Fehlgeburt: Wie Bilder bei der Bewältigung helfen

Etwa jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens eine Fehlgeburt.
Für Eltern ist die Zeit nach einer Fehlgeburt belastend. Bilder des verstorbenen Babys können den Trauerprozess unterstützen.

"Es ist schwierig, Abstand zu bewahren", sagt Oliver Neunteufel, der als Fotograf für den Verein Dein Sternenkind tätig ist. Die Initiative, die 2013 vom deutschen Fotografen Kai Gebel ins Leben gerufen wurde, bietet Eltern ein kostenloses, fotografisches Andenken an ihr sterbendes oder totgeborenes Kind. Anfragen können über die Homepage gestellt werden. Dann wird ein Fotograf vermittelt.

Die Gründe, die Eltern dazu bewegen an die Organisation heranzutreten, sind stets ähnlich: "Sie wollen ein Andenken an ihr Kind. Außerdem geht es um Trauer- und Verlustbewältigung. Die Bilder sind dafür eine Grundlage", weiß Neunteufel. Oft würden sich Eltern die Fotos aber erst Jahre später ansehen. "Das bleibt ganz ihnen überlassen", betont der Wiener, der neben der ehrenamtlichen Tätigkeit als selbständiger Fotograf arbeitet.

Die Termine mit den Eltern sind für ihn jedes Mal eine Herausforderung: "Während des Shootings muss man funktionieren. Man macht, was gewünscht wird. Das Grübeln setzt erst später ein." Vom Setting her seien die Termine herkömmlichen Neugeborenen-Shootings sehr ähnlich – mit dem Unterschied, dass die "Sternchen" oft bereits verstorben sind oder im Sterben liegen. Dennoch, oder gerade deswegen, versucht Neunteufel die Eltern ganz normal zu behandeln.

Fehlgeburt: Wie Bilder bei der Bewältigung helfen
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Trauma des Verlustes

Normalität, das ist für Mütter und Väter, die ein Kind verlieren, schwierig wiederherzustellen. Das bestätigt auch die Psychotherapeutin Anja Gutmann. "Bei fast allen Frauen kommt es zu einer Trauerreaktion, etwas seltener zu einer Traumareaktion." Wie stark die Psyche der Betroffenen leidet, hängt davon ab, wie intensiv sich die Mütter und Väter mit der Elternschaft identifiziert haben. "Wenn es ein Wunschkind war und es vielleicht sogar schwierig war, überhaupt schwanger zu werden, ist die Reaktion massiver", weiß Gutmann, die in ihrer Grazer Praxis betroffene Eltern betreut.

Bei einer Traumareaktion sind Flashbacks typisch. Dabei handelt es sich um wiederkehrende Erinnerungen an das Ereignis, die mit leidvollen Emotionen gekoppelt sind. "Traumatisierte Frauen haben Schwierigkeiten den Alltag zu meistern. Sie funktionieren zwar, erleben die Welt aber wie durch einen Nebel und werden immer wieder von Emotionen überflutet", sagt Gutmann. Was Frauen der Expertin zufolge ebenfalls häufig plagt, sind Schuldgefühle. Dabei ist es unwesentlich, ob eine Trauer-oder Traumareaktion vorliegt.

Etwa jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens eine oder mehrere Fehlgeburten. Genaue Zahlen sind schwierig zu ermitteln, da Fehlgeburten in den ersten Schwangerschaftswochen oft unbemerkt bleiben und als Unregelmäßigkeit im Menstruationszyklus fehlinterpretiert werden. Von einer Fehlgeburt spricht man laut der WHO dann, wenn die Schwangerschaft endet, bevor das Kind lebensfähig ist. Kommt das Kind nach der 23. Schwangerschaftswoche und mit einem Gewicht von über 500 Gramm tot zur Welt, handelt es sich um eine Totgeburt.

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Geteiltes Leid

Nicht nur die Frauen leiden. Auch die Partner sind einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt. "Oft ist es so, dass sich der Partner zurücknimmt, weil er die Partnerin nicht zusätzlich belasten möchte und weil er glaubt, stark sein zu müssen." Daraus entstehe nicht selten ein Teufelskreis, weil die Frauen dieses Verhalten als Abgrenzung wahrnehmen und sich mit ihrem Leid allein gelassen fühlen.

Wie man als Paar gemeinsam gut mit einer Fehlgeburt umgehen kann? "Man muss viel darüber reden – und sich Zeit lassen", erklärt Gutmann. Das sei bei der Verarbeitung generell wesentlich, "weil in der Gesellschaft wenig Verständnis für einen langen Trauerprozess da ist und auch die Frauen selbst das Gefühl haben, schnell über den Verlust hinwegkommen zu müssen." Tatsache sei aber, "dass es dauern darf."

Projekte wie Dein Sternenkind bewertet Gutmann grundsätzlich positiv. "Viele leiden darunter, wenn es kein Grab für das Kind gibt oder sie in Vergessenheit geraten könnten. Das Andenken zu behalten und dadurch Respekt für das Lebewesen zu zeigen, kann tröstlich sein." Problematisch werden die Fotografien dann, wenn der Schmerz durch die Bilder immer wieder zwanghaft hervorgeholt wird.

Tabu-Thema Fehlgeburt

Wie wichtig es ist, dass Betroffene wissen, dass sie nicht alleine sind, spricht US-Schauspielerin Melissa Rauch ("Big Bang Theory") in einem Video an, das sie in Zusammenarbeit mit dem Magazin Glamour produzierte. Rauch, die selbst ein Kind verloren und ihre Fehlgeburt öffentlich thematisiert hat, will sich damit für die Enttabuisierung von Fehlgeburten stark machen (mehr dazu hier).

Die Schaffung eines verstärkten Bewusstseins für die Thematik begrüßt Gutmann. "Wir müssen verstehen, dass wir es bei Betroffenen mit Eltern zu tun haben, die ein Kind verloren haben und die deswegen trauern." Es gehe nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen, um eine Erkrankung oder ein körperliches Defizit.

Wichtig sei außerdem, dass man Eltern signalisiert, dass bei Frauen, die ein Kind verlieren viel Scham da ist. "Man denkt sich, 'Ich habe es nicht geschafft, bei mir hat es nicht funktioniert'." Indem starke, prominente Frauen an die Öffentlichkeit gehen, könne dieses Stigma gelöst und gezeigt werden, dass dieser Schicksalsschlag jeden treffen kann. Inwieweit Frauen ihre Fehlgeburt im privaten Umfeld thematisieren wollen, bleibt ihnen überlassen. "Da gibt es kein Standardrezept. Betroffene sollten auf ihre Intuition hören und für sich entscheiden, was der beste Weg ist."

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