impfung von Kindern und Jugendlichen mit bestimmten Vorerkrankungen, durch die auch ihr Risiko für einen schweren Verlauf erhöht wird, oder mit engem Kontakt zu Risikopersonen. Bei den Vorerkrankungen werden etwa eine schwere Herzinsuffizienz (Herzschwäche), chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion oder Diabetes mellitus genannt. 

In Österreich hingegen gibt es eine allgemeine Empfehlung zur Impfung 12- bis 15-Jähriger mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer. 

Das Corona-Risiko bei Kindern

Kinder erkranken seltener schwer an Corona als Erwachsene. Jedoch zeigte sich bei schweren Krankheitsfällen ein spezielles Syndrom, das sogenannte Multisystem-Inflammationssyndrom (Hyperinflammationssyndrom) - kurz PIMS genannt. Dabei kommt es zu einer überschießenden Immunreaktion des Körpers, Symptome sind unter anderem hohes Fieber, Bauchschmerzen oder Durchfall. In jedem Fall sei eine solche Reaktion mit einem Krankenhausaufenthalt verbunden, schreibt das in Österreich zuständige Nationale Impfgremium (NIG) in seinen Anwendungsempfehlungen. 

Unterschiedliche Risikobewertung

Auch in Deutschland hat man dieses Syndrom beobachtet, schätzt das Corona-Risiko für Kinder und Jugendliche dabei aber geringer ein. Während man in Deutschland von einer Häufigkeit von 1:5.000 bis zu 1:10.000 ausgeht, spricht man in Österreich von einer größeren Häufigkeit von 1:500 bis zu 1:1.000. "Woher dieser Unterschied in den Zahlen kommt, kann ich nicht ganz nachvollziehen", sagt Gartlehner als Außenstehender. "Ich halte aber den deutschen Weg für den rationaleren. Diese eingeschränkte Empfehlung ist ja auch nicht in Stein gemeißelt. Sobald mehr und klarere Daten da sind, kann man anpassen. Aber abzuwarten halte ich auch angesichts der momentan niedrigen Inzidenzen für vernünftig."

Im österreichischen Expertengremium wiederum kann man die deutschen Daten nicht beurteilen: "Wir haben unsere eigenen Daten, haben diese analysiert und dabei gesehen, dass die Krankheitslast beträchtlich hoch ist. Und wir wollen Kinder nicht schlechter versorgen als Erwachsene. Damit ist die Entscheidung sehr klar und eindeutig gewesen", sagt Karl Zwiauer auf KURIER-Nachfrage deutlich. Er ist Kinderarzt und Mitglied im Österreichischen Impfgremium. 

"Das Risiko für PIMS ist gering. Die Prognose ist gut. In diesem Zusammenhang glauben wir auch, dass PIMS jetzt nicht die klare Indikation für die Impfung aller gesunden Kinder darstellt", sagte hingegen Thomas Mertens, Chef der deutschen Stiko. Bei der Pressekonferenz räumte er aber auch ein: "Es ist tatsächlich so, dass sich die Voraussetzungen nicht in allen Ländern ganz gleichen. Ich denke schon, dass die Frage der Krankheitslast eine Rolle spielt, und die kann eben unterschiedlich sein."

Drosten würde aus Elternperspektive impfen

Trotz der eingeschränkten Empfehlung gibt es aber in Deutschland auch für Kinder und Jugendliche, die nicht zur Risikogruppe gehören, die Möglichkeit sich impfen zu lassen. Voraussetzung dafür sind der individuelle Wunsch zur Impfung, eine ärztliche Aufklärung und die Risikoakzeptanz. "Wenn jemand sich für eine Impfung entscheidet, denke ich nicht, dass diese einzelne Person damit ein riesengroßes Risiko eingeht. Aber das ist etwas anderes als wenn die Stiko eine generelle Empfehlung für die ganze Population dieser Altersgruppe ausspricht", sagte Reinhard Berner, Klinikleiter Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden. In der Sache der Covid-Kinderimpfung ist er auch externer Sachverständiger der Stiko. 

Der bekannte Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sagte kürzlich in einem Interview mit dem Schweizer Magazin Republik: "Aus Elternperspektive wäre mein Kind geimpft. Klarer Fall. Dieses Risiko möchte ich nicht."

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