Hüfte, Knie: Wann ist der optimale Zeitpunkt für einen Gelenksersatz?
Es ist eine Frage, die sich viele ältere Menschen mit fortgeschrittener Arthrose und anhaltenden Schmerzen im Knie oder in der Hüfte stellen: Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen künstlichen Gelenksersatz, eine sogenannte Endoprothese? Wie lange kann man zuwarten? Welche Folgen hat es, wenn man zu lange wartet? Welche Komplikationen sind möglich und wie lange hält eine Prothese? Antworten gibt Reinhard Windhager. Er leitet die Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie von MedUni / AKH Wien und auch das in die Klinik integrierte Endoprothetikzentrum.
Wie häufig ist die Transplantation von Knie- und Hüftgelenken in Österreich?
Insgesamt finden in Österreich jährlich zirka 40.000 derartige Operationen statt, Hüftoperationen etwas mehr als Knieoperationen (zirka 60 versus 40 Prozent), der Anteil an Frauen ist mit rund 60 Prozent etwas höher als jener der Männer. "Da sind aber auch jene Patientinnen und Patienten inkludiert, die nach einem Schenkelhalsbruch einen künstlichen Gelenksersatz erhalten müssen", erläutert Windhager.
Während man bei Totalendoprothesen das Gelenk vollständig austauscht, werden bei Teilendoprothesen nur die abgenutzten Gelenkteile ersetzt. Frei gewählte (elektive) Eingriffe sind es 27.000. "Zum Vergleich: Vor 20 Jahren hatten wir insgesamt etwas über 20.000 Eingriffe, jetzt sind es 40.000. Das liegt an der steigenden Lebenserwartung. Und wir gehen von einem weiteren Anstieg aus."
In welchem Alter erfolgen die meisten Eingriffe?
Der Altersgipfel liegt zwischen 65 und 75 Jahren. "Selten sind Eingriffe vor dem 50. Lebensjahr, kommen aber durchaus auch vor. Ab 50 Jahren nimmt die Häufigkeit der Eingriffe dann kontinuierlich zu, nach dem 75. Lebensjahr geht sie zurück. Wobei wir auch über 80-Jährige und sogar über 90-Jährige mit Endoprothesen versorgen. Selbstverständlich nach einem Schenkelhalsbruch, aber wir führen auch bei ihnen elektive, also zeitlich geplante, Eingriffe durch. Diese sind auch bei sehr alten Menschen absolut sinnvoll", betont Windhager.
"Internationale Daten zeigen sehr eindrucksvoll, dass Patientinnen und Patienten, die älter als 80 Jahre sind, zwar ein leicht erhöhtes Risiko während und in den Tagen nach der Operation haben - im Vergleich zu jüngeren -, aber ihre Lebenserwartung ist nach dem Eingriff höher als die der Allgemeinbevölkerung." Die Patientinnen und Patienten seien nach dem Eingriff aktiver und leben gesünder. "Die Operationen haben also auch im sehr hohen Alter einen Nutzen für die Betroffenen und sind daher absolut gerechtfertigt."
Wie lange kann man Gelenksschmerzen mit konservativen Therapien in den Griff bekommen?
Wichtig ist zunächst, die Ursachen für Schmerzen im Leisten-, Hüft- und Kniebereich abzuklären. Viele Ursachen haben nichts mit den Gelenken zu tun: Etwa erbliche Vorbelastung, Bewegungsmangel, Überlastungen, Entzündungen und Verletzungen von Muskel- und Sehnenansätzen. Am häufigsten ist aber die Arthrose, ein Abbau von Knorpelsubstanz als Folge von jahrelange Abnutzung und Verschleiß. Wird eine Arthrose diagnostiziert, heißt das noch lange nicht, dass sofort ein Gelenksersatz notwendig ist. Eine Arthrose ist ein langsamer Prozess. Die erste Phase der Schmerzhaftigkeit lässt sich immer mit konservativen Therapien beherrschen, also etwa mit Physiotherapie, Massagen, Elektrotherapie sowie unterstützenden medikamentösen Behandlungen mit knorpelaufbauenden, schmerz- und entzündungshemmenden Medikamenten.
