"Der Krieg hat sich geändert" - so titelte die New York Times vergangenen Freitag: Noch am selben Tag, als ein geheimes Dokument der US-Seuchenschutzbehörde CDC veröffentlicht wurde (der KURIER berichtete), gab es einen Aufschrei unter den weltbekanntesten Virologen und Medizinern.
Was war passiert? Die Behörde hatte in einem Punkt von vielen die Vermutung geäußert, dass Geimpfte das Virus genauso weitergeben können wie Ungeimpfte. Bereits hier kann man leicht entgegen halten: Wenn dem so wäre, würden wir keine Wirksamkeitsrate von beispielsweise 88 Prozent des mRNA-Impfstoffes von Biontech/Pfizer sehen. Bei dieser Effektivität handelt es sich um sogenannte Real-World-Daten aus Großbritannien.
Dass die mRNA-Impfstoffe also auch vor Übertragung schützen, ist bekannt. Wie gut sie gegen die hochansteckende Delta-Variante schützen, ist noch nicht vollständig geklärt und variiert je nach nationaler Studie stark.
Hier erinnern renommierte Experten wie der US-Arzt Eric Topol an einen mathematischen Effekt: Je mehr Menschen geimpft sind, desto häufiger kommt es zu Impfdurchbrüchen – also Personen, die trotz vollständiger Corona-Impfung erkranken.
Warum zeigten sich also die US-Wissenschafterinnen und Wissenschafter über die rasche Verbreitung der Delta-Variante in ihrem Papier derart beunruhigt? Die Behörde erwähnte in einem Punkt, dass die Viruslast von geimpften Infizierten genauso hoch sei wie bei ungeimpften Infizierten.
Superspreader in geschlossenen Räumen ohne Masken
Hintergrund des Dokuments war eine Großveranstaltung im US-Bundesstaat Massachusetts, bei der sich Anfang Juli binnen zwei Wochen 469 Menschen mit dem Coronavirus angesteckt hatten. 74 Prozent, also drei Viertel, von den Infizierten waren vollständig geimpft. Die Viruslast bei den Geimpften war ähnlich hoch wie bei den Ungeimpften.
Zu den zahlreichen Veranstaltungen in Massachusetts reisten auch viele Touristen an: Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Sommerfesten und öffentlichen Versammlungen in Barnstable County. Die Events hatten teilweise in kleinen Innenräumen stattgefunden: Die späteren Patienten standen dicht gedrängt und trugen keine Masken.
Von den 346 Geimpften, die sich angesteckt hatten, zeigten 274 Symptome. Fünf von ihnen kamen mit Covid-19 ins Krankenhaus, vier von ihnen vollständig geimpft. Alle bis auf einen litten unter Vorerkrankungen.
Es handelt sich also um ein sehr kleines, lokales Superspreader-Event (hier zum Nachlesen). Und auch wieder zum Nachrechnen: Wenn zehn Prozent der vollständig Geimpften an einer Infektion erkranken und 1,2 Prozent ins Krankenhaus eingeliefert werden (Daten von jenem Superspreader-Event in den USA), wären 99,88 Prozent der Geimpften vor Krankenhausaufenthalten geschützt.
Die Seuchenschutzbehörde plant dennoch aufgrund dieses Vorfalls die Maskenpflicht auch für Geimpfte in den USA wieder einzuführen. Anders die Situation in Österreich, wo die Maskenpflicht - mit Ausnahme des Handels - nur dort abgeschafft wurde, wo die 3-G-Regel angewendet wird. In der Bundeshauptstadt gelten zudem schärfere Bestimmungen für Innenräume.
Was wissen wir über Virus-Übertragungen durch Geimpfte?
Zeitgleich mit der Debatte rund um die Warnung der CDC veröffentlichten Wissenschafter eine Vorstudie zur Viruslast von Geimpften, die seit dem Wochenende im Netz vielfach unter renommierten Expertinnen und Experten geteilt wird.
In Singapur werden alle Infizierte - unabhängig von der Schwere der Erkrankung - in einem Krankenhaus behandelt: Die Forscherinnen und Forscher verglichen von 218 Delta-Infizierten, die im Krankenhaus behandelt wurden, die Viruslast. 84 waren mit einem mRNA-Impfstoff geimpft, davon 71 vollständig. 130 waren nicht geimpft. Vier waren geimpft, allerdings nicht mit einem mRNA-Impfstoff.
Das Ergebnis: In den ersten sechs Tagen der Erkrankung war die Viruslast tatsächlich gleich hoch. Allerdings verringerte sich diese bei den Impfdurchbrüchen deutlich schneller als bei ungeimpften Patientinnen und Patienten.
Zudem minimierte sich das Risiko Sauerstoff zu benötigen bei den geimpften Patientinnen und Patienten um 93 Prozent. Geimpfte Durchbrüche hatten viel mildere und häufiger asymptomatische Erkrankungen.
Die Verringerung des Übertragungspotenzials einer geimpften Person, die sich infiziert, ist nur ein Faktor. Es geht auch um die Verringerung der Wahrscheinlichkeit, sich überhaupt zu infizieren. Da die Daten zeigen, dass unter den Impfdurchbrüchen aus Singapur auch viele Asymptomatische waren, geben diese das Virus auch weniger stark weiter, so Infektiologe Aaron Richterman.
Zudem zeigte die Studie, dass die Geimpften eine starke Antikörper-Antwort hatten: Auch das dürfte auf eine reduzierte Übertragung durch Geimpfte hindeuten, wenn die Neutralisierung in den oberen Atemwegen stattfindet. Was zahlreiche Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit ihrer Kritik an der CDC sagen wollen? Ein einzelnes Superspreader-Event ohne Hygienemaßnahmen und die Viruslast alleine sagen noch nichts über die Übertragungsrate durch Geimpfte aus.
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