Neue Impfung gegen Krebs: Zulassung in wenigen Jahren realistisch
Von einer „David-gegen-Goliath-Geschichte“ schreibt die Schweizer Tageszeitung Blick. Die kleine Schweizer Pharmafirma Vaccentis in Zürich mit nur zehn Mitarbeitenden und starken Verbindungen nach Österreich entwickelt einen Impfstoff gegen Krebs – im ersten Schritt gegen Nierenzellkrebs. Und steht damit in Konkurrenz zu den Pharmariesen Moderna und Biontech und ihrer mRNA-Technologie. Die Forschungschefin, die Immunologin Ingrid Rauter, und der Geschäftsführer Martin Munte sind Österreicher.
KURIER: Impfstoffe gegen Krebs gelten als vielversprechender Ansatz für neue Therapien. Wieso gerade jetzt?
Rauter: Zum einen hat die Immuntherapie – die auf eine Aktivierung des körpereigenen Immunsystems setzt – in den vergangenen Jahren durch bahnbrechende Entwicklungen wie neue Medikamente und Zelltherapien eine Renaissance erlebt. Davor galt sie lange als zu schwach und zu wenig aggressiv. Aber so wurde die Bahn dafür frei, auch Krebsimpfstoffe wieder anzudenken. Die Firmen Moderna und Biontech entwickelten die mRNA-Technologie ja ursprünglich für diese Anwendung und nützten dieses Wissen dann für die mRNA-Impfstoffe gegen Covid. Jetzt sind sie wieder auf ihr ursprüngliches Forschungsgebiet zurückgeschwenkt. Aber auch andere Technologien für Impfstoffe gegen Krebs, wie die von uns verwendete, haben sich weiterentwickelt und verbessert.
Es geht um Impfstoffe für bereits erkrankte Menschen?
Munte: Ja, wir sprechen von therapeutischen Impfstoffen. Es ist bereits ein Tumor oder eine Metastase aufgetreten, die chirurgisch entfernt wurden und auch mit Chemo- oder Strahlentherapie behandelt werden. Die Krebsimpfung soll das Risiko des neuerlichen Auftretens eines Tumors bzw. von Metastasen stark reduzieren. Die Niere bietet sich für einen Krebsimpfstoff deshalb an, weil es für die Behandlung nach der Entfernung des Tumors bzw. der gesamten Niere derzeit nur ein zugelassenes Medikament gibt. Aber natürlich wollen wir nach und nach auch Impfstoffe gegen andere Tumore entwickeln, etwa Blasen- oder Darmkrebs.
mRNA-Technologie
Der erste therapeutische Krebs-Impfstoff könnte 2025 zugelassen werden. Gute Chancen dafür hat ein mRNA-Impfstoff gegen schwarzen Hautkrebs der US-Firma Moderna. Er enthält die Bauanleitung (mRNA) von bis zu 34 Oberflächenmerkmalen des individuellen Tumors. Kombiniert mit einem Antikörper senkt er das Risiko des Wiederauftretens der Erkrankung bzw. von Todesfällen innerhalb von drei Jahren um 49 Prozent.
„Totimpfstoff“
Bei Vaccentis enthält der Impfstoff einen speziell aufbereiteten Extrakt aller Oberflächenmerkmale des individuellen Tumors – das wäre mit der Technologie von Totimpfstoffen bei Infektionskrankheiten vergleichbar.
Wie wirkt der Impfstoff?
Rauter: Wir bekommen Gewebeproben des individuellen Tumors eines Patienten. Jeder Tumor hat auf der Oberfläche seiner Krebszellen Proteine, Antigene, die charakteristisch für diesen Krebs sind und die Angriffsziele für das Immunsystem sind. Unser Impfstoff „VCC-001“ enthält einen speziell aufbereiteten Extrakt aller Oberflächenproteine des Tumors. Bei anderen Technologien wird oft nur ein Teil dieser Strukturen ausgewählt. In unserem Herstellungsverfahren werden die Proteine zusätzlich auch stimuliert, dadurch ist ihre Fähigkeit, eine Immunantwort auszulösen, erhöht.
Und wie reagiert der Körper?
