Künstliche Befruchtung nimmt zu: Jedes 20. Baby aus Kinderwunschklinik
Jedes vierte Paar, das versucht, ein Kind zu bekommen, braucht dabei Unterstützung. Die Zahl der Versuche von sogenannten In-vitro-Fertilisationen (IVF) stieg im Vorjahr auf 12.392 bei 7.608 Paaren. Das sind um acht Prozent mehr als im Vorjahr. 4.132 Babys wurden vergangenes Jahr nach künstlicher Befruchtung geboren – das sind fünf Prozent aller Geburten im Jahr 2022.
Die meisten Frauen, die 2022 eine Kinderwunschbehandlung unter Inanspruchnahme des IVF-Fonds durchgeführt haben – der Fonds übernimmt unter bestimmten Bedingungen einen Großteil der Kosten für IVF-Versuche – waren zwischen 31 und 35 Jahre alt (38,6%), gefolgt von der nahezu gleich großen Gruppe der 36- bis 40-jährigen. Das Alter der Paare steigt seit Jahren, meint Andreas Obruca, Präsident der Österreichischen IVF-Gesellschaft und Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien.
Warum die Ursache eines unerfüllten Kinderwunsches häufig bei Männern liegt und was er von "Selbstbefruchtungs-Sets" aus dem Internet hält, erklärt Obruca im Interview mit dem KURIER.
KURIER: 2022 wurden um acht Prozent mehr Babys mittels künstlicher Befruchtung geboren als im Jahr zuvor. Warum nehmen Kinderwunschbehandlungen zu?
Andreas Obruca: Zum einen nehmen die Indikationen zu, insbesondere bei Männern. Bei zwei Drittel der Paare liegt die Ursache, warum es zur Kinderwunschbehandlung kommt, beim Mann. Wir sehen eine Abnahme der Samenqualität wahrscheinlich aufgrund unterschiedlicher Faktoren, etwa Umwelt- und Lebensstilfaktoren. Bei Frauen sind vor allem Hormonstörungen und Endometriose eine häufige Ursache. Zudem wollen immer mehr Frauen spät ihren Kinderwunsch verwirklichen. Das Durchschnittsalter der Kinderwunschpaare ist kontinuierlich gestiegen – im Mittel liegt es bei uns jetzt bei 35 bis 37 Jahren. In diesem Alter nimmt die natürliche Fertilität ab und damit steigt bei Paaren mit Kinderwunsch der Unterstützungsbedarf. Man sieht auch einen Zusammenhang mit Bildung: Je höher die Bildung, umso später wird der Kinderwunsch verwirklicht.
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Lange Zeit wurde bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch die Ursache bei der Frau gefunden. Hat sich das tatsächlich verschoben oder wird heute bei den Männern genauer hingeschaut?
Das stimmt, früher war, wenn es nicht geklappt hat, die Frau schuld. Die Männer wollten sich das nicht eingestehen, aber es war auch die Diagnostik schwerer, vor allem bis man einen Mann motivieren konnte, zum Spermiogramm zu gehen. Das hat sich glücklicherweise sehr gewandelt. Mittlerweile ist es ganz üblich, dass Männer die Samenqualität untersuchen lassen. Erster Ansprechpartner bei unerfülltem Kinderwunsch ist dennoch immer der Frauenarzt, zu dem Frauen ja regelmäßig gehen. Aber, wenn sie dann bei uns sind, ist es wirklich selten, dass Männer noch kein Spermiogramm haben. Dazu kommt, dass sich die Therapien geändert haben. Die Möglichkeit, eingeschränkte Samen zu behandeln, gibt es leider nach wie vor nicht, aber wir können mittels der ICSI-Methode eine Samenzelle unter Mikroskop in die Eizelle injizieren. Das ist mittlerweile ein Hauptteil der Behandlungen.
Seit dem Jahr 2000 werden über den IVF-Fonds unter bestimmten Bedingungen 70 Prozent der Kosten der In-vitro-Fertilisation gedeckt. Die restlichen 30 Prozent der Kosten sind von den Paaren selbst zu tragen.
