Bluttest zur Früherkennung von Krebs: Wie weit die Forschung ist
Mit einem Bluttest 50 Krebsarten in einem – noch gut behandelbaren und heilbaren – Frühstadium erkennen? „Ich bin überzeugt davon, dass solche Tests ein großes Potenzial haben und in den nächsten Jahren auch kommen werden“, sagt Sonja Loges, Leiterin der Abteilungen für Personalisierte Medizin an der Universität Mannheim und am Deutschen Krebsforschungszentrum.
KURIER: Wie weit ist die Entwicklung solcher Bluttests?
Sonja Loges: Es gibt mehrere Projekte, aber der mit Abstand am weitesten fortgeschrittene ist der Galleri-Test der Firma Grail. In einer Studie mit rund 6.600 Personen im Alter von 50 Jahren und mehr zeigte der Test bei 92 Probanden einen Verdacht auf eine bisher nicht bekannte Krebserkrankung an. Bei 35 hat sich durch weiterführende Untersuchungen der Verdacht bestätigt. Allerdings ergaben die bisherigen Daten, dass die Sensitivität, also die Zuverlässigkeit, erkrankte Menschen auch als krank zu erkennen, zwar in den späteren Erkrankungsstadien III und IV relativ hoch ist. Aber in den frühen Stadien I und II – in denen die Chance auf eine erfolgreiche Therapie am höchsten ist – lag sie nur bei 17 bzw. 40 Prozent. Aber gerade für die Frühphase der Erkrankung sind ja diese Tests gedacht.
Ist nicht jede neu erkannte Erkrankung ein Erfolg?
Natürlich sind das insgesamt vielversprechende Daten. Zumal auch Krebserkrankungen dabei waren, für die es noch kein Früherkennungsprogramm gibt, wie Speiseröhren-, Eierstock- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs. In den meisten Fällen ordnet der Test die Erkrankung auch dem richtigen Gewebe bzw. Organ zu. Und gesunde Personen erhielten zu rund 99 Prozent auch ein negatives Testergebnis – bei weniger als ein Prozent der Gesunden war das Ergebnis falsch positiv. Trotz all dieser Daten ist es aber für endgültige Aussagen und für einen routinemäßigen Einsatz noch zu früh. Deshalb wird jetzt in Großbritannien eine Studie mit 140.000 Personen zwischen 50 und 77 Jahren durchgeführt, die in den vergangenen drei Jahren keine Krebsdiagnose hatten.
Welche Bedenken gibt es noch?
In den bisher durchgeführten Untersuchungen wurden Patienten ausgeschlossen, die bereits eine chronische Erkrankung hatten, wie etwa Bluthochdruck, Herzschwäche oder Diabetes. Das heißt: Wir wissen nicht, ob der Test auch bei einer anderen Erkrankung als Krebs anschlägt. Denn auch da können möglicherweise bestimmte genetische Merkmale, die der Test erkennt, vorhanden sein. Deshalb müssen auf jeden Fall noch weitere, größere Studien abgewartet werden ohne Vorauswahl bei den Teilnehmern.
Liquid Biopsy
Je früher Krebs erkannt wird, desto größer die Chance für eine erfolgreiche Therapie. Künftig sollen Bluttests („liquid biopsy“) die Früherkennung verbessern
Testprinzip
Zerfallen Krebszellen, gelangen Bruchstücke ihres Erbguts (DNA) ins Blut. An der DNA sind chemische
Veränderungen nachweisbar, die für Krebs typisch sind. Die Entwickler des Galleri-Tests haben zunächst untersucht, welche Modifikationen der DNA am stärksten auf Krebs hinweisen und mit welchem Verfahren (welcher „Sequenziertechnik“) sie gut nachweisbar sind
Therapiekontrolle
Schon teilweise in Anwendung ist die Liquid Biopsy in anderen Bereichen: Etwa nach einer Krebs-Operation, um zu kontrollieren, ob im Blut noch bzw. wieder Tumor-DNA vorhanden ist
949 US-Dollar
ist laut Homepage des Herstellers der Listenpreis für den Galleri-Test
Aber der Test ist doch auf genetische Veränderungen zugeschnitten, die für Krebserkrankungen typisch sind?
Ja, aber möglicherweise gibt es da Überlappungen, dass bestimmte Merkmale – Marker – auch dann vorhanden sind, wenn man aus einem anderen Grund als Krebs erkrankt ist. Krebs tritt häufig im höheren Lebensalter auf, und viele ältere Menschen haben chronische Erkrankungen. Wie gut der Test also in der realen Welt funktioniert, ohne dass man die Probanden vorher selektioniert, ist nicht bekannt. Für einen Routineeinsatz ist es deshalb zu früh.
Wie sieht es bei Krebserkrankungen aus, für die es Früherkennungsprogramme gibt?
Bei diesen ist noch nicht klar, ob ein Bluttest einen zusätzlichen Vorteil bringt. So wurden zwar auch Fälle von Brust- und Darmkrebs entdeckt, es ist aber nicht publiziert, ob die Probanden zum Beispiel bei der Koloskopie oder der Mammografie waren und wenn ja, wann zuletzt und in welchen Abständen. Wahrscheinlich liegt die Bedeutung solcher Tests eher bei Erkrankungen, für die es keine Früherkennung gibt.
Die Firma bietet den Test auf ihrer Homepage bereits zum Verkauf an – nach einer telemedizinischen Prüfung.
Das halte ich für verfrüht. Viele Patienten würden dadurch verunsichert werden, obwohl sie möglicherweise gesund sind. Und es würden unzählige unnötige Untersuchungen anfallen, für die es keine Kapazität und Finanzierung gibt. Noch fehlt es an Leitlinien, wie nach einem positiven Testergebnis vorzugehen ist. Solche Tests werden die Zukunft sein. Aber wir brauchen noch deutlich mehr Daten.
Kommentare