Rauter: Es werden Abwehrzellen, T-Zellen, aktiviert und Antikörper, Abwehrstoffe, gegen diese Merkmale der Tumorzellen gebildet. Dass diese Strategie grundsätzlich funktioniert, konnte in drei Studien an insgesamt bereits 1.500 Patientinnen und Patienten gezeigt werden. Die Wirksamkeit war vergleichbar mit der etablierten Therapie – das Voranschreiten der Erkrankung konnte im Schnitt für drei Jahre verhindert werden. Die Nebenwirkungen waren aber viel geringer und beschränkten sich auf Fieber für ein, zwei Tage und Rötungen an der Einstichstelle. Notwendig sind sechs Impfungen im Abstand von je vier Wochen, danach ist die Therapie beendet.
Wann rechnen Sie mit einer Zulassung?
Munte: Wir planen kommendes Jahr eine zusätzliche Phase 2b Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit und anschließend die Zulassungsstudie – gemeinsam mit einem Partner aus der Pharma-Industrie. Sollte alles nach Plan verlaufen, ist eine Zulassung 2027 /2028 realistisch. Unser Hauptsitz bleibt Zürich, aber wir wollen in Ostösterreich einen Standort für Forschung und Entwicklung aufbauen. Bereits jetzt produzieren wir die für die Studien notwendigen Impfstoffdosen in Wels und lassen Tumorproben an der FH Krems analysieren.
Die Schweizer Tageszeitung Blick schrieb von Kosten von 150.000 bis 180.000 US-Dollar pro Therapiezyklus – circa 138.000 bis 165.000 Euro. Wie ist so ein hoher Preis zu rechtfertigen?
Munte: Das ist natürlich sehr viel Geld, aber wir sehen ja in unseren bisherigen Daten, dass sich die Überlebenszeit ab der Diagnose durch die Impfung um mehrere Jahre verlängert – und das ist in Geld nicht aufzuwiegen. Gleichzeitig hilft das aber auch dem Gesundheitssystem, Therapiekosten zu sparen. Die Kosten der derzeitigen Standardtherapie mit einem Antikörper liegen auch in etwa in diesem Bereich – wobei unser Impfstoff-Kandidat den Mehrwert hat, dass es deutlich weniger Nebenwirkungen gibt.
Rauter: Die Impfung vereinfacht die Therapie auch: Für die gegenwärtige Antikörper-Therapie müssen die Patienten ein Jahr lang im Abstand von jeweils drei Wochen für eine mehrstündige Infusion in eine onkologische Tagesklinik fahren – insgesamt 17 Mal. Bei unserem Impfstoff sind es hingegen nur sechs Klinikbesuche, die Verabreichung dauert insgesamt auch nur eine halbe Stunde jeweils. Generell geht die Zukunft von Krebstherapien in die Richtung, dass neue Medikamente mit ähnlicher Wirkung wie bisherige Präparate, aber mit deutlich weniger Nebenwirkungen entwickelt werden. Dadurch ist es der Patientin oder dem Patienten auch eher möglich, ihre bzw. seine bisherige Berufstätigkeit und insgesamt die bisherige Lebensweise aufrecht zu erhalten.
Moderne Immuntherapien, die die Blockade des Immunsystems durch die Krebszellen lösen, sind sehr erfolgreich – etwa beim Schwarzen Hautkrebs. Aber sie helfen nicht allen Patienten und wirken auch nicht bei allen Krebsarten. Wie wird das bei den Impfungen sein?
Rauter: Es wird nie eine Lösung für alle Patienten geben. Das gilt auch für die therapeutischen Krebsimpfungen. Aber sie werden die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten erweitern, so wie das bei der Immuntherapie insgesamt der Fall ist. Wir sehen aus unseren bisherigen Studiendaten eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit als Einzeltherapie. Aber natürlich werden wir auch Kombinationen mit anderen Immuntherapien untersuchen. Bei Patienten mit Metastasen müssen neue Therapien mit bestehenden kombiniert werden.
Die Forschung an Ihrem Impfstoff-Kandidaten begann bereits in den 1990er-Jahren, er war auch schon einmal zur Zulassung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde eingereicht, die Einreichung wurde aber zurückgezogen. Was macht sie zuversichtlich, dass die langjährige Entwicklung tatsächlich mit einer Zulassung abgeschlossen werden kann?
Munte: Wir sind deshalb sehr zuversichtlich, weil wir auf einen großen Pool an klinischen Daten zurückblicken können, die alle sehr positiv waren. Wir müssen aber mit weiteren Studien noch Datenlücken in unserem Entwicklungsprogramm schließen. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass das Risiko, noch zu scheitern, sehr gering ist.
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