Wieso sind Krebspatienten von der Impfpflicht ausgenommen?
Ganz aktuell zeigt es eine Studie der MedUni Wien: Auch Patientinnen und Patienten mit einer aktiven Krebserkrankung entwickeln nach einer dritten Covid-19-Impfung ("Booster") eine ausreichende Immunität. Die Nebenwirkungen sind gering. Umso mehr sind Krebsspezialisten verwundert, dass in der Verordnung zum Impfpflichgesetz Menschen mit einer aktiven Krebserkrankung von der Impfpflicht ausgenommen sind. Unter den Betroffenen selbst sorgt das für Verunsicherung. Was sind die Gründe für diese Entscheidung des Gesundheitsministeriums?
Die neue Verordnung zum Impfpflichtgesetz sorge für „große Verunsicherung bei den Patientinnen und Patienten“, wie es Wolfgang Hilbe, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie, ausdrückt.
Konkret heißt es in der am Montag veröffentlichten Verordnung, dass die Impfpflicht unter anderem nicht besteht für "aktive Krebserkrankungen mit einer jeweils innerhalb der letzten sechs Monate erfolgten onkologischen Pharmakotherapie (Chemotherapie, Biologika) und/oder einer erfolgten Strahlentherapie sowie metastasierende Krebserkrankungen auch ohne laufende Therapie."
„Ähnlich auch der Onkologe Christoph Zielinski: Es sei mittlerweile gesichert, dass Krebspatienten unter Therapie "größtenteils eine ausreichende Immunantwort entwickeln. Und selbst wenn dies vereinzelt nicht der Fall ist, so schadet die Impfung keinesfalls." Die Vorteile einer Corona-Impfung für Menschen mit Krebserkrankungen überwiegen das Risiko einer eventuell nicht ausreichenden Immunantwort bei Menschen mit einem unterdrückten Immunsystem deutlich.
Neue Studie zeigt: Der Booster wirkt
Das zeigt auch eine ganz aktuelle Studie der MedUni Wien, die jetzt im renommierten Fachjournal European Journal of Cancer veröffentlicht wurde. Sie wurde mit 439 Patientinnen und Patienten an mehreren MedUni-Abteilungen gemeinsam mit den Unis in Salzburg und Klagenfurt sowie dem Krankenhaus Franz Tappeiner in Meran durchgeführt.
Das erfreuliche Ergebnis: Nach der dritten Teilimpfung stieg bei vielen der Antikörper-Spiegel an – „nicht ganz so gut wie bei Gesunden, aber doch so hoch, dass wir von einem Schutz ausgehen“, betont der Onkologe Preusser, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie der MedUni/AKH Wien. Schlecht ist das Ansprechen auf die Impfung nur bei bestimmten Formen von Leukämien oder Lymphomen, bei denen B-Zellen bösartig geworden sind – und deshalb medikamentös gehemmt werden. „Das sind aber genau jene Zellen, die auch die Antikörper gegen Covid-19 bilden.“
Doch auch hier sieht Preusser einen Nutzen der Impfung: „Einen minimalen Schutz haben möglicherweise auch diese Patienten. Erstens gibt es meist zumindest einige Antikörper und wir sehen auch Anzeichen einer gewissen Aktivierung der Abwehrzellen.“ Diese zelluläre Immunantworten könnten eventuell bereits den Unterschied zwischen einem leichten und einem schweren Verlauf machen.
Und er betont, dass Covid-19 für Menschen, die nan Krebs erkrankt sind, ein besonderes Risiko bedeutet: "Therapien, die ihre Abwehrkraft schwächen, machen sie für einen schweren Krankheitsverlauf besonders anfällig.“
„Ich kann zu politischen Entscheidungen nichts sagen“, betont Preusser: „Aber ich kann auf unsere Daten hinweisen die zeigen, dass die Covid-19-Impfungen auch für diese Patientengruppe sicher und in den meisten Fällen auch sehr wirksam sind.“ Er sieht die Gefahr, dass durch diese Ausnahme der Eindruck entstehen könnte, dass es ein Problem mit der Impfung gebe: „Das ist definitiv nicht so.“
Was die Sicherheit betreffe, seien die Nebenwirkungen der Impfungen bei Krebs-Patienten absolut vergleichbar mit jenen bei Menschen ohne Krebserkrankung. Die häufigsten Nebenwirkungen nach der dritten Dosis waren lokale Schmerzen (46,9 %), Müdigkeit (15,6 %) und Fieber/Schüttelfrost (10,0 %).
Was das Ministerium sagt
Im Gesundheitsministerium betont man, dass die Ausnahmen keinesfalls als ein Abraten von einer Impfung zu verstehen seien. Tatsächlich seien Impfungen gegen Covid-19 bei einer aktiven Krebserkrankung ausdrücklich empfohlen: „Dennoch kann nicht auszuschließen sein, dass abhängig vom jeweils persönlichen Krankheitsbild eine zeitweilige Ausnahme zur Impfpflicht begründet sein kann.“ Sollte keine ausreichende Immunantwort zu erwarten sein, wäre auch eine allgemeine Verpflichtung zum Erhalt von Impfungen „nicht gerechtfertigt“. Diese Beurteilung liege rein bei den behandelnden Onkologen. "Eine allgemeine Verpflichtung zum Erhalt von Impfungen gegen Covid-19 in vorgeschriebenen Maximal-Abständen wäre dementsprechend für diese Personengruppe also nicht gerechtfertigt", heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums.
Preusser sagt, es könne individuelle Entscheidungen über den optimalen Zeitpunkt der Immunisierung geben: „Aber abgesehen von Allergien gegen Inhaltsstoffe der Produkte empfehlen wir allen unseren Patientinnen und Patienten auf Basis unserer Studienergebnisse und aufgrund der akzeptablen Nebenwirkungen die dritte Booster-Impfung.“
In der Beratungsstellen der Österreichischen Krebshilfe laufen seit der Bekanntgabe der Verordnung jedenfalls "die Telefone heiß", wie es Krebshilfe-Präsident Paul Sevelda ausdrückt. Alle genannten Onkologen appellieren gemeinsam an die gesundheitspolitisch Verantwortlichen, "diese Verunsicherung auszuräumen. Wir stellen klar, dass weiterhin unsere gemeinsame Empfehlung gilt, dass sich Patienten mit einer Krebserkrankung zu ihrem eigenen Schutz gegen eine Covid-Infektion impfen lassen sollen."
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