Impflücken: Wenn man 140 Tage und Nächte husten muss

Impflücken: Wenn man 140 Tage und Nächte husten muss
Nicht nur die Masernerkrankten nehmen zu. Auch die Fälle von Keuchhusten steigen in dramatischem Ausmaß.

Kurt N., 52, hatte vor vier Jahren „140 extrem anstrengende“ Tage: „Ich hustete Tag und Nacht, rund um die Uhr. Sogar einen Nabelbruch habe ich mir gehustet.“ Die Erkrankung hatte seinen Gesundheitszustand so stark beeinträchtigt, dass der Angestellte danach eine dreiwöchige Kur zugesprochen bekam.

„Es war Keuchhusten. Meine damals sieben Jahre alte Tochter blieb verschont – sie hatte einen ausreichenden Impfschutz, da haben wir immer darauf geachtet. Aber bei mir selbst war ich nachlässig und hatte auf die notwendige Auffrischungsimpfung vergessen.“ Seither wird er im Freundeskreis nicht müde, für die Auffrischung von Impfungen zu werben: „Ich möchte meinen Freunden so eine Infektion ersparen.“

Während die Ausbreitung der Masern für großes öffentliches Aufsehen sorgt (heuer bereits 146 Fälle in Österreich, mehr als 12.600 in Europa, darunter zwölf Todesfälle), steigen weitgehend unbemerkt die Erkrankungszahlen auch beim Keuchhusten. 2200 Fälle wurden 2018 offiziell gemeldet – 2015 waren es 579 Erkrankungen. Bessere Diagnostik alleine erklärt den Anstieg der Meldungen nicht: Auch Impflücken spielen eine große Rolle.

„Dramatisch“

„Der Anstieg ist dramatisch“, sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien. Laut einer aktuellen Auswertung der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) nimmt die Zahl der Fälle pro 100.000 Einwohner in allen Altersgruppen zu. Besonders stark bei den Fünf- bis Neunjährigen – hier wurde offenbar nicht rechtzeitig die im Schulalter empfohlene Auffrischung durchgeführt.

Lunge eines Kindes wird von einer Ärztin abgehört.

Hat das Kind schweren Husten und seit Tagen Fieber, wir beim Arzt oder der Ärztin meist erst einmal die Lunge abgehört.

Und auch bei Über-30-Jährigen ist die Zunahme stark – eine Folge vergessener Auffrischungsimpfungen.

In Deutschland tritt ab 2020 eine Impfpflicht in Kraft – Eltern müssen vor der Aufnahme in Kindergarten oder Schule nachweisen, dass ihre Kinder geimpft sind. „Nur eine Impfpflicht einzuführen ist aber zu wenig“, betont Wiedermann-Schmidt: „Wer A sagt, muss auch B sagen, sonst funktioniert es nicht – man muss also auch Geld für Aufklärungsmaßnahmen in die Hand nehmen.“

Aber warum hat Schweden auch ohne Impfpflicht eine der höchsten Impfraten der Welt? Dazu die Expertin: „Ich habe fünf Jahre in Schweden gelebt. Dort hat Gesundheitserziehung einen viel höheren Stellenwert als bei uns. Auch die Ausbildung der Pädagogen in diesem Bereich ist viel umfassender.“ Und dann sei das Gemeinschaftsbewusstsein größer: „Der Gedanke, mit einer Impfung auch einen Beitrag zur Gesundheit eines anderen zu leisten, ist in Schweden viel weiter verbreitet.“

Impflücken: Wenn man 140 Tage und Nächte husten muss

Ursula Wiedermann-Schmidt: "Mehr Bewusstsein in Schweden."

„In Österreich bemerken wir hingegen immer mehr das Phänomen der immunologischen Trittbrettfahrer“, sagt Allgemeinmediziner Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferats der Österreichischen Ärztekammer: „Viele verlassen sich darauf, dass andere geimpft sind.“ Aus seiner Sicht müsse Nichtimpfen „unbequem werden“. Für ihn denkbar wäre etwa eine Reduktion des Kinderbetreuungsgeldes um 50 Prozent, wenn kein Nachweis der Gratisimpfungen erbracht wird.

Ob er sich als Arzt vorstellen könnte, dass auch Apotheker impfen dürfen? – „Zuerst müsste umgesetzt werden, dass jeder Arzt alle Menschen impfen darf – also etwa der Kinderarzt auch erwachsene Begleitpersonen, was das Ärztegesetz derzeit nicht vorsieht.“ Gerhard Kobinger, Präsidium der Österreichischen Apothekerkammer, bleiben vorerst die „Impfmotivationsgespräche“: „Das Interesse an Aufklärung ist groß.“

Weiterführende Informationen des Gesundheitsministeriums zum Thema Keuchhusten finden Sie hier.

Wo die Grippe derzeit stark verbreitet ist

Die Grippesaison in den USA hat heuer so früh wie seit 15 Jahren nicht begonnen: Bis Ende vergangener Woche gab es bereits mehr als  1,7 Millionen Erkrankungsfälle, 16.000 Spitalsaufnahmen und 900 Todesfälle. In Europa nimmt die Virusaktivität zwar zu, „weit verbreitet“ ist sie derzeit aber nur in Finnland und Portugal, wie das Zentrum für Virologie der MedUni Wien am Mittwoch mitteilte. In Österreich gibt es weiterhin nur vereinzelte Nachweise von Influenza-Viren. Ein Großteil davon von Auslandsreisenden.

„Man kann von der Situation in den USA nicht auf Europa schließen“, sagt die Virologin Monika Redlberger-Fritz, MedUni Wien. Nach ihrer derzeitigen Einschätzung werde in Österreich erst nach den Weihnachtsferien mit einem Anstieg der Erkrankungszahlen zu rechnen sein. Dass sich das Virus vom Westen (Portugal) und Norden (Finnland) her ausbreitet, entspreche dem üblichen Verlauf.

Welches Virus heuer dominieren werde, lasse sich jetzt noch nicht sagen: Bisher habe man sowohl Influenza B als auch Influenza A-Viren isoliert. Nach den bisherigen – wenigen – Virusnachweisen passt der heurige Impfstoff.

Nähere Informationen unter www.influenza.at

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