Alzheimer: Wie die neuen Medikamente Betroffenen in Österreich helfen

Die Diagnose Alzheimer ist für Betroffene oft ein Schock. In der EU sind inzwischen zwei Medikamente zugelassen, die den Verlauf der neurodegenerativen Erkrankung bremsen können.
Seit die US-Arzneimittelbehörde vor etwas über zwei Jahren die erste Arznei gegen Alzheimer für den Markt freigegeben hat, ist viel passiert: Inzwischen ist Leqembi als erstes ursachenbezogenes Arzneimittel, welches das Fortschreiten der neurodegenerativen Erkrankung verlangsamt, auch in Europa zugelassen. Wobei die dafür zuständige Europäische Kommission dem Wirkstoff Lecanemab erst im zweiten Anlauf grünes Licht gab.
Seit vergangener Woche darf nun ein zweites, ähnliches Medikament bei Alzheimerpatientinnen und -patienten angewandt werden. Mit Donanemab, Handelsname Kisunla, vergrößert sich also der therapeutische Handlungsspielraum. Doch wie kommt man in Österreich zu den Präparaten? Wer kommt dafür infrage? Und gibt es noch andere Hoffnungsträger im Kampf gegen Alzheimer?
Der KURIER hat mit Walter Struhal, Leiter der Klinischen Abteilung für Neurologie am Uniklinikum Tulln und Vorstandsmitglied der Österreichischen Alzheimer-Gesellschaft (ÖAG), gesprochen.
War mit der Zulassung des zweiten Präparates zu rechnen?
"Ja, das war absehbar", sagt Struhal. In den Zulassungsstudien habe sich abgezeichnet, "dass die Bewertung des Medikaments insgesamt positiv ausfällt und es in Äquivalenz zu Leqembi zu einer Zulassung von Kisunla in der EU kommen wird".
Der Experte begrüßt die Entwicklung: "Beide Arzneien sind wirksam gegen die Ursache von Alzheimer: Amyloid-Ablagerungen, sogenannte Plaques, im Gehirn. Damit haben wir erstmals eine ursächliche Therapie zur Verfügung, bis vor Kurzem konnten wir nur die Symptome abmildern." Laut Studien kommt es durch die Gabe der Antikörper-Mittel zu einer Verlangsamung der Verschlechterung um rund 30 Prozent. Für Betroffene bedeute das einen großen Benefit und mehr Lebensqualität. Eine Heilung sei damit aber nicht möglich, sagt Struhal.
Wie wirken die Mittel genau?
Die monoklonalen Antikörper Leqembi und Kisunla wirken, indem sie gezielt an die schädlichen Amyloid-beta-Ablagerungen im Gehirn binden und das Immunsystem dabei unterstützen, sie abzubauen, bevor sie sich zu gefährlichen Plaques sammeln können.
Sowohl Leqembi als auch Kisunla müssen in einer Frühphase der Erkrankung verabreicht werden, um ihr Fortschreiten verlangsamen zu können. "Zu diesem Zeitpunkt – wenn erste Symptome auftreten – besteht die Krankheit meist schon seit zehn bis 15 Jahren", sagt Struhal. Ziel müsse sein, die Diagnostik so weit zu verbessern, dass Risikopatienten noch vor dem Auftreten von Symptomen identifiziert und therapiert werden können.
Wann wird das möglich sein?
"Ich persönlich glaube, dass wir in fünf bis zehn Jahren die Möglichkeit haben werden, mit einer einfachen Blutabnahme zu detektieren, ob jemand ein erhöhtes Risiko hat, zu erkranken", sagt Struhal. "Wenn man zu diesem Zeitpunkt schon eine Behandlung zur Verfügung hätte, wäre viel erreicht. Aber da ist noch viel zu tun und wir müssen noch viel lernen."
In Österreich werden schon jetzt entsprechende blutbasierte Verfahren vereinzelt innerhalb von Studiensettings genutzt. "An manchen Kliniken werden einige wenige Patienten bereits damit untersucht. Es ist denkbar, dass die Tests künftig auch für größere Screenings infrage kommen."
Wie unterscheiden sich die beiden verfügbaren Arzneien Leqembi und Kisunla?
