Virologe Florian Krammer erzählt im KURIER-Interview von einem neuen Impfstoff – mit weniger als einem Dollar pro Dosis ist er auch für ärmere Länder eine Hoffnung.
Einer für alle und alle für einen? In der Pandemie sind etliche Länder eher zum Einzelkämpfer geworden, wodurch letztendlich allen zusammen ein Nachteil entstehen kann. Denn die Pandemie macht eben keinen Unterschied zwischen Nationen – und solange Menschen weltweit nicht geimpft werden, ist auch die Krise nicht vorbei, erklärt der österreichische Virologe Florian Krammer.
Er ist Teil des Entwicklerteams eines Impfstoffes, der genau dieses Problem lösen soll. Treibende Kraft hinter dem Projekt ist der ebenfalls österreichische Virologe Peter Palese. Krammer selbst forscht am Mount Sinai Hospital in New York. Im KURIER-Interview erzählt er, was hinter dem neuen Impfstoff steckt und wieso er auch in ärmeren Regionen für Hoffnung sorgt.
KURIER:Wieso ist es wichtig, den Impfstoff NDV-HXP-S mit im Repertoire zu haben?
Florian Krammer: Im Moment haben wir global gesehen noch sehr wenig Impfstoff, bis jetzt haben sich nur die reichen Länder besorgt, was möglich war. Es gibt also in großen Teilen der Welt noch einen enormen Bedarf. Und wenn ärmere Länder nicht die Chance haben, ihrer Bevölkerung eine Impfung anzubieten, bedeutet das einen Boomerang für alle. Einige sind dann zwar geimpft, das Virus grassiert und mutiert aber anderswo weiter und kommt in Form von resistenten Varianten zu den Geimpften zurück. Ich denke, der eigentliche Beweggrund, allen eine Impfung zu ermöglichen, sollte sein, dass man jedem Menschen helfen will. Wen das nicht überzeugt, der sollte bedenken: wenn ich andere schütze, schütze ich mich auch selbst. Die Pandemie ist ein globales Problem.
Seinen Abschluss hat der Österreicher 2010 in Wien an der Universität für Bodenkultur in Biotechnologie mit einer Doktorarbeit zu angewandter Virologie gemacht. Mittlerweile doziert Krammer selbst an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York. Zudem leitet er sein eigenes Labor an der Icahn School. Einer seiner Forschungsschwerpunkte dort ist die Entwicklung eines Universalimpfstoffes gegen Influenza-Viren. Krammer publizierte schon über 250 wissenschaftliche Arbeiten
Was ist denn der besondere Vorteil von dem Impfstoff ?
Man kann ihn sehr billig herstellen – der Preis liegt bei weit unter einem Dollar pro Dosis. Das ist möglich, weil wir dieselbe Technologie wie bei der Herstellung von Influenza-Vakzinen nutzen. Viele Länder haben dafür eine bestehende Infrastruktur, auf die sie einfach und billig zurückgreifen können.
Außerdem verwenden wir ein Spike-Konstrukt (Anm. die Hülle des Trägervirus ist genetisch so verändert, dass sie wie die Hülle eines Coronavirus aussieht) das hoch stabil ist. Das ist ein Design der zweiten Generation und so angelegt, dass das Spike-Protein nicht so leicht zerfallen kann, sondern die ideale Form einnimmt, um neutralisierende Antikörper hervorzurufen. Hier trifft eine altbekannte Technologie auf eine hochinnovative Veränderung des Spike, die noch nicht einmal in den aktuellen RNA-Impfstoffen angewandt wird.
Als Grundlage verwenden wir das New Castle Disease Virus, das in Geflügel vorkommt und für den Menschen ungefährlich ist. Das haben wir genetisch so verändert, dass es die Hüllenproteine des Coronavirus trägt. Hergestellt wird der Impfstoff in befruchteten Hühnereiern, da wird eine kleine Menge von dem Virus injiziert, das sich dann im Ei vermehrt. Anschließend reinigt man die Viruspartikel heraus. Und Länder, die Influenza-Impfstoffe herstellen können, können auch diesen Corona-Impfstoff herstellen.
Die Länder selbst sind also die Hersteller?
Genau, das ist auch ein Vorteil. Das Ganze läuft nicht wie bei anderen Impfstoffen so, dass ihn eine Firma herstellt und dann an den verkauft, der es sich leisten kann. Die Länder können quasi auf unser „Rezept“ zugreifen, wir unterstützen auch bei der Planung zur Umsetzung und dann stellen sie ihn selbst her und haben wirklich ihren eigenen Impfstoff. Das sorgt auch für eine ganz andere Vertrauensbasis unter den Leuten im Land. Und so haben die Länder selbst die Kontrolle und sind nicht auf Lieferungen angewiesen.
Wie funktioniert diese Zusammenarbeit?
Die Studien zum Impfstoff sind momentan in Phase 1. In Thailand und Vietnam wurden schon die ersten Leute geimpft. Und den Impfstoff dazu stellen die Länder auch jetzt schon selbst her. In Mexiko und Brasilien startet die Phase 1 demnächst. Thailand, Vietnam und Brasilien können über eine sogenannte humanitäre Lizenz auf unsere Formel zurückgreifen – während der Pandemie kostet sie das nichts und danach nur sehr wenig. Daran verdienen wir nicht wirklich etwas. Und die Herstellung selbst ist wie gesagt sehr billig.
Wie wird der Impfstoff dann angewandt?
Das Virus, auf dem der Impfstoff basiert, kann entweder inaktiviert und als Totimpfstoff klassisch über den Stich verabreicht werden. Oder man setzt ihn als Lebendimpfstoff in Form eines Nasensprays ein. Bei dieser Form der Impfung geht es nicht hauptsächlich um Antikörperbildung im Blut, sondern auf den Schleimhäuten, wo das Coronavirus ja andockt. So entsteht eine andere Art von Immunität, die eine Infektion sogar vollständig verhindern kann.
Wenn diese Technologie billig und altbekannt ist, wieso hat man nicht schon von Beginn an auf sie gesetzt?
Weltweit sind über 200 Corona-Impfstoffe in Entwicklung. Vektor- und RNA-Technologien können einfach schneller entwickelt werden. Also alle haben auf alles gesetzt und manche waren einfach schneller. Wir rechnen damit, bis Ende des Jahres eine Zulassung zu haben.
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