Erfolge der Forschung: Krebs wird immer öfter zur chronischen Krankheit

Forschung in einem Labor an der MedUni Wien: Eine gut dotierte Grundlagenforschung ist die Voraussetzung für die Entwicklung neuer Therapien gegen Krebs und andere Krankheiten.
Die vergangenen 20 Jahre brachten gewaltige Fortschritte. Der Prozentsatz der Menschen, die fünf Jahre nach der Diagnose leben, steigt kontinuierlich.

Nur 50 Jahre wurde der US-Filmstar Steve McQueen alt. Er starb 1980 an Rippenfellkrebs – „damals gab es keine wirksame Therapie dagegen“, sagt Christoph Zielinski. Der Onkologe und ärztliche Direktor der Wiener Privatklinik erwähnt in seinem mit Herbert Lackner verfassten Buch „Dem Krebs auf der Spur“ (Ueberreuter) die Erkrankung von Steve McQueen deshalb, „weil man an ihr zeigen kann, wie viel sich seither geändert hat“.

Mit gezielter Strahlentherapie hätte man heute den Tumor verkleinern und dann mit einer schonenden Operationsmethode mit nur kleinen Schnitten entfernen können. „Mit einer Immuntherapie wiederum könnte man die körpereigene Abwehr aktivieren. Heute hätte Steve McQueen deutlich länger leben und vielleicht sogar geheilt werden können.“

Erfolge der Forschung: Krebs wird immer öfter zur chronischen Krankheit

Bessere Vorsorge und Früherkennung, präzisere Strahlentherapie und OP-Methoden, neue Medikamente: All das hat es möglich gemacht, dass 63 Prozent der Menschen, die zwischen 2015 und 2019 eine Krebsdiagnose erhalten hatten, fünf Jahre danach noch am Leben waren.

Krebserkrankungen: Spektakuläre Therapie-Erfolge

Nierenkrebs im Spätstadium etwa habe noch vor wenigen Jahren „in relativ kurzer Zeit zum Tod geführt. Heute haben wir Patienten, bei denen dank Immun- und zielgerichteten Therapien (siehe li.) der Krebs zur chronischen Krankheit wird, mit der sie viele Jahre leben“, sagt Zielinski zum KURIER.

Erfolge der Forschung: Krebs wird immer öfter zur chronischen Krankheit

Der Onkologe Christoph Zielinski ist ärztlicher Direktor der Wiener Privatklinik.

Noch vor gut zehn Jahren blieben Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs häufig nur wenige Monate, erinnert sich der Lungenkrebsspezialist Maximilian Hochmair, Leiter der Pneumo-Onkologischen Ambulanz der Klinik Floridsdorf in Wien.

Immuntherapien
Tumorzellen nutzen vielfältige Mechanismen, um dem Angriff des Immunsystems zu entkommen. So können sie sich tarnen und die Körperabwehr ausschalten. Spezielle Antikörper können diese Bremsen lösen, die die Abwehrzellen blockieren.

Zielgerichtete Therapien
Diese richten sich gezielt gegen Angriffspunkte (Proteine) auf den Tumorzellen. Mit einer molekularen Untersuchung von Krebsgewebe wird festgestellt, welche  Angriffsziele vorhanden sind.  Gibt es Wirkstoffe, die  daran andocken können, kann das Wachstum  des Tumors gestoppt werden.

CAR-T-Zelltherapie 
Dabei werden aus dem Blut körpereigene Abwehrzellen (T-Zellen) gewonnen und  gentechnisch so verändert, dass sie nach einer Infusion Krebszellen gezielt erkennen und zerstören können. Patienten mit aggressiven Lymphomen können damit zum Teil geheilt werden.

Intelligente Kombinationen
Etwa die Verbindung eines Antikörpers mit einer Chemotherapie. Der Antikörper erkennt Merkmale der  Krebszellen und wird von diesen aufgenommen. In den Zellen wird dann die „eingeschmuggelte“ Chemotherapie freigesetzt und wirkt ganz präzise.

„2015 habe ich erstmals einen Patienten mit einer Immuntherapie behandelt – er hatte Metastasen im ganzen Körper, und auch eine große Hüftmetastase, sodass er nicht mehr gehen konnte. Ich erinnere mich noch, wie ich ihm die erste Infusion mit einer durchsichtigen Flüssigkeit angehängt habe“, erzählte Hochmair kürzlich bei einer Pressekonferenz der Pharmafirma MSD.

