Mutterschutz nach Fehlgeburt: "Oft braucht es Abstand zum Loslassen"

Eine junge Frau liegt mit gefalteten Händen in einem Krankenhausbett und blickt nachdenklich zur Seite.
Eine Fehlgeburt kann für betroffene Frauen und Paare eine große Belastung sein. Familienministerin Claudia Plakolm zeigt sich nun offen für gesetzliche Änderungen, um betroffene Frauen besser zu unterstützen.

Familienministerin Claudia Plakolm (ÖVP) hat mit einem Vorstoß zur Einführung eines Mutterschutzes nach Fehlgeburten eine Debatte angeregt (der KURIER berichtete). "Noch immer ist es ein Tabuthema, wenn man ein Kind verliert, wenn ein Kind viel zu früh stirbt", sagte sie im Gespräch mit der Tageszeitung Die Presse.

Ihr sei wichtig, dass Eltern nach dem Verlust Begleitung, Schutz und rechtliche Absicherung erhalten. Forderungen, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden, nehme sie sehr ernst. Hintergrund ist ein offener Brief der Bürgerinitiative "Mut zeigen" an die Bundesregierung. Darin wird ein Anspruch auf Mutterschutz ab der vollendeten 13. Schwangerschaftswoche sowie ein angepasster Kündigungsschutz für betroffene Frauen gefordert. In der Bürgerinitiative engagieren sich Eltern, deren Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verstorben ist. Sie berufen sich auf eine Regelung, die seit Juni in Deutschland in Kraft ist.

Deutschland: Gestaffelter Mutterschutz ab der 13. Woche bei Fehlgeburten

Dort können Frauen, die ab der 13. Woche eine Fehlgeburt haben, in Mutterschutz gehen. Je nach Fortschritt der Schwangerschaft ist der Mutterschutz gestaffelt: Ab Woche 13 können Frauen zwei Wochen Mutterschutz in Anspruch nehmen, ab der 17. Woche sechs Wochen und ab der 20. Schwangerschaftswoche acht Wochen. Ob sie diese Zeit vollständig oder nur teilweise in Anspruch nehmen, können Frauen selbst entscheiden. In Österreich ist das derzeit nicht möglich. Frauen haben die Möglichkeit, aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch eine Fehlgeburt in Krankenstand zu gehen. 

Schwangere Frauen sind in Österreich grundsätzlich bis vier Monate nach der Geburt kündigungsgeschützt. Bei einer Fehlgeburt endet dieser Kündigungsschutz vier Wochen nach der Fehlgeburt, bei einer Totgeburt (siehe Infokasten weiter unten) nach vier Monaten.

Von einer Fehlgeburt spricht man, wenn ein Kind tot geboren wird und ein Geburtsgewicht von weniger 500 Gramm hat. "Bei etwa 15 bis 20 Prozent aller klinisch nachgewiesenen Schwangerschaften kommt es zu einer Fehlgeburt", sagt Johannes Ott von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde an der MedUni Wien. Die Häufigkeit unterscheidet sich je nach Schwangerschaftsdrittel. "Bis zur 12. Woche erleiden bis zu 20 Prozent aller Frauen eine Fehlgeburt. Im zweiten Schwangerschaftsdrittel sinkt diese Häufigkeit deutlich, auf etwa ein bis zwei Prozent." 

In der frühen Schwangerschaft verstorbene Babys werden meist gemeinsam mit der Plazenta durch eine Blutung aus der Gebärmutter ausgeschieden. Bleiben Gewebereste in der Gebärmutter zurück, ist eine Kürettage notwendig. Bei diesem kurzen Eingriff unter Vollnarkose werden Schwangerschaftsreste entfernt.

"Für die meisten ist eine Fehlgeburt ein Schicksalsschlag"

Ott betont, dass eine Fehlgeburt für nahezu alle Frauen eine Belastung darstellt: "Für die meisten ist eine Fehl- bzw. Totgeburt ein Schicksalsschlag, insbesondere im zweiten Schwangerschaftsdrittel. Rein körperlich kann es zu stärkeren Blutungen kommen. Viel größer ist die emotionale Belastung." Im zweiten Schwangerschaftsdrittel freuen sich die meisten Frauen bereits auf das Kind, haben erste Pläne und Hoffnungen. 

