Probleme durch Arzneimittel: Was eine genaue Analyse verbessern kann
Wofür nehme ich meine unterschiedlichen Medikamente eigentlich? Wann sollte ich sie nehmen? Und könnte es Wechselwirkungen geben? "Nur 50 Prozent aller Patientinnen und Patienten in Österreich nehmen ihre Medikamente richtig ein. Das ist ein eher erschütternder Wert", sagte am Mittwoch Raimund Podroschko, erster Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer.
Besonders betroffen von möglichen Wechsel- und Nebenwirkungen sind Personen, die täglich fünf oder mehr Medikamente einnehmen müssen – meist wird ab dieser Grenze von Polypharmazie gesprochen. In Österreich sind davon rund 500.000 Menschen betroffen.
Gespräch über Medikamente kann Einnahmeprobleme aufdecken
Eine Studie der MedUni Wien zeigt jetzt aber: Findet in der Apotheke eine Analyse aller eingenommenen Medikamente (Medikationsanalyse) und zumindest ein strukturiertes Patientengespräch darüber statt, können gesundheitliche Probleme durch die Arzneimitteleinnahme um durchschnittlich 70 Prozent gesenkt werden.
"Bis zu 20 Prozent aller Krankenhausaufnahmen bei Menschen über 60 Jahren sind das Resultat von unerwünschten Arzneimittelwirkungen", sagte Podroschko. Und 50 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben eine mangelnde Gesundheitskompetenz: "Das äußert sich nicht zuletzt darin, dass Österreich bei der Anzahl der Arztbesuche im absoluten Spitzenfeld liegt."
In die Studie unter der Leitung des Klinischen Pharmakologen Christian Schörgenhofer, Leiter der Arzneiambulanz an der MedUni Wien, wurden in 14 Wiener Apotheken 200 Personen (Durchschnittsalter 70 Jahre) einbezogen, die täglich acht oder mehr Medikamente einnehmen: Im Schnitt waren es 13 Medikamente pro Person.
Zu Beginn gab es durchschnittlich 16 arzneimittelbezogene Probleme pro Teilnehmerin bzw. Teilnehmer. Am häufigsten waren Wechselwirkungen, dass etwa bestimmte Medikamentenkombinationen die Neigung zu Blutungen erhöhen oder den Blutdruck zu stark absenken können, erklärte Schörgenhofer. Auch Anwendungsfehler (etwa bei der Dosierung oder dem Einnahmezeitpunkt) wurden festgestellt.
Regelmäßigere Medikamenteneinnahme
Nach der Erhebung des Ist-Zustandes gab es mit den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern zumindest ein ausführliches Analysegespräch von 30 bis 45 Minuten. Im Anschluss daran kam es nicht nur zu einer "hochsignifikanten Reduktion" der berichteten und erhobenen Probleme um die erwähnten 70 Prozent. Deutlich (um 60 Prozent) stiegen auch die Therapietreue (die regelmäßige Einnahme) sowie die Gesundheitskompetenz (um 65 Prozent) an: Die Personen wussten viel besser, warum sie die einzelnen Präparate einnehmen und wie sie wirken.
Und: Die Zahl der notwendigen Medikamente bzw. Wirkstoffe konnte nach der Analyse um zirka zehn Prozent reduziert werden.
Schörgenhofer verwies auf eine Studie aus Australien, bei der eine solche Medikationsanalyse unmittelbar nach Krankenhausentlassungen durchgeführt wurde. "Im Spital wird oft sehr viel umgestellt bei den verordneten Medikamenten." Danach kennen sich die Leute schlecht aus, es kommt zu vielen Einnahmefehlern. "Durch eine Medikationsanalyse konnten die Wiederaufnahmen ins Spital stark gesenkt werden."
Podroschko betonte, dass es nicht um eine Kontrolle der Ärztinnen und Ärzte gehe, sondern um "die bestmögliche Unterstützung" der Therapie: "Ich gehe dabei Medikament für Medikament durch – auch jene rezeptfreien, die für Nebenwirkungen relevant sein können. Die Hälfte bis zu zwei Drittel des Gesprächs bestehen darin, dass ich den Patienten näherbringe, was ihnen der Arzt verordnet hat. Und ganz am Schluss schaue ich mir Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und Doppelmedikationen an. Gerade ältere Menschen sind durch die Fülle an Arzneimitteln, die oft gleich, dann aber auch wieder anders aussehen, überfordert und verlieren den Überblick."
Das Ergebnis der Analyse werde schließlich in einem allgemeinverständlichen Patientenbrief zusammengefasst. Auch die behandelnden Ärzte könnten so einen besseren Überblick über die Gesamtmedikation erhalten.
Apotheker drängen auf Kassenfinanzierung
Podroschko betont, dass eine solche Medikationsanalyse keine Privatleistung sein dürfe. "Schließlich profitiert die ganze Bevölkerung dadurch. Ich hoffe daher, dass die Medikationsanalyse in Österreich möglichst bald, ebenso wie in Deutschland, als kassenfinanzierte Leistung der Apothekerschaft zumindest allen 500.0000 Polypharmazie-Patientinnen und -Patienten zugutekommen kann." Gerade für ältere Personen, die oft viele Medikamente einnehmen, aber wenig Einkommen haben, müsste diese Leistung entweder ganz ohne Selbstbehalt oder mit einem niedrigen Selbstbehalt, vergleichbar mit der Rezeptgebühr, verfügbar sein.
Schörgenhofer sagte auch, dass nicht die Polypharmazie an sich – also die Verabreichung von mehreren Medikamenten – bedenklich sei: "Es gibt Menschen, die nehmen deutlich mehr als zehn Medikamente ein, weil sie die einfach brauchen. Hier kann man oft nichts reduzieren. Schwierig kann es werden, wenn Menschen zu sehr vielen Ärztinnen und Ärzten gehen - je mehr Ärztinnen und Ärzte involviert sind, desto mehr problematische Polypharmazie gibt es."
Unterstützung kommt von Patientenanwälten und Pensionistenverbänden
In einer Presseunterlage der Österreichischen Apothekerkammer sprechen sich auch die österreichischen Patientenanwälte und -anwältinnen sowohl die beiden großen Pensionstenverbände für eine Medikationsanalyse auf Kassenkosten aus.. "Wir wissen, dass gerade Menschen, die mehrere Medikamente einnehmen müssen, oft von Neben- und / oder Wechselwirkungen berichten und die Therapietreue damit nicht immer gegeben ist", wird Michaela Wlattnig, Sprecherin der Patientenanwälte und -anwältinnen Österreichs, zitiert. Es sei unbedingt zu fordern, dass die Medikationsanalyse als Kassenleistung etabliert werde, denn gerade bei der älteren und pflegebedürftigen Bevölkerung würde dies einen erheblichen gesundheitlichen Mehrwert bedeuten.
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