Überraschender Übeltäter: Dieses Organ ist für viele Schmerzen verantwortlich

Eine kranke Frau liegt im Bett und greift sich an die Stirn.
Kopf-, Nacken- oder Rückenschmerzen haben häufig eine Ursache, an die viele nicht denken. Was dahinter steckt.

Zähne und Kiefer sind unerlässlich zur Nahrungsaufnahme – aber sonst? Sie haben mehr Einfluss auf den Körper, als bekannt, betont die Hamburger Zahnärztin Hamide Farshi.

„Wenn die Ursache für Rückenschmerzen zum Beispiel eine Fehlstellung des Kiefers ist, kann man den Rücken so oft und so gut behandeln wie man möchte, die Schmerzen werden immer wieder auftreten, weil die Ursache des Schmerzes nicht behoben wurde.“ Das Fachgebiet nennt sich „Cranio-Mandibuläre Dysfunktion“ (CMD). 

Die noch junge Disziplin wird auch in Österreich von Zahnärzten mit spezieller Zusatzausbildung angewandt.

KURIER: Warum ist der Kiefer für Sie ein eigens Organ?
Hamide Farshi: Damit ist vor allem gemeint, dass auch die Zähne bzw. das Kiefer, genauso wie Herz, Lunge, etc. ein integraler Bestandteil des „System Mensch“ sind. Insbesondere sehr gesundheitsbewusste Menschen legen heute immer mehr Wert auf eine ganzheitliche Medizin, was sich allerdings nur in den seltensten Fällen auch auf die Zahnmedizin bezieht. Ich sehe das anders! Auch die Zahnmedizin sollte ein ganzheitliches Verständnis haben und nicht losgelöst vom Rest des Körpers agieren. Gerade mein Fachgebiet zeigt, Veränderungen die im Mund stattfinden, zum Beispiel durch eine kieferorthopädische Behandlung oder neuen Zahnersatz, können sich auch auf den Rest des Körpers auswirken. Deshalb nenne ich das Kiefer auch gern „Lenker des Körpers“.

Sind die Zähne oder das Kiefer komplexer?


Die Zähne sind in das Kiefer eingelagert und bilden insofern eine Einheit. Die Behandlung eines kariösen Zahnes mit einem Inlay oder einer Krone ist deutlich unkomplizierter als von Kiefergelenksproblemen.

Muss eine CMD lebenslang therapiert werden oder verschwindet sie auch wieder?

Das kommt darauf an! Grundsätzlich gilt: Je frühzeitiger die Ursache eines Problems behandelt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit dass man das Problem auch ein für alle Mal lösen kann. Das gilt sowohl für Karies, als auch für eine Kiefergelenkserkrankung. Allerdings kommt es erheblich darauf an, was im Anschluss an die eigentliche Behandlung einer Craniomandibulären Dysfunktion folgt. Setzt man zum Beispiel eine neue Krone falsch ein, kann die Statik erneut durcheinandergebracht werden und die CMD taucht erneut auf. Im Rahmen meiner Behandlungen lege ich deshalb sehr viel Wert darauf, was nach einer erfolgreichen CMD-Behandlung kommt. Ich persönlich favorisiere einen minimalinvasiven Ansatz und nehme meistens eine Korrektur der Zahnstellung mit unsichtbaren Alignern vor. Die Versorgung von gesunder Zahnsubstanz mit künstlichem Zahnersatz ist dadurch überflüssig – die Behandlung ist angenehmer und spart in vielen Fällen sogar Geld.

Wenn mit einer Knirscher-Presser-Schiene etwaige Beschwerden (Kopfschmerzen) wegfallen und man sich besser fühlt, braucht man dann überhaupt eine CMD-Behandlung?
Nein. Bei der Behandlung einer CMD geht es ja in erster Linie um das Ausschalten von unangenehmen Schmerzsymptomen. Gelingt dies bereits mit einer „normalen“ Knirscher-Schiene, ist es meines Erachtens nicht erforderlich, noch weitere Maßnahmen zu ergreifen. CMD ist sehr komplex. Sofern sie tatsächlich vorliegt, folgt die Behandlung mit Hilfe einer individuell angefertigten Schiene, die die Patienten im Durchschnitt sechs Monate lang tragen. Sind die Symptome danach verschwunden, folgt die langfristige Stabilisierung des Behandlungserfolges, häufig mit Hilfe von unsichtbaren Alignern zur Bisskorrektur.

Welche Symptome sollte man bei diffusen Schmerzen berücksichtigen?
Die Symptome, die eine CMD verursachen können, sind wirklich sehr vielfältig. Angefangen von der Kieferregion über den Kopf, die Nacken- und Schulterregion bis hin zu Schmerzen an den Knien. Sehr häufig sind aber Ohrgeräusche, Kieferknacken, Kopfschmerzen und Migräne, aber auch Tinnitus und starke Verspannungen im Nacken.

Einige Übungen in Ihrem Buch sind gut bekannt, etwa Kopfbeugung und das Kinn nach links und rechts zu drehen. Es gibt auch spezielle Kiefer-Übungen, etwa den Unterkiefer nach links und rechts zu schieben, oder die kreisende Massage des Kiefergelenks zur Entspannung.
Die Übungen sollen vor allem die Folgen der CMD – also die Symptome – mildern. Dies erfolgt zum Einen durch die Übungen an sich, zum Anderen auch durch den „meditativen“ Faktor bei deren Durchführung. Sich für sich Zeit zu nehmen, bei sich zu sein und seine Konzentration während oder nach einem stressigen Tag für kurze Zeit auf sich selbst zu lenken, wirkt entspannend und hat insofern auch einen positiven Effekt bei durch CMD ausgelösten Symptomen.

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