Zecken-Prävention: Endlich eine Pille gegen Borreliose?
Im Frühling ist er für viele Haustierbesitzer Routine: Der Griff zur Anti-Zecken-Tablette für Hund und Katz. Entwickelt wurden die kaubaren Arzneien zum vorbeugenden Schutz: Gegen die blutsaugenden Parasiten – und Borrelien, eine potenziell krankmachende Bakterienart, die sie übertragen können.
Die Wirkstoffe landen im Blutkreislauf der Vierbeiner. Sie töten die Zecke, nachdem sie sich mit ihren Kieferklauen in der Haut verkeilt und Zugang zum Blut ihres Wirts verschafft hat. Die Arznei hält Zecken also nicht im Sinne eines Repellents fern, sondern eliminiert sie nach dem Stich.
Forschende arbeiten an humaner Lösung
Menschen können sich aktuell nicht präventiv vor einer Borreliose-Erkrankung schützen. Gegen das FSME-Virus (Frühsommer-Meningoenzephalitis), das unmittelbar beim Zeckenstich übertragen wird, gibt es eine wirksame Impfung. Werden Erreger derart schnell eingespeist, ist die Tierarznei zwecklos. Das für Borreliose verantwortliche Bakterium befindet sich aber im Zeckenmagen. Ist die Zecke mit Blut vollgesogen und satt, stößt sie auf und das Bakterium gelangt ins Blut. "Das dauert an die 20 bis 24 Stunden", weiß Stefan Winkler von der Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der MedUni Wien. "Entfernt man die Zecke rasch, ist das Risiko weitgehend gebannt."
Dieses Zeitfenster will sich auch ein US-amerikanisches Biotech-Unternehmen zunutze machen. Dort tüftelt man an einer Adaption des tierischen Anti-Zecken-Mittels für den Menschen. Kürzlich ging der Konzern mit ersten Ergebnissen aus einer kleinen klinischen Studie an die Öffentlichkeit: Beim Großteil der Probandinnen und Probanden, die die neuartige Tablette eingenommen hatten, starben die Blutsauger nach dem Stich binnen 24 Stunden ab. Die Wirkung hielt bis zu 30 Tage an, hieß es.
31 Erwachsene bekamen entweder eine niedrige oder hohe Dosis der Zecken-Pille – oder ein Placebo. Dann setzte man sterile Zecken (ohne Krankheitserreger) auf ihre Arme und maß 24 Stunden später, wie viele gestorben waren. Am ersten Tag waren 97 Prozent der Zecken in der Gruppe mit hoher Dosis und 92 Prozent in der Gruppe mit niedriger Dosis verendet. In der Placebogruppe waren nur 5 Prozent der Zecken gestorben.
Nach einem Monat brachten beide Dosen noch immer rund 90 Prozent der Zecken zum Absterben. Schwere Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.
Bei der experimentellen Pille kommt eine Formulierung mit Lotilaner, einem Antiparasitenmittel, zum Einsatz. Der Wirkstoff lähmt und tötet Zecken, indem er ihre Nervenzellen stört. "Das Mittel kommt in der Tiermedizin gegen Zecken oder Milben zur Anwendung", bestätigt Winkler. Es sei aber "jedenfalls zu früh, um eine Anwendung am Menschen in Betracht zu ziehen". Für unseren Umgang mit Zecken "hat diese experimentelle Untersuchung erst mal keine Relevanz", präzisiert er.
Dass es sich bei dem Ansatz um eine sogenannte Präexpositionsprophylaxe handle, die eine Einnahme vor einem Stich erfordert, hält der Experte für "ein ungewöhnliches Vorgehen". Wie bei allen medikamentösen Interventionen müsse man den Nutzen möglichen Risiken gegenüberstellen: "In Österreich liegt das Risiko, über eine Zecke mit Borrelien infiziert zu werden, im einstelligen Prozentbereich. Selbst wenn man sich ansteckt, kommt es in 90 Prozent der Fälle zu Symptomen auf der Haut, der klassischen Wanderröte, die man sehr gut mit Antibiotika behandeln kann."
Anders in den USA: Dort sind nicht nur andere Zeckenarten, sondern auch andere Borrelien vorherrschend. Infektionen mit schweren Verläufen treten häufiger auf.
Seltene Entzündungen sind nach Zeckenstichen selten
Äußerst selten wandern Borrelien auch hierzulande bei Betroffenen in die Gelenke und lösen Entzündungen aus. Ab und zu dringt das Virus ins Gehirn ein und schädigt dort Zellen und Hirnhäute – man spricht von einer Neuro-Borreliose. Betroffene erkranken meist an einer Hirnhautentzündung mit hohem Fieber, heftigsten Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Ein kleiner Teil entwickelt eine Enzephalitis: Hier befällt und zerstört das Virus die Nervenzellen, es folgen Lähmungserscheinung, Bewegungs- und Sehstörungen.
Prinzipiell seien präventive Bemühungen sinnvoll, sagt Winkler. So sei die Erprobung von Impfstoffen gegen Borreliose etwa bereits "weit fortgeschritten". Um einer Borreliose, aber auch einer FSME-Ansteckung, vorzubeugen, ist auch eine gründliche Selbstuntersuchung nach Aufenthalten in Wald und Wiesen unabdingbar. "Wenn Zecken gar nicht erst auf die Haut kommen, können sie auch nichts ausrichten."
Wegen des Klimawandels sind Zecken inzwischen immer früher im Jahr im hohen Gras, Gebüsch oder Unterholz unterwegs. Ob deswegen auch mehr Zecken Wälder und Wiesen bevölkern und auch die Zahl der Borreliose-Fälle steigt, lasse sich aktuell nicht beantworten, sagt Winkler: "Borreliose ist keine meldepflichtige Krankheit, deswegen kennen wir keine genauen Zahlen."
Für die Forschenden sind die Ergebnisse dennoch vielversprechend. Da das Medikament gegen die Zecken selbst wirkt, könnte es, so die Idee, auch vor anderen Krankheiten schützen. Allerdings: Den Beweis, dass die Pille tatsächlich vor Borreliose schützt, blieb das Team in der aktuellen Studie noch schuldig.
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