Auch ein Mehr an Bewegung ist ein wichtiger Faktor, um den Zeitpunkt für eine Operation hinauszuschieben. Denn dadurch werden die Muskeln gestärkt, die Blutzirkulation und Stoffwechselprozesse verbessern sich. Damit kann der Zustand lange stabil gehalten werden. "Und natürlich wirkt sich bei Menschen mit hohem Body-Mass-Index auch eine Gewichtsabnahme sehr positiv aus."
Und wie erkennt man den Zeitpunkt, an dem ein Gelenksersatz ein Thema wird?
Dazu Orthopäde Windhager: "Wir haben uns für eine Studie bei Patientinnen und Patienten mit einer Kniearthrose den Verlauf ihrer Beschwerden in den fünf Jahren vor der Operation genau angesehen. Bis ein Jahr vor dem Gelenksersatz war das subjektive Empfinden ihrer Beschwerden ziemlich gleichbleibend, aber in den zwölf Monaten davor wurden die Schmerzepisoden häufiger und der Schmerz wurde auch intensiver. Konservative Therapien können den Knorpelabbau günstig beeinflussen und verlangsamen, aber sie können ihn nicht rückgängig machen."
Ist der Schmerz des Patienten das einzige Entscheidungskriterium?
Nein, unterstreicht Windhager: "Das Schmerzempfinden ist sehr subjektiv, wenngleich ein Anstieg der Beschwerden natürlich ein wichtiges Symptom ist. Aber es gibt auch noch objektive Faktoren. Bei einer Arthrose sind die Schmerzen abhängig von der Belastung. Das führt unweigerlich dazu, dass man beginnt, das betroffene Gelenk zu schonen - indem man das Bewegungsausmaß reduziert. Aber je weniger Bewegung, umso stärker ist der Abbau der Muskelmasse. Ein starker Muskelschwund macht sich dann aber nach der Implantation des Gelenksersatzes negativ bemerkbar - die Rehabilitation verlängert sich. Das Um und Auf ist es deshalb, den richtigen Zeitpunkt für den chirurgischen Eingriff zu finden: Einerseits nicht zu früh, andererseits aber auch nicht zu spät. Für die Beurteilung ist ein Gesamtbild notwendig. Und deshalb ist es notwendig, in den Entscheidungsprozess möglichst viele Faktoren einzubeziehen. Ein guter körperlicher Zustand beschleunigt jedenfalls die Rehabilitation."
Wie schonend sind die heutigen Operationstechniken?
"Ganz generell kann man sagen, dass heute in unseren breiten praktisch nur mehr Verfahren eingesetzt werden, bei denen Muskeln und Sehnen nicht mehr durchtrennt, sondern nur mehr auseinandergehalten werden. Die Patientinnen und Patienten können dadurch bereits einen Tag nach der Operation wieder aufstehen. Neben den Techniken hat sich aber auch das gesamte Operationsmanagement deutlich verbessert: Einerseits vermeiden wir es heute, zu lange mit dem Eingriff zuzuwarten - was sich positiv auf die Rehabilitation auswirkt. Gleichzeitig sind die Patientinnen und Patienten medikamentös so eingestellt, dass sie nach der OP keine oder nur ganz geringe Schmerzen haben - dadurch werden sie rascher mobil. Und drittens ist der Blutverlust heute minimiert, es gibt kaum Nachblutungen. Dadurch gibt es kaum mehr Schwellungen, auch das beschleunigt die Mobilisierung. Früher war die Vorsorge mit Eigenblutkonserven Standard, das ist lange vorbei."
Bringen Eingriffe mit Operationsrobotern Vorteile?
