Impfverweigerer: "Nein-Sagen als letzte Bastion der Entscheidungsfreiheit"
In New York ist es schon Realität: Wer dort ein Restaurant oder das Fitnessstudio besuchen möchte (und über zwölf Jahre alt ist), muss nachweisen, dass er zumindest einen Impf-Stich erhalten hat. Auch in Österreich werden Corona-Einschränkungen für Ungeimpfte diskutiert.
Der Schweizer Sozial- und Persönlichkeitspsychologe Florian Kaiser lehrt an der deutschen Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Im Interview erklärt er, warum Geimpftsein verstärkt als Privileg gehandelt werden sollte.
KURIER: Was löst es in impfkritischen Menschen aus, wenn ihr Leben wegen ihrer Impfentscheidung eingeschränkt werden würde?
Florian Kaiser: Das Naheliegendste dürfte sein, dass sie sich gegängelt fühlen. Wer sich bis jetzt an der Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, festgehalten hat, wird den Eindruck haben, dass er oder sie gegen den eigenen Willen in eine bestimmte Richtung gedrängt wird. Und wenn der Druck zu massiv wird, fühlt man sich wie mit dem Rücken zur Wand.
Kann man alle Impfverweigerer in einen Topf werfen?
Es gibt die einen, die das Impfen aus Überzeugung nicht wollen und entschlossen sind, sich nicht immunisieren zu lassen. Dann gibt es die anderen, bei denen das Impfen bisher nicht stattgefunden hat, weil sie keine Lust hatten oder keinen Termin gefunden haben. Die erste Gruppe würde sich durch Impfmaßnahmen bedrängt fühlen, ihre tief sitzende Einstellung aber nicht ändern und wohl Widerstand leisten, bei der zweiten würden Impfmaßnahme dazu führen, dass sie sich impfen lassen.
Wie ist eine Jetzt-erst-recht-nicht-Position zu erklären?
Das ist das klassische psychologische Phänomen der Reaktanz. Wenn man das Gefühl hat, keine Entscheidungsfreiheit mehr zu besitzen, hat man wenigstens noch die Option, grundsätzlich Nein zu sagen. Ein Beispiel: Wenn es nur Erdbeereis oder kein Eis gibt, verzichten viele lieber ganz aufs Eis – das Nein-Sagen als letzte Bastion der Entscheidungsfreiheit, die man sich erhalten kann.
Muss man sich damit abfinden, dass man manche nicht ins Boot holen wird?
Mit größer Wahrscheinlichkeit, ja. Ich könnte mir aber vorstellen, dass wir die 90 Prozent erreichen könnten, wenn wir Privilegien für Geimpfte hochfahren.
Nicht mehr Anreize für Ungeimpfte?
Natürlich wäre es für viele Nicht-Geimpfte angenehmer, wenn sie statt Druck eine Belohnung, etwa Geld, bekämen. Damit signalisiert man aber gleichzeitig den bereits Geimpften, dass sie besser noch zugewartet hätten. Ich plädiere dafür, dass man auf dem Geimpftsein als Privileg aufbaut. Man muss kein Geld in die Hand nehmen, das für andere Dinge verwendet werden kann.
Ich bin ein Befürworter von "negativen Verstärkern", das lässt sich wunderbar aufs Geimpftsein anwenden. Die Belohnung ist, dass man Menschen von Unangenehmem – dem Entzug der Freiheitsrechte – befreit. Das gewünschte Impf-Verhalten, wird mit dem Privileg wieder alles uneingeschränkt tun können, honoriert.
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