Bei mehr als der Hälfte aller IVF-Versuche liegt die laut Fonds definierte Indikation ausschließlich beim Mann (57 Prozent). Nur 14,2 Prozent der Versuche müssen ausschließlich wegen der Frau durchgeführt werden. Bei den restlichen Paare (28,8 Prozent) liegt die Indikation bei beiden Geschlechtern.
Bei 54,5 Prozent der Frauen wurde im Jahr 2022 ein und bei 31,8 Prozent wurden zwei Versuche dokumentiert. Ein geringer Prozentsatz verteilt sich auf drei, vier und mehr durchgeführte Versuche je Paar. Im Vorjahr wurden in den insgesamt 32 IVF-Fonds-Zentren pro Patientin durchschnittlich 9,7 Eizellen gewonnen und 1,1 Embryonen transferiert. Die Schwangerschaftsrate pro Follikelpunktion lag österreichweit bei 22,2 Prozent.
Weniger Mehrlingsschwangerschaften
Die aus medizinischer Sicht stets mit erhöhtem Risiko für Mutter und Kind verbundenen Mehrlingsschwangerschaften werden immer weniger. Viel mehr würden "Single-Embryo-Transfers" angestrebt, also Behandlungen, in denen nur eine Eizelle in die Gebärmutter der Frau eingesetzt wird. Während es im Jahr 2012 noch 14,8 Prozent Zwillingsgeburten nach einer IVF-Behandlung gab, lag der Anteil im Vorjahr nur mehr bei 5,3 Prozent.
Auch die Kosten pro Versuch haben in den vergangenen Jahren immer weiter abgenommen. Kostete ein Versuch dem IVF-Fonds im Jahr 2017 noch 1.682 Euro, so belief sich dieser Betrag im Jahr 2022 auf 1.548 Euro.
Die meisten Behandlungen finden österreichweit in Wien statt.
Sie haben ein relativ hohes Durchschnittsalter der Patientinnen angesprochen. Beginnen Paare sich dann erst mit dem Kinderwunsch zu beschäftigen oder probieren sie es zuerst jahrelang und kommen dann zu Ihnen?
Dazu habe ich keine evidenzbasierten Zahlen, aber gefühlsmäßig hat es sich geändert. Früher gab es mehr Paare, die sehr lange probiert haben und dann nach längerer Zeit endlich soweit waren, dass sie in ein Kinderwunschzentrum gekommen sind. Das gibt es auch noch, ist aber eher die Ausnahme. Mittlerweile kommen die Paare, weil der Kinderwunsch erst im späteren Alter aufgetreten ist. Wenn sie 38, 39 Jahre alt sind, lassen sich die Paare keine drei, vier Jahre mehr Zeit, sondern kommen nach einem halben Jahr, wenn es nicht klappt. Künstliche Befruchtung ist auch kein Tabu mehr, man erzählt es durchaus der Freundin und es ist kein Geheimnis im Bekanntenkreis. Früher war das etwas ganz Intimes, das keiner wissen durfte. Da hat sich schon etwas verändert.
Jedes zweite Baby, das mittels künstlicher Befruchtung gezeugt wurde, kommt mit einem Kaiserschnitt zur Welt. Insgesamt ist es jedes dritte Baby. Warum ist die Rate nach Kinderwunschbehandlung höher?
Ein Grund dafür ist das höhere Alter, mit dem auch die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen und damit für einen Kaiserschnitt steigt. Zum anderen ist da auch der Hintergedanke der Sicherheit. Sowohl die Geburtshelfer als auch die Paare wollen nach einem schwierigen Weg zum Kind bei der Geburt kein Risiko mehr eingehen. Da ist man eher bereit, aus Vorsorge einen Kaiserschnitt zu planen.
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Wann ist der Punkt erreicht, wo Sie Paaren sagen, es macht keinen Sinn, weitere Versuche in der Kinderwunschbehandlung zu machen?