Erfolge der Forschung: Krebs wird immer öfter zur chronischen Krankheit

„Die Krankenschwester hat gesagt, ,Max, was tust du denn da, lass doch diesen armen Patienten in Frieden‘. Drei Monate später kam er gehend in die Ambulanz. Und heute schickt er mir Bilder von Wanderungen im Salzkammergut. So etwas war vor 2015 undenkbar.“

Neue Krebstherapien: Noch profitieren nicht alle

Doch so eindrucksvoll die Erfolge auch sind – noch profitieren nicht alle Patienten davon. „Dank moderner Kombinationstherapien leben heute mehr als 50 Prozent der Patienten mit einem metastasierten Melanom (schwarzer Hautkrebs) fünf Jahre nach der Diagnose“, sagt Christoph Höller, Leiter des Hauttumorzentrums der MedUni Wien. „Angesichts eines Ausgangsniveaus vor 20 Jahren im niedrigen einstelligen Prozentbereich ist das eine Revolution – aber es ist kein Polster, auf dem man sich ausruhen kann.“

Krebszellen: Weitere Angriffsziele gesucht

Insgesamt helfen die Immuntherapien einem guten Drittel der Patienten, erläutert Zielinski. „Je besser wir die Biologie eines Tumors – seine genetischen Merkmale – verstehen, umso besser können wir die Krankheit behandeln.“ Wenn also Angriffspunkte vorhanden sind, von denen man weiß, dass dann bestimmte Medikamente ansprechen. Deshalb geben genetische Untersuchungen immer öfter vor, wer welche Therapie erhält. „Das ist das Problem beim Bauchspeicheldrüsenkrebs, aber auch bei vielen Formen von Eierstockkrebs, dass wir da die Biologie noch zu wenig verstehen und uns effektive Angriffspunkte weitgehend fehlen.“

Bei den Überlebensraten mit Krebs liegt Österreich nach wie vor im europäischen Spitzenfeld, betont Zielinski. Sorge bereitet ihm eine Zunahme von jüngeren Patienten, etwa 40-Jährige mit Dickdarmkrebs: „Hier spielen sicherlich Lebensstilfaktoren – etwa starkes Übergewicht, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum – eine Rolle.“

Immer wieder kommt die Frage, ob neue, teure Therapien auf Dauer finanzierbar sind. „Aber die Frage, was uns ein Patient kostet, die greift zu kurz“, betont der Onkologe. „Die Frage muss doch lauten: Was bringt der Gesellschaft ein Patient, der trotz seiner Erkrankung berufstätig bleiben kann? Der weiterhin die Enkelkinder vom Kindergarten oder der Schule abholen kann? Der gar nicht oder erst viel später im Leben pflegebedürftig wird?“

Erfolge der Forschung: Krebs wird immer öfter zur chronischen Krankheit

Interessantes zum Thema Krebs

Krebs ist eine Erkrankung, die durch ungebremste Zellvermehrung, bösartige Gewebsneubildung und Ausbreitung im Organismus gekennzeichnet ist. Die Entstehung von Krebs ist ein komplexer Prozess, dem vielfältige ("multifaktorielle") Ursachen zugrunde liegen.

Vorsorge: Kennen Sie Ihr Risiko, an Krebs zu erkranken? Drastischer Anstieg: Warum trifft Krebs immer häufiger Jüngere? Die vollständige Krebs-Liste: 116 Risikofaktoren Psychoonkologie: Der Krebs trifft den ganzen Menschen Ich weiß, wie es ist, Brustkrebs zu haben

All diese Fortschritte wären nicht ohne Grundlagenforschung möglich: „Wir in der Klinik stehen auf den Schultern der genialen Forscher in den Laboren.“ Besonders diese Basisforschung, die neues Wissen generiert, gehöre stärker gefördert. Doch das Vertrauen in Wissenschaft ist in Österreich eher gering – im Vergleich von Umfragen in 68 Ländern rangiert Österreich nur auf Platz 53.

„Wobei ich diesbezüglich ja in einer anderen Welt lebe“, erklärt Zielinski: „Wer zu mir kommt, der will nur die modernsten Therapien haben – ganz egal, welche Technologie dahinter steht.“ Natürlich gebe es einige, „die zu Schwurblern abdriften, aber meist wird bei einer Krebsdiagnose jegliche Wissenschaftsskepsis sofort abgelegt“.

Kommentare