"Das serotonerge System ist schon in einer frühen Phase betroffen", führt Winkler aus. Es umfasst alle Nervenzellen, die Serotonin, besser bekannt als Glückshormon, ausschütten. Dabei steuert es nicht nur das Glücksempfinden, es reguliert allgemein emotionale Prozesse und Angst: "Deshalb bekommen Alzheimer-Betroffene häufiger Depressionen."
Um Depressionen zu kurieren, kommen häufig Antidepressiva zum Einsatz. "Seit 2014 gibt es neuere Arzneien, die gezielter als ältere im serotonergen System wirksam sind", sagt Winkler. Bei der Therapie führen sie bei Patientinnen und Patienten zu beträchtlichen Verbesserungen von Konzentration und Gedächtnis. "Weil aber auch Depressionen zu Veränderungen im Denken führen, hat man sich die Effekte zuerst über das Gesunden der Betroffenen erklärt. Es scheint aber plausibel, dass die neueren Substanzen Wirkungen darüber hinaus und eben nicht nur bei depressiven Menschen, sondern auch bei beginnender Demenz haben."
Vielversprechende Forschungen an der MedUni Wien
Um diese Idee zu beforschen, läuft unter Winklers Leitung seit 2021 eine Studie an der MedUni Wien. "Wir untersuchen die Wirkung serotonerger Antidepressiva bei Menschen mit mildem kognitivem Defizit." Wie Demenz zeichnet sich die Diagnose durch vermehrte Vergesslichkeit aus. Betroffene müssen sich öfter Dinge notieren, Listen schreiben, ihren Kalender penibel führen. "Im Gegensatz zu einer Demenz, gibt es aber noch keine Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten." Probandinnen und Probanden bekommen zwölf Wochen lang ein Placebo oder das Medikament. "Mit Testungen schauen wir, ob sich kognitive Parameter verbessern. Und wir schauen den Patienten beim Denken zu, mittels funktioneller Magnetresonanztomografie", sagt Winkler. Ergebnisse werden Mitte 2025 vorliegen. "Allerdings hat man in einer ähnlichen Studie aus Singapur 2021 in Ansätzen demonstrieren können, dass die Medikamente helfen", zeigt sich Winkler vorsichtig zuversichtlich.
Leqembi als Hoffnung mit Einschränkungen
Die Forschung bringt immer wieder neue therapeutische Ansätze hervor. Über die Substanz Lecanemab, ein Wirkstoff, der erstmals den Verlauf von Alzheimer bremst, wurde in den vergangenen Monaten intensiv berichtet. In den USA bereits zugelassen, steht eine Zulassung entsprechender Antikörper-Arzneien, allen voran Leqembi, in der EU noch aus. Ursprünglich war diese für das erste Quartal 2024 erwartet worden. "Bei der Medikamenten-Zulassung gibt es oft Verschiebungen nach hinten", weiß Winkler, der davon ausgeht, dass Leqembi "noch dieses Jahr, allenfalls Anfang 2025 bei uns in Verwendung kommt".
Die Zielgruppe für das Präparat ist eng: Zum einen muss Leqembi in einer sehr frühen Phase der Demenz gegeben werden. Zum anderen "muss eine erhöhte Amyloid-Last im Gehirn vorliegen, auf die es zur Entfernung abzielt", präzisiert Winkler (siehe Infobox), der für eine flächendeckende mentale Gesundenuntersuchung ab dem 60. Lebensjahr plädiert, um Demenzen früh zu erkennen.
Leqembi sei ein "wesentlicher Schritt in der Alzheimer-Behandlung". Allerdings kann das Mittel zu beträchtlichen Nebenwirkungen führen, Hirnschwellungen und -blutungen etwa. Für Betroffene, die Risikofaktoren aufweisen, fällt die Behandlungsmethode flach. "Alle Patienten müssen engmaschig überwacht werden." Neben der Verabreichungsform – Leqembi wird per Infusion in den Körper geleitet – sei das der Hauptgrund, "warum es nur in hochspezialisierten Einrichtungen zum Einsatz kommen wird". Zudem ist Leqembi teuer, eine Einzeldosis kostet über 1.000 Euro.
Wissenschaft tüftelt weiter
Wird Demenz irgendwann heilbar sein? "Ich bin durchaus optimistisch, dass das in den nächsten Jahrzehnten möglich sein wird. Forschungsgruppen aus aller Welt arbeiten daran, von der Grundlagenforschung bis zur Entwicklung innovativer Therapien", sagt Winkler. Er geht davon aus, dass die Zulassung von Leqembi weiteren Medikamenten mit ähnlichem Wirkprinzip die Rutsche legen wird. "Womöglich wird man an der Verabreichung arbeiten und niederschwelligere Therapien ermöglichen." Auch Arzneien gegen die zweite für Alzheimer ursächliche Eiweißablagerung im Hirn – Neurofibrillen aus dem Tau-Protein – könnten künftig verfügbar sein. Fortschritte wird es auch bei der Diagnostik geben. Mit einem Bluttest etwa.
Unabhängig von medizinischen Meilensteinen sei die Unterstützung von Betroffenen durch das Umfeld enorm wichtig: "Allein den Weg zur Diagnose meistert man kaum ohne Hilfe. Die Patienten brauchen jemanden, der sie begleitet, bis sie eine zielgerichtete Therapie bekommen – und darüber hinaus."
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