Suchtexperte: "Das Glas Wein könnte gesund sein, wäre da nicht der Alkohol"
Für hedonistisch Veranlagte ist es eine lebenslange Pein: Gelüsten zu frönen mag die Lebensfreude maximieren – gesund ist es in den seltensten Fällen. Fachleuten, insbesondere Suchtexpertinnen und -experten, stößt vor allem die Romantisierung des täglichen Achterls Rotwein sauer auf.
Regelrecht berühmt wurde in den Achtzigern etwa das "Französische Paradoxon": Die Besonderheit, dass die Franzosen trotz ihres bekanntermaßen am Genuss ausgerichteten Lebensstils – mit reichlich fettigem Fleisch, Weizenmehlprodukten (Stichwort: Baguette), Käse, Zigaretten und eben Rotwein – verhältnismäßig herzgesund sind. Die nach wie vor populäre Vorstellung, Rotwein könne in moderaten Mengen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen, fußt auch auf wissenschaftlichen Studien aus dieser Zeit, die dem vergorenen Traubensaft gar förderliche Effekte auf Alzheimer- und Krebsrisiko bescheinigen.
Methodische Mängel als Wurzel potenziell folgenschwerer Postulate
Schon seit geraumer Zeit kritisieren Expertinnen und Experten die Aussagekraft besagter Untersuchungen. Kanadische Forschende führen nun erneut methodische Mängel als Wurzel der potenziell folgenschweren Postulate ins Treffen – und wollen mit eigenen Daten das Umdenken vorantreiben.
Ihre Aussage ist klar: Die rotweinfreundlichen Annahmen aus frühen Erhebungen gründen auf schlechten Studiendesigns, heißt es im Journal of Studies on Alcohol and Drugs. Das Problem: Die Studien konzentrierten sich im Allgemeinen auf ältere Erwachsene und berücksichtigten lebenslange Trinkgewohnheiten nicht. Daher wurden mäßige Trinker mit Gruppen von "Abstinenzlern" und "Gelegenheitstrinkern" verglichen, in die auch einige ältere Erwachsene fielen, die mit dem Trinken aufgehört oder ihren Konsum eingeschränkt hatten, weil er sich gesundheitlich bereits negativ bemerkbar gemacht hatte.
Die Folge: ein verzerrtes Bild, wie Tim Stockwell, Wissenschafter am Canadian Institute for Substance Use Research der University of Victoria und Mitautor der neuen Analyse, erklärt. Derartige Vergleiche ließen "Menschen, die weiterhin trinken, im Vergleich dazu viel gesünder aussehen".
Es gibt "kein völlig 'sicheres' Maß an Alkoholkonsum"
Für seine eigene Studie identifizierte Stockwell mit seinem Team 107 Studien, in denen Menschen über längeren Zeitraum beobachtet wurden und in denen der Zusammenhang zwischen Trinkgewohnheiten und Langlebigkeit untersucht wurde. Als die Forschenden alle Daten zusammenführten, stellte sich heraus, dass leichte bis mäßige Trinker (d. h. diejenigen, die zwischen einem Getränk pro Woche und zwei pro Tag tranken) im Vergleich zu Abstinenzlern ein um 14 Prozent geringeres Risiko hatten, während des Studienzeitraums zu sterben.
Aber: Diese Resultate hielten einem genaueren Blick nicht stand. In einer Handvoll "hochwertigerer" Studien, wie Stockwell schreibt, wurden Menschen eingeschlossen, die zu Beginn relativ jung waren (im Schnitt jünger als 55 Jahre), und die sicherstellten, dass ehemalige und gelegentliche Trinker nicht pauschal als "Abstinenzler" betrachtet wurden. In diesen Studien ging mäßiger Alkoholkonsum nicht mit einem längeren Leben einher. Der viel zitierte Nutzen für die Gesundheit zeige sich nur, "wenn man sich die schwächsten Studien anschaut". Es gebe "einfach kein völlig 'sicheres' Maß an Alkoholkonsum", so Stockwell.
In diesen Tenor stimmt auch Roland Mader, Psychiater und Suchtexperte am Anton Proksch Institut (API), ein: "Alkohol ist ein Zellgift, schädigt den Körper auch in geringen Dosen und kann deshalb nicht gesund sein", präzisiert er.
Die Geschichte vom "gesunden Glas Rotwein"
Die – von Weinliebhabern gewiss gern gehörte – Geschichte vom "gesunden Glas Rotwein" gehe auf Stoffe zurück, die im Wein enthalten sind. "Das sind die Tannine, also Polyphenole, die vasoprotektiv, sprich gefäßschützend, wirken und somit Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen können", erklärt Mader. "Das Glas Wein könnte also gesund sein, wäre da nicht der Alkohol, der für den Körper giftig ist. Somit hebt sich eine positive Wirkung durch die negative Wirkung des Alkohols wieder auf."
Mader führt ein weiteres Beispiel angeblich gesunder Alkoholika an: Auch diverse Magenbitter, Spirituosen mit einer Kombination von Kräutern, würden eine gesunde Wirkung auf Magen und Verdauung vorgaukeln. "In der klinischen Praxis zeigt sich jedoch, dass genau bei den Konsumenten von Magenbittern die Leberschäden am größten sind. Somit ist klar zu sagen, Alkohol, in geringen Dosen genossen, wird vom Körper vertragen, gesund ist er sicher nicht."
Wie sind gängige Empfehlungen bezüglich eines sicheren Alkoholkonsums einzuordnen? Mehr als 40 Gramm (Frauen) bzw. 60 Gramm reiner Alkohol (Männer) sollten pro Tag nicht konsumiert werden. "Das ist die Menge, aber der Gesundheitsschäden sicher zu erwarten sind, die so genannte Gefährdungsgrenze", sagte Mader. Die WHO definiert als risikoarmen Konsum 24 Gramm Reinalkohol pro Tag bei Männern bzw. 12 Gramm bei Frauen. Das entspricht etwa zwei kleinen bzw. einem kleinen Bier am Tag. "Allerdings muss gesagt werden: Für die Gesundheit ist es am besten, keinen Alkohol zu trinken."
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