Coronakrise: „Es wurde den Menschen zu viel Angst gemacht“

Intensivmediziner Likar ist Corona-Koordinator von Kärnten.
Kärntner Intensivkoordinator kritisiert in einem neuen Buch die Bedrohungsszenarien und die schlechte Vorbereitung.

„Man muss der Regierung zugutehalten, dass sie richtig reagiert hat – schließlich hat niemand genau gewusst, was auf uns zukommt. Aber es hat sich rasch gezeigt, dass Österreich schlecht vorbereitet war – und es wurde den Menschen zu viel Angst gemacht und keine offene Diskussion unter Experten zugelassen.“

Das sagt der Intensivmediziner Rudolf Likar vom Klinikum Klagenfurt, der auch Intensivkoordinator des Bundeslandes Kärnten ist. In einem neuen Buch, das er mit dem Altersmediziner Georg Pinter und dem Gesundheitspsychologen Herbert Janig verfasst hat, analysiert er die vergangenen Wochen. „Man hat immer mit Bedrohungsszenarien gearbeitet, und das hat auch uns Ärzte am Anfang verunsichert. Gleichzeitig gab es keinen Katastrophenplan, fehlte es an Schutzmasken und Schutzkleidung. Dabei war immer klar, dass irgendwann eine Pandemie kommen wird.“ Lange Zeit habe man die Bevölkerung mit den Bildern aus Italien erschreckt: „Aber es wurden die Unterschiede der Gesundheitssysteme viel zu wenig differenziert, etwa unsere viel höhere Kapazität an Intensivbetten.“

Unterschied Normalstation - Intensivstation

Natürlich sei es gut gewesen, auf die Situation in den Intensivstationen zu achten – „bei uns betrug die Liegedauer der Patienten dort im Schnitt 24 Tage, das ist sehr lang. Aber auf den Normalstationen war es ganz anders, da sind die Patienten oft nach drei, vier Tagen bereits entlassen worden. Im Nachhinein muss ich sagen: Da hätte man früher mit vielen Operationen beginnen können.“

Und: „Man hat in die linke Waagschale alle Maßnahmen gegen die Pandemie gelegt, aber nicht darauf geachtet, wie gleichzeitig die rechte Schale hinaufgeschnellt und ein massives Ungleichgewicht entstanden ist. Es kam zu einer schleichenden Sonderstellung der Krankheit, so als wäre Covid-19 ein VIP.“

Corona als eine Krankheit von vielen

Nicht einmal Patienten mit starken Schmerzen hätten sich getraut ins Spital zu kommen, „weil sie den Eindruck hatten, es gibt keine Behandlungskapazität für sie. Dem war aber nicht so“.

Jetzt sei es wichtig, dass das Gesundheitssystem lernt, mit Corona zu leben – „als einer Krankheit von vielen“.

Deeskalation gefragt

Und es brauche ein an die Regionen angepasstes Deeskalationsszenario: „In Kärnten gibt es momentan keine Neuinfektionen. Da kann man doch anders vorgehen als in einem Gebiet mit vielen frisch Infizierten – und vielleicht auch einmal einen Test mit einer größeren Veranstaltung zulassen.“

Gerüstet für die nächste Welle

Likar und seine Co-Autoren präsentieren einen 55 Punkte Plan „für das nächste Mal“: Die Einrichtung spezieller Infektionskliniken gehört da etwa dazu: „In ruhigen Zeiten könnten sie beispielsweise für die Forschung genutzt, aber in Krisen dann rasch umgerüstet werden.“ Oder Angebote für psychologische Trainings, um Ängste zu überwinden: „Wir als Gesellschaft haben den Auftrag, nicht panisch auf eine Pandemie zu reagieren, sondern besonnen.“

Coronakrise: „Es wurde den Menschen zu viel Angst gemacht“

Das Buch erschien in der edition a, 176 Seiten, 22 Euro.

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