Das bestätigt Bettina Wendl, Gynäkologin und Psychotherapeutin. "Je früher die Fehlgeburt passiert, umso leichter tun sich Frauen und Paare in der Regel bei der Verarbeitung. Tritt die Fehlgeburt später auf, ist die psychologische Anpassungsreaktion meist ausgeprägter." Wobei eine frühe Fehlgeburt etwa für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch einen großen Verlust darstellen kann. Besonders problematisch werden Fehlgeburten erlebt, wenn eine Frau bereits mehrere Fehlgeburten erlitten hat. Auch das Alter ist relevant. Ott: "Wenn Frauen wissen, dass die Chancen erneut schwanger zu werden, nicht mehr so groß sind, ist das eine große Belastung."

Gefühl der Unzulänglichkeit

Bei Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, entsteht laut Wendl häufig ein Gefühl der Unzulänglichkeit: "Viele haben das Gefühl, versagt zu haben, körperlich nicht fähig zu sein, ein Kind auszutragen und zu gebären." Eine Fehlgeburt kratze oft am Selbstverständnis als Frau, "weil die Mutterschaft gesellschaftlich eng damit verknüpft ist", erläutert Wendl. Auch Schuldgefühle spielen eine Rolle. "Viele Frauen geben sich selbst die Schuld und gehen die Schwangerschaft bis ins kleinste Detail durch, um mögliche Auslöser zu finden."

Aus diesen Scham- und Schuldgefühlen erwächst das Tabu, das Fehlgeburten nach wie vor umgibt. "Es wird mehr darüber gesprochen als früher, aber oft noch immer darüber geschwiegen", sagt die Psychotherapeutin. Inzwischen würden sich immer mehr Frauen und Paare psychologische Unterstützung bei der Bewältigung suchen. "Es gibt auch viele Psychologinnen und Psychotherapeutinnen, die darauf spezialisiert sind", sagt Wendl, die auch Selbsthilfegruppen zum Austausch empfiehlt.

Viele Frauen und Paare wüssten nicht, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt relativ hoch ist, beschreibt Wendl. "Das verstärkt den Schock, wenn es dazu kommt." Es sei wichtig, Paare mit Kinderwunsch und auch werdende Eltern darüber aufzuklären, "dass die Natur in der Frühphase der Schwangerschaft einen Art Schutzmechanismus eingebaut hat". Entwickelt sich der Embryo aus genetisch nicht intakten Zellen, "wird er meist vom Körper ausselektiert". Dieses Wissen könne betroffenen Frauen helfen, "die Erfahrung besser einordnen zu können".

"Trauer ist eine wichtige, gesunde Reaktion"

Wichtig sei, zwischen Trauer und Depression zu unterscheiden. "Trauer ist eine wichtige, gesunde Reaktion auf einen Verlust. Depression entsteht, wenn der Verlust nicht betrauert werden kann", erklärt die Expertin. Davon abzugrenzen sei eine pathologische Trauer, eine anhaltende Trauerstörung, "bei der Frauen über Monate oder Jahre hinweg in ihrer Trauer gefangen bleiben, meist verbunden mit früheren Traumaerfahrungen".

Einen Anspruch auf Mutterschutz für Fehlgeburten ab der 13. Schwangerschaftswoche zu etablieren, begrüßt Wendl: "Psychologisch gesehen wäre es wünschenswert, wie jede Investition in Frauengesundheit. Allerdings ist es letztlich eine politische Entscheidung, welche Ressourcen dafür frei gemacht werden." Die Möglichkeit, eine Auszeit nach einer Fehlgeburt zu nehmen, hält auch Ott für einen diskussionswürdigen Vorschlag. Wie lange diese dauern sollte und ob nach Schwangerschaftsfortschritt unterschieden würde, sei eine politische und auch volkswirtschaftliche Entscheidung.

Ob Frauen einen Mutterschutz nach einer Fehlgeburt als entlastend erleben, sei Wendl zufolge individuell verschieden. "Arbeit kann für manche stabilisierend sein. Aber oft braucht es eine Form von Abstand zum Loslassen."

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