Unterschiede gibt es insbesondere bei der Verabreichung. "Das ist vor allem für Patientinnen und Patienten relevant, denn Kisunla wird einmal pro Monat gegeben und ist als Therapie mit Enddatum vorgesehen, während Leqembi alle zwei Wochen verabreicht wird und als langfristige Behandlung vorgesehen ist." Die Gabe erfolgt intravenös, also über eine Infusion.
Wie viele Betroffene kommen für eine Therapie infrage?
"Ich würde schätzen, dass man pro Million Einwohnerinnen und Einwohner mit rund fünf bis zehn Patientinnen und Patienten pro Jahr rechnen kann. Diese Schätzung kann sich aber noch verändern, wir sammeln gerade erst erste Erfahrungen", sagt Struhal. Die Patientengruppe, die therapiert werden kann, ist demnach überschaubar. Zum einen ist eine frühe Diagnose ausschlaggebend, "zum anderen dürfen die Personen keine blutverdünnenden Medikamente einnehmen".
Zudem muss vorab per Gentest sichergestellt werden, dass Betroffene höchstens eine Kopie des ApoE4-Gens haben, das die Informationen zum Bau des Proteins Apolipoprotein E trägt. In Studien hat sich gezeigt, dass Träger des Gens ein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen, Hirnschwellungen oder -blutungen, haben.
Wie hoch ist das Risiko für Komplikationen?
Auch wenn strenge Auflagen sicherstellen sollen, dass es nicht zu schweren Nebenwirkungen kommt, müssen Patientinnen und Patienten zu Beginn der Therapie engmaschig beobachtet werden. "Die Nebenwirkungen machen zwar nur bei einem geringen Prozentsatz Symptome und Probleme. Dennoch muss in den ersten drei bis sechs Monaten laufend per Magnetresonanz-Tomographie überwacht werden."
Momentan wird Leqembi in Österreich nur an spezialisierten Zentren abgegeben, wo diagnostischen Möglichkeiten, aber auch klinische Erfahrungswerte mit den Medikamenten verfügbar sind. Ein (Teil)Transfer der Therapie in den niedergelassenen Bereich hält Struhal künftig nicht für ausgeschlossen.
Wann wird Kisunla in Österreich verfügbar sein? Wird schon mit Leqembi therapiert?
Leqembi ist bereits in Österreich verfügbar und wird auch in immer mehr Bundesländern bei einzelnen Patienten angewandt. Kisunla könnte laut Struhal in den kommenden Monaten, "realistischerweise aber Anfang nächsten Jahres" hierzulande verfügbar sein.
Was sind erste Anzeichen der Alzheimer-Erkrankung?
Hausärztinnen und -ärzten kommt insbesondere bei der frühen Diagnose eine entscheidende Rolle zu, sagt Struhal: "Es ist wesentlich, dass der Einzelne und sein Umfeld auf erste Anzeichen achten, etwa Vergesslichkeit – von gesprochenen, gelesenen, gesehenen Inhalten." Auch häufiges Nachfragen, Orientierungsschwierigkeiten und das häufige Suchen von Dingen zählen zu Auffälligkeiten im Anfangsstadium. "In der Folge ist es zentral, dass Hausärzte die Patienten zur Abklärung an niedergelassene Fachärzte für Neurologie oder Psychiatrie überwiesen, wo wiederum über weitere Schritte und Maßnahmen entschieden wird."
Wie wird es in der Alzheimer-Behandlung künftig weitergehen?
"Wir haben die Hoffnung, dass diese beiden Medikamente nicht das Ende der Fahnenstange sind", sagt Struhal. Viele Präparate befinden sich derzeit noch in Entwicklung. "Es wird an einer Reihe von Mitteln mit unterschiedlichen Wirkmechanismen geforscht, die in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen könnten."
Struhals Botschaft: "60 Prozent der Alzheimer-Erkrankung sind mit einer genetischen Prädisposition in Verbindung zu bringen, 40 Prozent können wir selbst kontrollieren. Man kann einer Demenzerkrankung zu einem guten Teil vorbeugen, indem man nicht raucht, körperlich aktiv ist, Alkohol meidet und gesund isst – die Grundsätze eines gesunden Lebens sind auch die Grundsätze eines gesunden Gehirns."
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