Das hängt von vielen Faktoren ab, einerseits von den Befunden, wenn zum Beispiel die Eizellreserve massiv eingeschränkt ist und auch nach der hormonellen Stimulation keine Eizellen heranreifen, dann muss man mit dem Paar sprechen und sagen, dass weitere Versuche nichts bringen werden. Oder auch Paare, die mit 45 oder älter zu uns kommen, wo auch mithilfe der IVF die Schwangerschaftsrate sehr niedrig ist. Ich denke schon, dass es absolut legitim ist, dass diese Paare auch einen Versuch machen – da geht es im Nachhinein auch oft darum, dass man - auch wenn es nicht klappt - sagen kann, wir haben es versucht. Das muss man im Einzelfall entscheiden. Wir haben auch den umgekehrten Fall, dass wir jüngere Paare manchmal aufklären müssen, dass weitere Versuche, erfolgreich sein können, nachdem es beim ersten Mal nicht geklappt hat. Viele kommen mit einer Erwartungshaltung, dass es gleich klappt – das ist oft nicht so.
Gibt es nach oben hin ein Alterslimit für künstliche Befruchtung?
Sobald eine Frau 50 geworden ist, würden wir sie in Österreich nicht mehr behandeln. Das ist ein willkürlich gewähltes, ethisches Limit, da wir auch eine Verantwortung gegenüber dem Kind haben. Natürliche Schwangerschaften sind vereinzelt auch bei 50-Jährigen möglich und hier ist auch die Wahrscheinlichkeit sehr gut, dass die Mutter die Volljährigkeit des Kindes erlebt. Das ist die Überlegung dahinter – es ist keine medizinische, sondern eine demografische Entscheidung.
Hätte das in Österreich verbotene Social Freezing, das heißt das Einfrieren von Eizellen in jungen Jahren, Vorteile für Frauen, die erst später Kinder bekommen möchten?
Ja, absolut. Ich glaube, es sollte jeder Frau freistehen, über ihre Fertilität selbst zu entscheiden und nicht vom Gesetz bevormundet zu werden. Derzeit werden Eizellen nur bei medizinischen Gründen aufbewahrt, etwa bei Hormonerkrankungen, bei vorzeitigem Wechsel oder bei Krebserkrankungen. Für mich gibt es keinen medizinischen oder ethischen Grund, warum das nicht auch bei gesunden Frauen möglich sein sollte. Die Kinderwunschbehandlung würde ja trotzdem mit 50 Jahren limitiert bleiben.
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Was halten Sie von “Selbstbefruchtungs-Sets” aus dem Internet, mit denen Frauen sich Samen selbst einführen können?
Diese Bechermethode ist derzeit in Österreich für alleinstehende Frauen leider die einzige Möglichkeit, eine Schwangerschaft künstlich zu erzielen. Wir arbeiten massiv daran, dass es hier zu einer Gesetzesnovelle kommt. Auch lesbische Paare nutzen die Methode manchmal, seit 2015 können sie aber auch in Kinderwunschzentren behandelt werden. Großer Nachteil dieser Kits aus dem Internet ist, dass der Spendersamen, den sich die Frauen organisieren müssen, nicht gesundheitlich abgeklärt ist, ob etwa Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis vorliegen oder genetische Erkrankungen. Das ist bei einer Samenbank gewährleistet. Ein zweiter Aspekt ist die Rechtssicherheit. Wenn in Österreich ein Paar auf einen Samenspender zurückgreift über eine Kinderwunschklinik, dann muss ein Notariatsakt angelegt werden, indem eindeutig die Rechte und Pflichten des Paares und des Spenders geklärt sind. Da geht es auch um das Recht des Kindes, die Identität des Spenders ab dem 14. Lebensjahr zu erfahren. Und es wird auch sichergestellt, dass ein Spender nicht öfter als für drei Paare herangezogen wird, um Verwandtschaftsverhältnisse zu vermeiden. Diese Absicherung ist vielen Paaren wichtig, sodass ich nicht glaube, dass diese Methode sehr gefragt ist.
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