Grippewelle: Was Experten für ganz Österreich erwarten
Zwei geschlossene Volksschulen in Innsbruck, ein Ausbruch auch in Telfs, und insgesamt mehr als 200 an Influenza erkrankte Kinder: Dienstag wurde die Grippewelle in Tirol offiziell ausgerufen – die Virusaktivität dort „ist bereits epidemisch“, heißt es beim „National Influenza Center Austria“ an der MedUni Wien.
Ist es ungewöhnlich, dass es schon vor Weihnachten so viele Erkrankungen gibt?
Das ist nicht oft der Fall, kommt aber immer wieder vor. Auch im restlichen Bundesgebiet steigt die Aktivität des Influenzavirus an, das epidemische Niveau ist im Gegensatz zu Tirol jedoch noch nicht erreicht. Tiroler Experten sprechen von einem ungewöhnlich frühen Beginn. 2016 wurde die Grippewelle in ganz Österreich bereits im Dezember ausgerufen. „Heuer ist mit dem österreichweiten Beginn der Grippewelle Ende Dezember/Anfang Jänner zu rechnen“, sagt die Virologin Monika Redlberger-Fritz vom Department für Virologie der MedUni Wien. Auch wenn Prognosen bei der Grippe schwierig sind: „Vergangenes Jahr hatten wir eine relativ milde Welle. Deshalb wird es heuer vermutlich eine stärkere Grippewelle geben. Aber ob sie stark wird, kann ich jetzt noch nicht sagen.“ Allerdings sorgt das A/H3N2-Virus für eher schwere Krankheitsverläufe.
Wieso sind so viele Kinder erkrankt?
In Tirol war bis jetzt das sogenannte A/H3N2-Virus dominant. Dieses war in Österreich zuletzt 2016/2017 stark verbreitet und seither nur in geringem Ausmaß. Deshalb gibt es viele Kinder, die noch nie mit ihm in Kontakt waren – und noch keine schützenden Antikörper bilden konnten. Dieses Virus ist generell für etwas schwerere Krankheitsverläufe verantwortlich. Daneben spielen auch noch Influenza A/H1N1 und Influenza B eine Rolle.
Kann man jetzt schon sagen, ob dieses Virus heuer in ganz Österreich dominieren wird?
„Nein“, betont Redlberger, „dafür ist es zu früh“. Derzeit sei das Bild in Europa komplett uneinheitlich: „In Portugal dominiert Influenza B, in Spanien und Frankreich Influenza A (sowohl H3N2 als auch H1N1) und B zu gleichen Teilen, in Nordeuropa ebenfalls beide A-Stämme. „Auch bei uns ist der Trend noch uneinheitlich“, sagt Susanne Glasmacher vom deutschen Robert-Koch-Institut.
Was bedeutet A/H3N2 eigentlich?
A steht für Influenza-Virustyp A, daneben spielt auch der Virustyp B eine Rolle. Vom Influenza-A-Virus gibt es mindestens 18 H- und neun N-Subtypen. Mit H und N werden Eiweißstoffe an der Oberfläche der Viren bezeichnet: Das Eiweiß Hämagglutinin ermöglicht es den Viren, an den Körperzellen des Menschen anzudocken. Die Neuraminidase ermöglicht die Freisetzung der Viren aus den infizierten Körperzellen.
Ist es für eine Impfung schon zu spät?
Nein. Bis sich der Impfschutz voll aufgebaut hat, dauert es zehn bis 14 Tage. Da mit einem wirklich massiven österreichweiten Anstieg der Erkrankungszahlen erst im Jänner gerechnet wird, ist es noch nicht zu spät. Die Grippe-Impfung ist gut verträglich.
Wie gut ist der Schutz?
Deckt die Impfung die zirkulierenden Viren gut ab, können 60 bis 70 Prozent der Erkrankungen verhindert werden, sagt Redlberger-Fritz. „Bei Kindern hatten wir im vergangenen Jahr sogar eine Schutzrate von 88 Prozent. Bei Kindern wirkt die Impfung aufgrund ihrer stärkeren Reaktion des Immunsystems immer besser als bei Erwachsenen.“
Weiß man schon, ob der Impfstoff passt?
„Wir analysieren gerade die Proben aus Tirol und hoffen auf ein Ergebnis noch vor Weihnachten“, sagt die Virologin. Der Influenza-Totimpfstoff enthält zwar inaktivierte Bestandteile eines A/H3N2-Subtyps: „Aber gerade dieses Virus ist sehr mutationsfreudig“, sagt der Reisemediziner Herwig Kollaritsch: Die Virusoberfläche könnte sich so stark verändert haben, dass die durch die Impfung produzierten Antikörper sie nicht mehr oder nur mehr schlecht erkennen. „Auch in diesem Fall ist eine Impfung sinnvoll“, betont Redlberger-Fritz: „Weil es durchaus einen teilweisen Schutz geben kann – und weil Komplikationen vermindert werden können.“ Und der Impfstoff schützt zumeist vor vier verschiedenen Viren (zwei Influenza-A- und zwei Influenza-B-Viren).
Welche Rolle spielt das Wetter?
„Bei kühlerer, trockenere Luft wird die Schleimhautbarriere durchlässiger, Viren können leichter in den Körper eindringen“, sagt Kollaritsch. „Hinzu kommen andere Infekte, Erkältungen etwa, die den Körper schwächen. Und wir halten uns mehr in geschlossenen Räumen auf – alles trägt ein kleines Schäuferl bei.“ Auch gibt es Studien die zeigen, dass Viren bei kalten Temperaturen länger außerhalb eines Wirtes überleben können. Aber auch Wärme schadet ihnen nicht, erklärt Kollaritsch: „In den Tropen gibt es die Grippeviren ganzjährig.“
Welchen Schutz bringt Händewaschen?
Influenza-Viren werden durch Tröpfcheninfektion beim Reden, Husten, Niesen übertragen – aber auch durch Schmierinfektionen über mit Viren kontaminierten Oberflächen wie Türschnallen. 30 Sekunden Händewaschen kann die Keimbelastung auf den Händen um den Faktor 100 reduzieren – und eine Schmierinfektion verhindern.
Vor kurzem haben Experten vor einem unterschätzten Herzinfarktrisiko durch Grippe gewarnt. Wieso?
„Durch die Wirkung der Grippe werden die Blutplättchen klebriger“, sagt Infektiologe Christoph Wenisch vom Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien. Das aber begünstigt einen Gefäßverschluss. Gleichzeitig benötigt das Herz während einer Grippe mehr sauerstoffreiches Blut – pro zusätzlichem Grad Körpertemperatur steigt der Sauerstoffbedarf um 15 Prozent an. Bekommt es stattdessen zu wenig Sauerstoff, erhöht dies das Infarktrisiko ebenso. Fazit: „Die Grippe kann einfahren wie ein Blitz.“
Die typischen Symptome einer Influenza sind: Plötzlicher Beginn mit hohem Fieber, trockener Husten, Kopfweh, Halsweh, Schmerzende Gelenke, Abgeschlagenheit, Schüttelfrost, allgemeines Krankheitsgefühl.
5 bis 15 % der Gesamtbevölkerung infizieren sich jährlich mit der echten Virusgrippe.30 Prozent der Kinder stecken sich in einer Saison an.
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