Niedergeschlagen – freudlos – ständig erschöpft: Depressionen verändern nicht nur den Gemütszustand. Auch auf das Essverhalten nimmt die Erkrankung Einfluss, wie Untersuchungen immer wieder zeigen.
Bekannt ist, dass depressive Episoden, die weltweit Hunderte Millionen Menschen betreffen, den Appetit bremsen können. Auch Heißhunger kann zur Belastung Betroffener beitragen. Forschende des deutschen Uniklinikums Bonn haben nun ein weiteres Muster im Essverhalten depressiver Patientinnen und Patienten offengelegt. Es heißt, dass dieses Wissen neuen Behandlungsansätzen den Weg ebnen könnte.
Lässt sich die Psyche wirklich über die Ernährung heilen?
Vorliebe für Fett und Kohlenhydrate
In der Studie zeigten an Depressionen erkrankte Personen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen ein geringeres Verlangen nach fett- und proteinreichen Lebensmitteln. Sie bevorzugten kohlenhydratreiche Nahrung oder Lebensmittel, in denen Fett und Kohlenhydrate kombiniert werden.
Bislang wurde vermutet, dass das Verlangen nach kohlenhydratreicher Kost mit gesteigertem Appetit zusammenwirkt. Dem widersprechen die Erkenntnisse: "Tatsächlich hängt der Hunger nach Kohlenhydraten eher mit der allgemeinen Schwere der Depression, besonders der Angstsymptomatik zusammen", erläutert Erstautorin Lilly Thurn.
Fast Food polt das Gehirn auf gute Gefühle
Als "absolut naheliegend" ordnet Christine Tretter, Fachärztin für Psychiatrie und Ernährungsmedizin, die Ergebnisse ein. Aus der Stressforschung sei bekannt, dass "Personen, die stark unter Stress leiden – was oft Teil einer Depression oder Angsterkrankung ist – zum Verzehr von Süßigkeiten, hochverarbeiteten Lebensmitteln und damit zu Kohlenhydraten und Fett neigen", erklärt die Expertin.
Wobei es den Schweregrad zu berücksichtigen gelte: "Bei emotionaler Belastung, Stress, leichten bis mittelschweren Depressionen wird öfters gerne genascht und Hochverarbeitetes gegessen. Menschen mit starken bis schwersten Depressionen essen hingehen oft kaum mehr etwas, hier ist Appetitverminderung typisch."
Der spezifische Hunger auf bestimmte Nahrungskomponenten beruht auf neuronalen Mechanismen im Gehirn. "Es kommt zu Aktivierungen im Belohnungssystem, die mit dem Erleben von positiven Gefühlen, Entspannung, Angstlösung und Stressreduktion einhergehen", erklärt Tretter. Verharrt man dauerhaft in negativer Stimmung, kann das Suchtverhalten gefördert werden: "Zum einen will man die guten Gefühle gezielt herbeiführen, zum anderen tritt ein Gewöhnungseffekt ein und man muss immer mehr konsumieren." Ein Teufelskreis, der nicht selten einer Gewichtszunahme Vorschub leistet.
Mikrobiom, Darm-Hirn-Achse, Immunsystem
In der Entschlüsselung der Zusammenhänge von Ernährung und Psyche liegt jedenfalls enormes Potenzial, schildert Tretter. So weisen etwa Menschen mit Depressionen Veränderungen in ihrem Mikrobiom auf, die diverse Symptome verstärken könnten. Erste Befunde gibt es auch dazu, dass Fasten oder auch probiotische Lebensmittel antidepressiv wirken. Die Wirkung von Omega-3-Fettsäuren wird unter anderem bei der Herbst-Winter-Depression erforscht. "Wir wissen immer mehr über die Verbindungen zwischen Ernährung, Mikrobiom, Darm-Hirn-Achse, dem Immunsystem und psychischen Belastungen", umreißt die Spezialistin das komplexe Geschehen.
Konkret lässt sich über eine gesunde Ernährung das Mikrobiom und damit die Darmfunktion beeinflussen, was Entzündungsprozesse im Körper hemmen und gleichzeitig über die Darm-Hirn-Achse auch die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe, etwa das bekannte Glückshormon Serotonin, befördern kann.
Wenn es darum geht, Entzündungen im Körper zu kurieren, ist oft von der Mittelmeer-Diät die Rede. Kernelemente der vitamin- und ballaststoffreiches Ernährungsart sind Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte und gesunde Fette. "Damit bremst man nicht nur Entzündungen im Körper, man führt über eine solche pflanzenbetonte Ernährung auch weniger entzündungsfördernde Substanzen zu, wie sie vordergründig in rotem, verarbeitetem Fleisch, zuckerhaltigen oder ultraprozessierten Lebensmitteln vorkommen."
"Ernährung kann ein potenter Hebel sein"
Auch andere psychische Erkrankungen wie Angststörungen können damit gelindert werden. "Die Ernährung kann ein enorm potenter Hebel sein", summiert Tretter. Wichtig sei dabei, das betont die Psychiaterin, Depressionen und psychischen Erkrankungen "immer als multifaktorielles Geschehen zu begreifen".
So könne über Ernährung bei wiederkehrenden depressiven Episoden gute Wirkungen erzielt werden. "Anders ist es bei jemandem, der zum Beispiel wegen massiver Traumatisierungen an Depressionen leidet – den wird eine Ernährungsumstellung nicht wieder glücklich machen", formuliert es Tretter zugespitzt. "Allerdings sind auch hier Verbesserungen durch eine optimierte Ernährung zu beobachten."
Kann man der Seele übers Essen auch präventiv Gutes tun? "Eine gesunde Ernährung ist in vielerlei Hinsicht die beste Vorbeugung", ist Tretter überzeugt. Durch die global voranschreitende Fehlernährung würden Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht, Diabetes, Krebs oder rheumatische Krankheiten angekurbelt.
"Auch bei der laufenden Zunahme von psychischen Krankheiten ist die Ernährungsqualität ein wichtiger und noch stark unterschätzter Faktor, wie uns neueste Forschungsresultate immer besser zeigen können."
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