"Roboterchirurgie in unserem Bereich bedeutet: Es ist keine Computertomografie vor dem Eingriff notwendig, um die Daten für die Navigation der OP-Instrumente zu erheben. Direkt während des Eingriffs werden die anatomischen Strukturen und die Stabilität des Gelenks abgetastet, der Computer erstellt ein virtuelles Gelenkmodell", schildert Windhager. "Bei einer CT-Aufnahme hingegen hat man naturgemäß keine Daten über die Situation der Bänder des OP-Gebietes. Anhand der erhobenen anatomischen Daten und der damit intraoperativ durchgeführten Planung des Operateurs bringt dann der Roboterarm die Säge selbstständig in die richtige räumliche Position, es müssen keine Sägeschablonen mehr am Knochen befestigt werden. Noch ist es aber zu früh um sagen zu können, ob die Ergebnisse dadurch weiter verbessert werden. Auch die herkömmliche Planung mit oder ohne CT auf Basis von Röntgenaufnahmen vor dem Eingriff ist sehr exakt und liefert sehr gute Resultate."
Wie sieht es generell mit Komplikationen aus?
Bei rund zwei Prozent der Patientinnen und Patienten ist innerhalb eines Jahres ein neuerlicher Eingriff notwendig. Bei den Hüften ist der häufigste Grund dafür die Lockerung des neuen Gelenks, beim Knie eine Infektion. Durch die Verwendung größerer Gelenksköpfe sind die Reoperationen wegen Instabilität der Hüfte aber deutlich zurückgegangen, und auch das Risiko der Frühinfektionen ist deutlich gesunken. Das Komplikationsrisiko ist also insgesamt sehr gering.
Und wie steht es um die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten?
Die Ansprüche an den Gelenksersatz sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, betont Windhager. "Früher war das Ziel die Beschwerdefreiheit, heute erwarten sich die Patientinnen und Patienten die vollkommene Wiederherstellung der Funktion, auch, was die sportlichen Fähigkeiten betrifft." Bei der Hüfte sei das auch generell der Fall, im Bereich des Kniegelenks benötige es zunächst mehr Zeit, bis man beschwerdefrei und mit der Funktion des neuen Gelenks zufrieden sei. "Nach einer erfolgreichen Reha und gutem Training sind auch viele Träger einer Knieprothese voll sportfähig, können Skifahren, Tennis oder Golf spielen. Aber das bedarf oft einer langen Vorbereitungs- auf Aufbauzeit."
Was die Hüfte betrifft, seien rund 95 bis 96 Prozent der Patienten dauerhaft beschwerdefrei und zufrieden, beim Knie liege der Prozentsatz mittlerweile auch bei rund 90 Prozent. "Unsere OP-Ergebnisse werden besser, aber auch die Ansprüche der Betroffenen."
Wie lange hält ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk?
"Die meisten Patientinnen und Patienten kommen ihr Leben lang mit einem Gelenk aus und brauchen keinen Tausch", betont Windhager. Bei rund 10 bis 15 Prozent sei nach 15 bis 20 Jahren aufgrund des Abriebs ein Tausch der Prothese notwendig. "Aber die Materialien haben sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert, vor allem durch die Einführung des hochvernetzten Polyethylens. Die Daten mit diesem Material sind noch etwas besser als bei der bisher besten Kombination von Keramikköpfen mit Keramikpfannen."
Worauf soll man bei der Wahl des Zentrums bzw. des Operateurs achten?
Der Operateur sollte ausreichend Erfahrung haben. In einem zertifizierten Endoprothetik-Zentrum, wie etwa am Wiener AKH, muss jede Chirurgin und jeder Chirurg mindestens 50 Knie- oder Hüftprothesen jährlich implantieren. Nur so sind eine ausreichende Erfahrung und Routine gewährleistet und die Ergebnisse besser.
Wo gibt es weiterführende Informationen?
Am Donnerstag, 16. Mai, findet im Josephinum, Sammlungen der Medizinischen Universität Wien, 1090 Wien, Währinger Straße 25, von 16 bis 18 Uhr eine große Patientenveranstaltung statt. Thema: "Was muss ich als Patient:in wissen und beachten?"
Der Eintritt ist frei, um Anmeldung unter der Telefonnummer 01 / 40 4000 DW 40 900 oder der E-Mailadresse alexandra.mayr@meduniwien.ac.at wird ersucht.
Details zum Programm finden Sie hier.
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